Die radikale Indifferenz von Facebook & Co ist tief in das Kapital eingeschrieben

Shosana Zuboff bezeichnet in ihrem Buch Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus  Facebook & Co als die Herren der radikalen Indifferenz. Es entsteht eine neue Akkumulationslogik, in der das Überwachungskapital menschliches Verhalten und dessen scheinbar nutzlosen Überschüsse extrahiert, das heißt Daten, die mit anderen Daten kombiniert werden, aufsaugt, um intelligente Maschinen zu füttern und aus ihren algorithmischen Prozessen Vorhersagen über das Verhalten zu produzieren, die als Derivate auf Verhaltensterminkontraktmärkten verkauft werden. (Zuboff 2018: 125) Dabei verflüchtigt sich der Content zum austauschbaren Material, das den Konsumenten animieren soll, innerhalb des 24/7-Taktes irgendwie am Ball zu blieben, in dem er so viel wie möglich selbst postet und gepostetes Material kommentiert, liked, tauscht und archiviert. Es herrscht bei Facebook eine radikale Indifferenz, die dazu führt, dass »Content ausschließlich nach Volumen, Diversität und Tiefe des anfallenden Überschusses« (Zuboff 2018: 578) beurteilt und gemessen wird, und zwar anhand der anonymen Maße von »Klicks, Likes und Verweildauern – und das trotz der offensichtlichen Tatsache, dass er (Überschuss) seine zutiefst unterschiedlichen Bedeutungen aus zutiefst unterschiedlichen menschlichen Situationen bezieht (ebd.).« Damit hat sich das Verhältnis von Differenz und Konsolidierung/Standardisierung verschoben. Wir halten uns immer noch an die Versität (Gleichmachung), eine Inversion und Mutation der Diversität, die nicht die Eliminierung von Differenz bzw. der sozial-kulturellen Differenzierung meint, ganz im Gegenteil benutzt Versität die Differenz als ihr reales Substrat, um bestimmte standardisierte Organisationssysteme zu generieren. Ständig werden neue Ordnungssysteme und Machttechnologien generiert, welche die Differenzen absorbieren oder modulieren. Dagegen kommt es bei der radikalen Indifferenz zu keiner Konsolidierung der Differenzen, vielmehr gelten die Differenzen, die unterschiedlichsten Inhalte, ja sogar Positives und Negatives als äquivalent. Die Differenzen, die sich in Bildern, Videos und Texten materialisieren, sind der bedeutungslose Rohstoff, der extrahiert und als Verhaltensüberschuss von Usern prozessiert wird. Derart gelten alle Differenzen als äquivalent, oder, um es anders zu sagen, jede spezifische Bedeutung löst sich im Strom von Differenzen auf, was wiederum heißt, dass gegenüber der Bedeutung an sich einen radikale Indifferenz herrscht. Differenz ist gleich Indifferenz, so lautete die Formel. Diese Art der Äquivalenz macht den sichtbaren, fließenden Text bei Facebook generell anfällig für Fake News, was von den Überwachungskapitalisten, solange keine Einwände kommen, gerne hingenommen wird, da schließlich jeder Content für die Black Box bzw. für den Schattentext zählt, den die Maschinenintelligenz operiert, um verkaufbare Vorhersageprodukte an den Verhaltensderivatmärkten an Werbekunden zu liefern.

