Der Wahl-O-Mat – ein Test aus der Serie “Demokratie im Seniorenparadies” oder Wahlen sind kybernetische Testverfahren (1)

Die Kybernetik unterscheidet sich vom mechanischen Maschinendiskurs, was die Steuerungs- und Ordnungskapazitäten anbelangt, seien sie interner oder externer Natur, nicht wesentlich. Der Konstruktion eines Regelkreises, bei dem jede Veränderung einer Regelgröße, die als Abweichung gilt, durch eine ihr entgegenwirkende Größe ausgeglichen wird, geht die newtonsche Formulierung der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung voraus. Wenn wir von kybernetischen Systemen in Hinsicht darauf sprechen, dass möglichst kein (störendes) menschliches Element in ihr Prozessieren eingeschaltet wird und das Steuern, das hier im Gegensatz zu einer Handlung nur als »Verhalten« erscheint, im Wesentlichen sich auf das Ein- oder Ausschalten der maschinellen Systeme durch den menschlichen Agenten reduziert, dann wird dem anthropologischen Schema aber noch lange nicht der Rücken gekehrt. Denn man spricht eben weiterhin von steuernden Eingriffen in einen Regelkreis, die gerade dann perfekte Eingriffe sind, wenn es eben nicht zur Störung oder zum Unfall kommt, womit die Steuerung in der Tendenz wiederum auf die Aufrechterhaltung eines linearen störungsfreien Ablaufes reduziert wird, der einem Fließgleichgewicht entsprechen soll, das in jedem seiner Momente der jeweilige Abstand binärer Zustände ist, bis hin zum Grenzwert ihres Zusammenfallens. Gerade weil die Kybernetik an dem Term Gleichgewicht festhält, handelt es im Wesentlichen um eine um das Prozessieren von Ordnung erweiterte mechanische Theorie: Wirkungen produzieren Gegenwirkungen, die sich als Ursachen darstellen. Beim kybernetischen Feedback geht es darum, ob die Störungen von den maschinellen Komplexen selbsttätig oder extern durch menschliche Eingaben ausgeglichen werden. Zumindest bei der Eingabe von Sollwerten, auch wenn es sich um eine einmalige Programmierung handelt, ist das menschliche Schaltelement noch vorhanden, das instrumentelle Organon, das den Automaten davon abhält, reines Perpetuum mobile zu werden. Der sich selbst regelnde Automat bleibt im kybernetischen Diskurs noch an die Verkopplung von Maschinen und Menschen gebunden, wobei das humane Entscheiden und Steuern einer logifizierten Struktur des Entweder/Oder, der Ja/Nein-Entscheidung folgt und deshalb das Zulassen der infinitesimalen Differenz ausschließt.

Es geht der Kybernetik also darum, Systeme, Regelkreisläufe und Schaltnetze als selbstregulierend zu beschreiben und ihr Funktionieren auf ihren immanenten Zweck auszurichtenhDas Maß, entlang dessen Ordnung begründet werden soll, ist das Gleichgewicht, die Ruhe, der möglichst störungsfreie Ablauf von Kommunikationen und Handlungen. Die Ordnung, die sich nicht mehr eine externe Referenzen stützt, sondern nur mehr die eigene Systemstabilität reproduziert, ja das Gleichgewicht wird selbst zum Zweck und bedarf der Information. Störungen werden absorbiert, indem sie als Feedback, als kybernetische Rückkoppelung zur Systemoptimierung genutzt werden. Ein (technologisches) System funktioniert durch die Regulation seiner Variablen (Temperatur, Druck, Geschwindigkeit, Output etc.). Das System, das Ist- und Sollwerte andauernd abgleicht, ist ein kybernetisches Feedbacksystem: Es entspricht einer rekursiven Funktion zwischen Input und Output F = F(x). Wenn das System Störungen in Bezug auf seinen Sollwert nicht kontrollieren und austarieren kann, dann ist das System eben leck bzw. ist es zum Tod verdammt.

Diese »kybernetische Hypothese« hat das zeitgemäße Ideal von Ordnung und Stabilität geprägt und auch in der Politik dazu geführt, dass die Demokratie bzw. der Raum des Politischen als nachrichtentechnisch formalisierte »Konsensdemokratie« konzipiert wird, die jeden Dissens korrigiert oder ihn verunmöglicht. Die kapitalistische Produktionsweise, die in der Demokratie ihre passende Regierungsform besitzt, ist das alternativlose Ideal, dessen Sicherung oberste Priorität hat. Dieses Bild von Regulation, Systemstabilität und Gleichgewicht hat die Existenz des Forschungsprogramms längst überlebt und strukturiert als eine abwesende Begründung für Ordnung bestimmte politische Diskurse bis heute.

Die Kybernetik lebt sozusagen als Zombie weiter und ihre untote Anwesenheit benötigt als zentrales Relais das Feedback, eine Rückkopplungsschleife innerhalb eines Regelkreislauflaufs; Kommunikationen und Handlungen müssen im Sinne der Stabilisierung ihrer selbst und des möglichst reibungslosen Ablaufs durch Rückkoppelungen verbessert werden, wobei, um Konfrontationen und zukünftigen unliebsame Ereignissen vorzubeugen, Feedbacks ein Tool zur Integration von Abweichungen anbieten. Das Feedback ist ein permanenter Test, eine Kontrollschleife, die kontinuierlich Ist- und Soll-Zustände abgleicht, damit Störungen integriert und die Stabilität des Regelkreislaufs garantiert werden. Im Feedback artikuliert sich das Ideal der Steuerung.

