Die Verschuldung der Peripherie und die Tendenz der Entdollarisierung

Die niedrigen internationalen Zinssätze und die Politik der quantitativen Lockerung (QE) während und nach der globalen Finanzkrise von 2008 trugen dazu bei, den Anstieg der Auslandsverschuldung und der Schuldendienstzahlungen in allen Entwicklungsregionen zu forcieren.

Die Länder des Trikonts und Schwellenländer nutzten die günstigeren Kosten für die Emission von Auslandsschulden (größtenteils in Dollar) im Vergleich zu Inlandsschulden, obwohl die gestiegene Nachfrage nach Dollar den Wert des Dollars erhöhte und damit die Dominanz und Macht der Federal Reserve als globale Zentralbank verstärkte. Begünstigt wurde dieser Prozess durch die zunehmende Bedeutung des internationalen Markts für Staatsanleihen als wichtige Finanzierungsquelle für Schwellen- und Entwicklungsländer, der die von Banken vermittelte grenzüberschreitende Finanzierung übertraf. Ausländische Investoren waren ihrerseits bereit, durch Investitionen in Schwellenländern im Gegenzug für höhere Renditen mehr Risiken einzugehen. In einigen Fällen wurde auch der internationale Anleihemarkt genutzt, um bestehende, auf die Landeswährung lautende Schuldverschreibungen zu begleichen.

Während der Pandemie vermittelte die zunehmende Verfügbarkeit von spekulativem Kapital in Form von kurzfristigem Kapital den Ländern in der Peripherie ein falsches Gefühl der Sicherheit. Der Prozess der Verschuldung erhöhte jedoch die Anfälligkeit der Peripherieländer für Veränderungen der internationalen Zinssätze und der nominalen Wechselkurse, die vor allem finanzielle Auswirkungen haben. Kurzfristig wird der Handel der Entwicklungsländer in Fremdwährung fakturiert und ihre Exporteure sind im Allgemeinen nicht gegen Währungsschwankungen abgesichert. Langfristig hat die Zahlungsbilanzliteratur hinreichend gezeigt, dass die Preiselastizitäten von Exporten und Importen statistisch unbedeutend sind.

Wechselkursschwankungen gehen mit Veränderungen der Risikoindizes einher, sodass eine Abwertung (Aufwertung) des Wechselkurses zu einem Anstieg (Rückgang) der Risikowahrnehmung der Entwicklungsländer führt. In Verbindung mit dem Anstieg der Auslandsverschuldung und deren Bedienung setzt dies der Finanzpolitik Grenzen und erhöht die Kosten der Auslandskreditaufnahme.

Diese Risikowahrnehmung überträgt sich auf den Produktionsbereich, da der Index für das Länderrisiko die Entwicklung des Index für das Unternehmensrisiko bestimmt. Zu diesem Übertragungskanal kommen noch die Auswirkungen der Wechselkursschwankungen auf die Bilanzen des nichtfinanziellen Unternehmenssektors und des Finanzsektors hinzu, da deren Finanzlage dadurch gekennzeichnet ist, dass Fremdwährungsverbindlichkeiten oft nicht vollständig durch Fremdwährungsaktiva abgesichert sind. Eine Wechselkursabwertung verschlechtert die Bilanz derjenigen Unternehmen, die sich im Ausland verschuldet haben. Wenn Unternehmen, die sich in einem Mismatch befinden, beschließen, Devisen zu kaufen, um ihre Fremdwährungsverpflichtungen zu erfüllen, kann die erhöhte Nachfrage nach Devisen die Wechselkursabwertung verschärfen. Dies wiederum kann die Kapitalabflüsse verstärken und die Schuldenlast erhöhen, was den Übergang zur finanziellen Fragilität unterstreicht.

Diese Schwachstellen wurden mit der Verschärfung der internationalen Finanzbedingungen als Reaktion auf den Anstieg der Inflation im Jahr 2021 nach der Pandemie deutlich. Der kontraktive Kurs der Geldpolitik wirkte sich nicht nur auf die internationalen Finanzierungsbedingungen in den Schwellenländern aus, sondern auch auf die inländischen Finanzierungsbedingungen. Empirische Belege für Schwellen- und Entwicklungsländer zeigen, dass der Dollar-Index nicht nur mit einem höheren Spread der Fremdwährungsrenditen, sondern auch mit dem der Lokalwährungsrenditen verbunden ist.

