DIE RÜCKKEHR DES »HÄSSLICHEN DEUTSCHEN«

Was zum Teufel ist da über uns gekommen? Diese Welle von boshaftem Nationalismus, hemmungslosem Egoismus, Niedertracht und Rassismus, die unter Führung der Regierung Merkel, Gabriel und Schäuble, und unter den Peitschenhieben nicht nur des bekannten Mediums der Niedertracht, der Bild-Zeitung, sondern auch der „bürgerlichen“ Presse Besitz ergriffen hat vom deutschen Mainstream, ganz so, als hätte man dort nur auf eine Gelegenheit gewartet, das so lange mühsam verborgene „wahre Gesicht“ endlich wieder zeigen zu dürfen! Gewiss nicht zu Unrecht spricht die italienische Zeitung „Il Manifesto“ davon, dass die deutsche Rhetorik gegenüber den „faulen“ und „parasitären“ Griechen verdächtig nach den Mustern des Antisemitismus klingt. Nicht zu Unrecht meint der zurückgetretene griechische Finanzminister Varoufakis, diese Eurozone (und eine Eurozone ist, weiß der Himmel, etwas anderes als das, was wir uns einmal von Europa erhofft haben) sei kein guter Ort für ehrliche und anständige Menschen. Und nicht zu Unrecht sprechen selbst erzkonservative Medien in den USA wie in Europa von einem „Pyrrhussieg“ der Deutschen Politik. Sie setzen ihre Linie der sozialen Kälte und der erbarmungslosen Austerität, ihre Hegemonie in Europa zwar durch – aber der Preis dafür ist hoch: Deutschland und die Deutschen werden wieder mit Misstrauen, Furcht und kultureller Verachtung bedacht. Sie haben nichts dazugelernt, diese Deutschen, sagt man. Nicht einmal die eigene Entschuldung, die man ihnen als Motor einer wahrhaft wunderbaren ökonomischen Aufstiegsgeschichte gewährte, haben sie im Gedächtnis wenn es um den eigenen Vorteil geht. Wieder laufen sie den Propagandisten nach und wählen den missgünstigsten aller Hardline-Vertreter deutscher Austeritätshegemonie zum „beliebtesten Politiker“, wieder benutzen sie rassistische Stereotypen gegenüber einem Volk, in das sie einem Vierteljahrhundert noch so verschossen waren, dass sie zur touristischen, ökologischen und kulturellen Gefahr der Inselwelt in der Ägäis werden konnten. Und wieder ist ihnen das Erschrecken der Welt gerade recht, um das Nationalgefühl noch zu stärken. Ja, sagt man, diese Deutschen fühlen sich erst richtig wohl, wenn der Rest der Welt sie hasst.

Haben wir das verdient? Ich fürchte ja. Denn auch jene, die jetzt erschrocken sind, die sich schämen, als Deutsche identifiziert zu werden, die vor einem verschäubleten Europa nicht minder Angst haben als die Menschen in den „peripheren“ südlichen Regionen dieser vermaledeiten Eurozone, die von Europa weiter entfernt ist als wir je in unserer Geschichte waren, müssen sich fragen lassen, wie sie das geschehen haben lassen können, wie aus nationalistischem Geifer, herzloser Interessenpolitik und schierem Opportunismus eine Politik entstehen konnte, die anti-demokratisch, anti-europäisch und antisozial zugleich genannt werden darf. Die Politik der Merkel-Regierung ist schlimm genug; das propagandistische Grundrauschen, das sie begleitet aber ist eines zivilisierten Europäers absolut unwürdig.

Die „Behandlung“ der Griechenland-Frage durch die deutsche Regierung und die deutschen Medien hat nicht nur Auswirkungen auf, natürlich, die Bevölkerung in Griechenland und in ganz Europa, sondern auch und insbesondere auf die Menschen in Deutschland selbst. Es war von Anbeginn dieser Krise offenbar, dass es nicht allein um die Durchsetzung einer nationalen Interessenpolitik, um ökonomische Erpressung und Radikalisierung der neoliberalen Grundelemente, Liberalisierung (des Arbeitsmarktes, der Altersversorgung, der öffentlichen Fürsorge), Privatisierung und Kapitalisierung ging, um das Cracken eines „geschlossenen“ Marktes auch, sondern darum, ein Exempel zu statuieren, zu disziplinieren, zu hegemonialisieren. Ziel der deutschen Politik war es nie allein, gleichsam einem todkranken Patienten noch Blut abzuzapfen, sondern immer auch eigene, postdemokratische Machtmodelle durchzusetzen. Ob die „Troika“, wie Varoufakis erzürnt meinte, „terroristisch“ sei, mag dahingestellt sein, definitiv aber hat sie nichts mit einem demokratischen und solidarischen Europa zu tun. Entsprechend allergisch reagierte man auf alle Versuche des demokratischen Widerstands. Zweimal schrie man vor Wut auf, als das griechische Volk zum Referendum gebeten wurde, und als es gar wagte, eine linke Gegenbewegung an die Regierung zu wählen, war es um die deutsche Contenance geschehen. Wenn so angelegentlich vor einer „Ansteckungsgefahr“ gewarnt wurde, dann war damit nicht nur die Schuldenfalle gemeint, sondern auch diese linke Unbotmäßigkeit. An Griechenland musste, im Sinne des deutschen postdemokratischen Hegemonialisierungsstrebens, exemplarisch abgestraft werden, was dem verschäubleten und vermerkelten postdemokratischen Europa als Eurozone, als willfähriger Markt und geflissentlicher Schüler des neoliberalen Extremismus à la Berlin widerspricht.

