Chinas Staatsökonomie

Krisensymptome zeichnen sich in China ab: Immobilienblase, Verschuldung, Deflation, Demografie, US-Sanktionen, Investorenflucht, Vertrauensverlust der KP usw.

Das chinesische Modell beruht auf einem Komplex von staatlich-privaten Unternehmen, in denen das Privatkapital einen großen Teil der städtischen Beschäftigung ausmacht. Der Staat spielt eine Schlüsselrolle im Finanzsystem, bei der Regulierung des Privatkapitals, bei den massiven öffentlichen Ausgaben, insbesondere für die Infrastruktur, und bei der Planung. Dies mag ein anderes Modell der kapitalistischen Entwicklung sein als die westliche neoliberale Variante, aber es gehorcht immer noch den Gesetzen der Kapitalakkumulation. Nach der Öffnung für den globalen Kapitalismus in den 1980er Jahren wurde China zu einem Markt für transnationale Unternehmen und zu einem Sammelbecken für überschüssiges akkumuliertes Kapital, das von einem riesigen Angebot an billigen Arbeitskräften profitieren konnte, die von einem repressiven, allgegenwärtigen Überwachungsstaat kontrolliert wurden.

In China hat sich seit den 1980er Jahren eine Form staatlich kontrollierter Unternehmen herausgebildet, die durch eine Hybridisierung privater und staatlicher Eigentumsstrukturen und Governance-Prozessen gekennzeichnet ist. Es ist damit gesagt, dass der chinesische Staat, der durchaus verschiedene Gruppen umfasst, ein zentraler Akteur in innen- und außenwirtschaftlichen Prozessen bleibt und damit die Ökonomie in ihrer Ausrichtung auf eine langfristig positive Kapitalakkumulation den Staat in besonderem Maß integriert. Eine zum Teil auch privatwirtschaftliche Akkumulation von Kapital, aber insbesondere die staatliche Organisation und Kontrolle des chinesischen Finanzsektors waren eine wichtige Bedingung für die Industrialisierungsprozesse und das technologische Upgrading der chinesischen Ökonomie. Es waren zudem insbesondere Faktoren wie der Zufluss von westlichem Kapital, der Aufbau großer Betriebe und der Zugang zum Weltmarkt, die im Zuge der durch den Staat initiierten marktwirtschaftlichen Reformprozesse dazu beitrugen, dass sich ein exportorientiertes Industrialisierungs- und Akkumulationsregime etablieren konnte. Dabei blieben aber wichtige Sektoren im Eigentum des nationalen Kapitals und werden durch private und staatliche Unternehmen geleitet. Heute spielt der privatwirtschaftlich organisierte Tech-Sektor eine immer wichtigere Rolle.

Dennoch steht gerade die in hohem Maß finanzialisierte chinesische Wirtschaft und der chinesische Bankensektor größtenteils unter staatlicher Kontrolle. Insbesondere seit 2017 hat der Staat und die KP Chinas den Finanzsektor einer institutionellen Neuordnung unterworfen, bei der die operative Führung von staatlichen Stellen auf das Zentralkomitee der KPCh übertragen wurde. Die größten Finanzinstitute – Geschäftsbanken, Investmentbanken, Versicherungsgesellschaften oder Vermögensverwalter – werden vom Staat kontrolliert. Laut der Global 2000-Rangliste des Forbes Magazine ist die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), eine staatliche chinesische Bank, heute das größte börsennotierte Unternehmen der Welt.  An fünfter Stelle steht erst die Wall Street-eigene JPMorgan Chase.

Die nominelle Machtkonzentration schließt eine organisatorische Zersplitterung, eine Zersplitterung der Organisationen und gelegentlich sogar eine gewisse Unordnung nicht aus. Größere Rivalitäten spielen sich zwischen den öffentlichen Einrichtungen selbst ab, sowohl horizontal (zwischen der Zentralbank und den Aufsichtsbehörden) als auch vertikal (zwischen dem Staatsrat und den Provinzregierungen). Chinas Finanzindustrie ist ein wichtiges Schlachtfeld für die mächtigsten politischen und wirtschaftlichen Akteure, die versuchen, von ihrer Kontrolle über die staatlichen Vermögenswerte zu profitieren. Die Finanzindustrie kann daher als integraler Bestandteil des politischen Systems behandelt werden.