Die Wahlen, gerne als Kernelement der Demokratie und der Freiheit abgefeiert, müssen heute als Teil der kybernetischen Hypothese gelten. Die Wahlen sind kybernetische Testverfahren, mit denen die Zustimmung der Bevölkerung zum System getestet wird. Man nennt das Legitimation. Sie sind ein ziemlich triviales Feedback, ein Test, bei dem das entscheidende Kriterium die Wahlbeteiligung selbst ist. Am heutigen Tag kommt der Wahl-O-Mat wieder zum Einsatz, ein spielerisches Online-Tool zur Steigerung der Wahlbeteiligung, so die Bundesregierung, ein Spiel so völlig inhaltslos und völlig dumm wie jedes konfektionierte Amusement,  das nur noch solche ertragen, denen das Leben jede Ansprüche ausgetrieben hat. Es handelt sich hier um ein binäres, signalartiges System von Frage/Antwort, um einen permanenten Test, der lediglich die Stabilität des Systems zum Ziel hat. Der Soll-Wert ist in diesem Spiel der leere Signifikant, bei dem die Demokratie im Hintergrund lauert, ganz nach dem verblödeten Muster, an das noch nicht einmal mehr Kleinkinder glauben: Es ist demokratisch, weil alle mitmachen, und wenn alle mitmachen, ist es demokratisch.

Oder, um es anders zu sagen, frei wählen darf ich nur unter der Voraussetzung. dass ich die richtige, die systemstabilisierende und nicht-extremistische Wahl treffe, eine leere Geste bzw. eine verblödete Simulation, die darin besteht, so zu tun, als würde ich mich frei für etwas entscheiden, was mir in der letzten Instanz sowieso aufgezwungen wird. Baudrillard schreibt zusammenfassend: “Das ganze Kommunikationssystem ist von einer komplexen syntaktischen Sprachstruktur zu einem binären, signalartigen System von Frage/Antwort – zum permanenten Test übergegangen. Test und Referendum sind aber bekanntlich Simulationsformen: die Antwort wird durch die Frage induziert, sie wird im voraus bezeichnet”.

Scheinbar werden in den Wahlen verschiedene Positionen – zwischen denen man wählen kann – repräsentiert, aber zugleich ist das Politische ganz auf die kybernetische formale Ebenen reduziert, es geht eigentlich nur noch darum, welche Funktionen und Ereignisse korrigiert werden, damit das kapitalistische System besser und reibungsloser funktioniert. “Was für das statistische Szenario [Meinungsumfragen und Prognosen] gilt, das gilt auch für die geregelte Teilnahme am politischen Bereich: abwechselnde Herrschaft der beteiligten Kräfte, einander ablösende Mehrheiten/Minderheiten. An dieser äußersten Grenze der reinen Repräsentation repräsentiert es gar nichts mehr. Die Politik stirbt am allzu gunten Funktionieren ihrer distinktiven Gegensatzpaare” (Baudrillard). Und das Volk wird im Kontext des demokratisch-politischen Ballermann-Spiels zur schweigenden Mehrheit, zu einer statistischen Größe, deren einzige Erscheinungsweise die Meinungsforschung ist.

Die Politik wird als Feedback in das System eingespeist, und das Politische wird als Extremismus, als Entropie, als Chaos und damit als undemokratisch diffamiert. Sobald politische Widerstandsformen sich dem möglichst reibungslosen Ablauf der Wahlen und des Systems entgegenstellen, das heißt nicht signalartig die richtigen Feedbacks senden, sondern politische Räume beanspruchen und sich als Antagonismus artikulieren, brechen die Widerstände aus dem Regelkreislauf heraus. An dieser Stelle dient die Etikette »extremistisch« zur Bezeichnung entropischer Vorgänge –  das Rauschen, das Chaos, die Unordnung und der Lärm, und der Inhalt spielt überhaupt keine Rolle mehr, wenn er nicht codiert werden kann und anschlussfähig ist, um als Feedback das System zu stabilisieren. Der Linksextremismus beschreibt also das chaotische Außen, das dem demokratischen Regelkreislauf, dessen wesentliche Koordinaten Kommunikation und Kontrolle sind, widerstrebt, aus ihm heraus fällt, womit er dann anscheinend die Ruhe und Ordnung nicht mehr gefährden kann.

Mit dummer Regelmäßigkeit bedienen die Massenmedien das Bild der Unruhe, der Störung und des Lärms, man denke an die Darstellung der Proteste gegen den G 20 Gipfel in Hamburg. Als im Sommer 2009 französische Arbeiter ihre Fabrik besetzten und drohten, diese in die Luft zu sprengen, wurde dies bezeichnenderweise ,mit den Worten kommentiert: “Frankreich kommt nicht zur Ruhe”. Die gesamte Berichterstattung lief letztendlich darauf hinaus, die Proteste rein als Lärm oder wahlweise als Krawalle oder als Riots zu klassifizieren.

Diese Rede von Unruhen und Krawallen ermöglicht es, die politischen Forderungen und Inhalte des Protests zu ignorieren und gebetsmühlenhaft das Moment der Störung herauszustellen. Es geht rein um das Ideal einer reibungslosen Ordnung, eines ungehinderten Fließens der Ströme,und des unbedingten Funktionierens einer absonderlichen Bürgerfabrik. So besitzen die Meldungen zu den Verkehrsbehinderungen, die durch Demonstrationen hervorgerufen werden, oft einen penetranten Status, ihre Fokussierung zeugt wie die Floskeln von Unruhe und Krawall davon, dass politischer Widerstand innerhalb der kybrnetischen Logik als Störgröße, als Rauschen bzw. als Entropie begriffen und damit von seinem politischen Inhalt und seiner Drastik vollkommen entleert wird.

Kommen wir zur Demokratie.

Foto: Bernhard Weber

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