Die deutsche Mehrheit kann mithilfe einer im rapiden moralischen und politischen Niedergang befindlichen Presse leicht auf dieses Projekt eingeschworen werden. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist der schlichte Umstand, dass man sich, eine Zeit wenigstens, zu den Gewinnern zählen darf. Nachdem man den Menschen eingeredet hat, dass es „uns“ nur aufgrund dieser bizarren Mischung von Austerität und Neomerkantilismus so gut geht (besser jedenfalls noch als den anderen), ist es ein leichtes, ihnen auch noch einzureden, dass faule Griechen diese Überlegenheit in Frage stellen könnten. Nahtlos geht die Bild-Zeitung von der allgemeinen Stimmungsmache in die Verschwörungsphantasie über: „Jetzt enthüllt: Griechen-Minister plante Staatsstreich!“

Im niederträchtigen Griechenland-Bild übermalen die Deutschen, unter vielem anderen, ihre eigenen „Sünden“. Fakt ist schließlich, dass in Griechenland vor der Krise die Produktivität so hoch war, dass sie die deutsche sogar übertraf. Doch was machten diese Griechen mit ihrem dadurch gestiegenen Wohlstand? Sie machten dasselbe wie die Deutschen in ihrem Wirtschaftswunder: Sie konsumierten, sie unternahmen Reisen, sie ließen es sich gut gehen. Das konnte das deutsche Volk, das den Gürtel enger schnallen, die Ausländer aussperren und die „Sozialschmarotzer“ hassen gelernt hatte, nicht ertragen. Im Griechen hasst der Deutsche seine eigene unterdrückte Lust und seinen eigenen unterdrückten Willen zur Rebellion.

Der entscheidende Schritt, gerade in Richtung auf die fundamentale Postdemokratie und das germanisierte, antidemokratische und antisoziale Europa, besteht in einem bemerkenswerten Schulterschluss zwischen den Pop-Phantasien der deutschen Niedertracht, die endlich wieder ein Objekt gefunden hat, auf das man nach Herzenslust trampeln darf, und der kalten Macht- und Interessenpolitik der deutschen Regierung. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die nicht mehr zu kontrollieren ist. Der hässliche Deutsche kann immer nur noch hässlicher werden, andernfalls wäre er mit dem Umstand konfrontiert, dass er ein gescheiterter Deutscher ist. Schon wieder!

Deutschland errichtet derzeit ein Europa, das die Mehrzahl der Menschen in Europa nicht will, das der Mehrzahl der Menschen in Europa schadet, auch wenn es ihrer Wirtschaft und ihren Regierungen nutzen könnte. Rebellionen gegen diese Politik werden mit einer Form der ökonomischen und sozialen Gewalt niedergeschlagen, die die Ausmaße eines europäisierten Klassenkrieges gegen die Verlierer annimmt. Was aber als schmerzhafter Prozess des Erhalts der Eurozone um jeden Preis erscheinen mag, und dabei die politische und kulturelle Idee Europa vernichtet, wird am Ende auch die Eurozone ruinieren. Nur dass nicht die armen, sondern die reichen Ökonomien aus dem Euro ausscheren. Vielleicht wäre ja eine Drachme zum Billiggeld gegenüber dem Euro geworden. Möglich ist aber auch, dass der Euro bald zum Billiggeld gegenüber dem Geld der Gewinner wird.

Der Schulterschluss zwischen Austeritätspolitik und halbfaschistischer Stimmungsmache steuert so oder so auf einen Zerfall Europas hin. Wird es kein deutsches Europa geben, so wird es ein verändertes Deutschland geben. Eine Rückkehr zu zivilisiertem Verhalten scheint nun nicht mehr möglich.

 

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