Durch den boomenden Exportsektor wurden in China seit Mitte der 1990er Jahre riesige Mengen an Währungsreserven angehäuft. In Chinas geschlossenem Finanzsystem sind die Exporteure gezwungen, ihre Auslandseinnahmen über die Zentralbank umzutauschen, die einen entsprechenden RMB schafft, um die ausländischen Währungen zu absorbieren. Dies führte zu einer raschen Ausweitung der RMB-Liquidität in der Wirtschaft. Gleichzeitig wuchs das Kreditsystem. Da das Bankensystem vom Parteistaat kontrolliert wird, inklusive der staatlichen oder staatlich verbundenen Unternehmen, genoss der staatliche Sektor einen privilegierten Zugang zu staatlichen Bankkrediten, über die ein Investitionsboom ausgelöst wurde. Das Ergebnis war eine steigende Beschäftigung, ein Wirtschaftsboom und ein Geldsegen für die Elite. Aber diese Dynamik hinterließ auch überflüssige und unrentable Bauprojekte: leere Wohnungen, ungenutzte Flughäfen, überflüssige Kohlekraftwerke und Stahlwerke. Das wiederum führte zu sinkenden Gewinnen, verlangsamtem Wachstum und einer zunehmenden Verschuldung in den wichtigsten Wirtschaftssektoren.

Während der gesamten 2010er Jahre hat der Parteistaat in regelmäßigen Abständen neue Kredite vergeben, um den Abschwung aufzuhalten. Aber viele Unternehmen nutzten die günstigen Bankkredite, um ihre bestehenden Schulden zu refinanzieren, ohne neue Ausgaben oder Investitionen zu tätigen.  Mit der Zeit verlor die Wirtschaft an Dynamik, da die Zombie-Unternehmen allein durch Schulden am Leben gehalten wurden: ein klassischer Fall der ‘Bilanzrezession’, die Japan nach dem Ende des Booms in den frühen 1990er Jahren heimsuchte. Die Illusion eines grenzenlosen Hochgeschwindigkeitswachstums herrschte genau zu dem Zeitpunkt vor, als die Wirtschaft in ihre schwerste Krise seit Beginn der Marktreformära geriet.

Gleichzeitig ist Folgendes zu verzeichnen: In den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts stand China weltweit mit an der Spitze einer Welle ausländischer Direktinvestitionen in Länder des globalen Südens und des Nordens, die die transnationale Integration des Kapitals vertieft und die kapitalistische Transformation in den Ländern, in denen es investiert, beschleunigt. Zwischen 1991 und 2003 stiegen Chinas ausländische Direktinvestitionen um das 10-fache und dann von 2004 bis 2013 um das 13,7-fache, von 45 Milliarden Dollar auf 613 Milliarden Dollar. Im Jahr 2015 war China zum drittgrößten ausländischen Investor der Welt geworden. Seine ausländischen Direktinvestitionen begannen, die ausländischen Direktinvestitionen im Inland zu übersteigen und das Land wurde zum Nettogläubiger.

Ein naheliegender Schritt jenseits der internationalen Kapitalexpansion zur Krisenlinderung und Überakkumulation wäre eine Umverteilungsreform, um das Einkommen der Haushalte und damit den Konsum der Haushalte anzukurbeln. Seit den späten 90er Jahren gab es Forderungen, die chinesische Wirtschaft zugunsten eines nachhaltigeren Wachstumsmodells neu auszurichten, indem die Abhängigkeit von Exporten und Anlageinvestitionen wie dem Bau von Infrastrukturen verringert wird. Dies führte unter der Regierung von Hu Jintao und Wen Jiabao von 2003-13 zu einigen reformorientierten, umverteilenden Maßnahmen wie dem neuen Arbeitsvertragsgesetz, der Abschaffung der Landwirtschaftssteuer und der Umlenkung staatlicher Investitionen in ländliche Regionen im Landesinneren. Aber das Gewicht der Eigeninteressen (staatliche Unternehmen sowie lokale Regierungen, die von Bauaufträgen und staatlichen Bankkrediten profitieren, die diese Projekte finanzieren) und die Machtlosigkeit der sozialen Gruppen, die von einer solchen Umstrukturierungspolitik profitieren könnten (Arbeiter, Bauern und Haushalte der Mittelschicht), haben dazu geführt, dass der Reformismus nicht Fuß fassen konnte. In jüngster Zeit hat Xi deutlich gemacht, dass sein ‘gemeinsames Wohlstandsprogramm’ weder eine Rückkehr zum Egalitarismus der Mao-Ära noch eine Herstellung eines Wohlfahrtsstaat ist. Vielmehr geht es darum, die  Rolle des Staates gegenüber dem Kapital zu bekräftigen, seine Präsenz im Technologie- und Immobiliensektor zu erhöhen und die privaten Unternehmen auf die allgemeinen Interessen der Nation auszurichten. In offiziellen politischen Reden ist ‘Sicherheit’ zum meistgenannten Wort geworden und hat ‘Wirtschaft’ in den Hintergrund gedrängt. Dies erklärt die Abschaffung der Amtszeitbeschränkung des Präsidenten im Jahr 2018, die Zentralisierung der Macht in Xis Händen, die unerbittliche Kampagne zur Ausrottung von Parteifraktionen im Namen der Korruptionsbekämpfung, den Aufbau eines wachsenden Überwachungsstaates und die Verlagerung der Legitimationsgrundlage des Staates Die derzeitige Schwächung der Wirtschaft und die Verfestigung des Autoritarismus sind keine leicht umkehrbaren Trends

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