Dem postfaktischen Zeitalter ist die unaufhörliche Generierung und Interpretation von Daten immanent, was allerdings längst nicht ohne die Ausschaltung der Bedeutung an sich verläuft. Die Verflüssigung der Bedeutung im endlosen Datenbrei in Folge der permanenten Suche nach Mustern und Korrelationen in den produzierten Datenmengen heißt nicht, wie etwa von Baudrillard mit seiner Simulationstheorie angenommen, dass jede spezifische Bedeutung verschwindet und die Zeichen indifferent lediglich noch im Als-Ob zirkulieren, sondern dass die Extraktion von Bedeutung an sich immer intensiver um sich greift, gerade aufgrund des Faktums, dass nach wie vor be- und gedeutet werden muss, unabhängig davon, was nun im Einzelnen bedeutet wird. Dies liegt in der letzten Instanz in der auf die Zukunft ausgerichteten Kapitalisierung, die sowohl das Geld als auch die Bits in ihrer Austauschbarkeit als auch eine auf die Zukunft kalkulierende Vermehrung des Kapitals umfasst, einzig zu dem Zweck, alles und jedes als Finanzanlage zu inszenieren, die, unabhängig vom Basiswert, auf den sie sich angeblich bezieht, nichts außer Rendite erwirtschaften soll.

Bezüglich der Austauschbarkeit von Bits erweist sich der Computer als ein Zeichentransformator,der reine Information prozessiert, aber nicht ohne Inhalt, sondern mit beliebigem und austauschbarem Inhalt. So wie Geld gegen Ware austauschbar sein muss, gleichgültig, gegen welche, so müssen Bits etwas bedeuten, gleichgültig, was sie bedeuten. Geld und Bits indizieren Kommunikation eben ausschließlich unter dem Aspekt der Negation einer spezifischen Bedeutung. Oder, um es anders zu sagen, unter Ausschluss jeder Bedeutung, außer der, dass unaufhörlich bedeutet werden muss, sodass Dassheit oder die die durchkreuzte Perspektive des Sinns hier eindeutig in den Vordergrund tritt. Es kommt deshalb gerade auch bei der gegenwärtigen Dateninvasion zu keinem Bedeutungsverlust, sondern zu einer Bedeutungsüberproduktion, die der durch das Kapital gesetzten Gleichgültigkeit jeder spezifischen Bedeutung gegenüber komplementär ist, aber es muss ja nach wie vor bedeutet werden, ansonsten fiele das System auseinander. Diese Art der Bedeutungsüberproduktion macht den wirklichen Verlust an Bedeutung aus.

So zeichnet sich heute das kreative Vermögen der Hightech-Paranoia weniger durch einen Mangel an Orientierungswissen als durch die Überproduktion von Bedeutung aus, die aus dem Spiel resultiert, dass es überhaupt Bedeutung gibt. Wenn Bedeutungen in vielfach zirkulierenden artifiziellen Deutungsverfahren austauschbar werden, woraus die Kämpfe um die Deutungen erst entstehen, dann folgt quasi zwangsläufig eine wahnwitzige Suche nach der Bedeutung. Während das Kapital durchaus mit dieser Art des Bedeutungsverlusts durch die Überproduktion von Bedeutungen leben kann, so ist das für den Staat nicht ohne Weiteres möglich, denn wie wir gesehen haben, mit ihm ist die Äquivalenz aller Bedeutungen in Frage gestellt, wenn er als der Standpunkt aller Standpunkte ausgewiesen werden soll.

Man könnte mit Lacan sagen, dass der ungefilterte Datenstrom der Bereich des Realen ist, während Informationen und Metadaten die Realität wiedergeben, eine durch kognitive Filter und technologische Infrastrukturen intelligibel gemachte Welt, die selbst wiederum aus Registern des Imaginären und Symbolischen zusammengesetzt ist. Unentwegter Anfall von Daten, Informationen und Meinungen, die geradezu hysterisch, insbesondere in den sozialen Netzwerken, aufeinander reagieren, als gleich und als verschieden in jedem Moment, um Wahnaggregate und Illusionsabfälle jedweder Art zu erzeugen. All das ist aber keineswegs offen in dem Sinne, dass ein Beobachter die Differenz von Vorher/Nachher so setzt, dass er weder die eine noch die andere Seite bezeichnet, sondern die Differenz selbst, nämlich die Gegenwart, die wiederum selbst als Differenz ein Nicht-Ort ist und damit offen bleibt.

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