Die globalen Liquiditätsbedingungen, die sich in nominalen Wechselkursänderungen widerspiegeln, beeinflussen die Rentabilität ausländischer Investoren, die Wertpapiere in lokaler Währung halten. Eine aktuelle oder erwartete Abwertung der Landeswährung gegenüber dem Dollar impliziert aktuelle und erwartete Kapitalverluste, was das Risiko ausländischer Anleger, die Wertpapiere in Landeswährung halten, erhöht. Auf diese Weise hat eine Abwertung des nominalen Wechselkurses eine verstärkende Wirkung auf die Risikobedingungen an den Wertpapiermärkten in Landeswährung. Die meisten Zentralbanken der Peripherie haben eine begrenzte Feuerkraft und sind lediglich Marktbeobachter. Das Ausmaß, in dem sie auf dem inländischen Anleihemarkt intervenieren können, wird durch das Ausmaß, in dem eine Abwertung der Landeswährung erwartet wird, und durch die Untergrenze des internationalen Zinssatzes begrenzt. Das Ausmaß, in dem sie auf dem Devisenmarkt intervenieren können, wird durch den Bestand an internationalen Reserven begrenzt.

Gleichzeitig haben wir es mit einem anderen Trend zu tun. Es ist kein Zufall, dass die meisten Länder der Welt sich nicht den Sanktionen des Westens gegen Russland anschlossen haben, sondern begannen, ihre Beziehungen zu Russland und China zu stärken, um ihre Abhängigkeit vom Dollar-System zu verringern.  Die Entdollarisierung hat viele Formen, aber drei sind besonders leicht zu erkennen: die Abwicklung internationaler Transaktionen in anderen Währungen als dem Dollar, vor allem dem chinesischen Yuan, die Verringerung des Anteils des Dollars an den weltweiten Devisenreserven und der Rückgang der ausländischen Bestände an US-Staatsanleihen.

Im internationalen Zahlungsverkehr hat die Rolle des Yuan (und anderer Währungen) im vergangenen Jahr einen massiven Aufschwung erfahren. Das offensichtlichste Beispiel ist Russland, das durch die westlichen Sanktionen praktisch gezwungen wurde, den Yuan für die meisten seiner internationalen Transaktionen zu verwenden. Aber auch mehrere andere große Länder – darunter Brasilien, Argentinien, Pakistan und Bangladesch – haben bereits der Verwendung des Yuan oder ihrer eigenen Währungen für die Abwicklung ihrer internationalen Transaktionen zugestimmt (oder verhandeln gerade darüber). In der Zwischenzeit arbeiten die BRICS auch an der Entwicklung einer internationalen Währung nach dem Vorbild der von Keynes vor 70 Jahren vorgeschlagenen synthetischen Alternative, dem Bancor, der von den Amerikanern zugunsten eines Systems abgelehnt wurde, das sich an ihrem Dollar orientiert.

Betrachtet man die Zusammensetzung der globalen Währungsreserven, so ist die Verschiebung hin zu einer Entdollarisierung vielleicht weniger offensichtlich. Der US-Dollar dominiert mit einem Anteil von rund 60% an den weltweiten Währungsreserven immer noch, während der Yuan weniger als 3% ausmacht. Den aktuellen Trends zufolge schrumpft jedoch der Anteil des Dollars an den Reservewährungen mit dem 10-fachen der durchschnittlichen Geschwindigkeit der letzten zwei Jahrzehnte. Die Zentralbanken tauschen den Dollar größtenteils gegen Gold aus, während die Gläubiger in Übersee – insbesondere China, Japan und Saudi-Arabien – zunehmend US-Staatsanleihen abstoßen.

Skeptiker argumentieren weiterhin, dass es unüberwindbare technische und institutionelle Hindernisse für den Niedergang des Dollars gibt. Sie weisen zum Beispiel darauf hin, dass es Größenvorteile gibt, die zu einem relativen Monopol beim Reservewährungsstatus führen, und dass der chinesische Yuan nur dann eine echte Reservewährung werden kann, wenn die Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft werden und der Wechselkurs flexibler gestaltet wird. Außerdem müsse ein Reservewährungsland – wie die USA – permanente Leistungsbilanzdefizite in Kauf nehmen, um die Nachfrage der Welt nach seiner Währung zu befriedigen.

Damit der Yuan den Dollar ablösen kann, müsste es also große Veränderungen an den chinesischen Finanzmärkten und in der Geld- und Wirtschaftspolitik geben. Das sind berechtigte Behauptungen, aber sie lassen einen grundlegenden Punkt außer Acht: Der Prozess der Entdollarisierung ist in erster Linie geopolitischer und nicht wirtschaftlicher Natur. Es geht nicht nur darum, ein “effizientes” System zu finden, sondern darum, die westliche Währungshegemonie herauszufordern. Außerdem bedeutet die Entdollarisierung nicht notwendigerweise die Ersetzung des Dollars durch den Yuan, sondern die Verteilung der Währungsreserven auf mehrere großen Währungen und andere Vermögenswerte, wie Rohstoffe wie Gold.

Die Abhängigkeit der Welt vom Dollar macht die Volkswirtschaften übermäßig anfällig für Veränderungen in der US-Geldpolitik, wobei Phasen der geldpolitischen Lockerung oder, wie jetzt, der Straffung dramatische Auswirkungen auf den Rest der Welt haben.  Die Dominanz des Dollars hat zweifellos den imperialen Eliten Amerikas genutzt, denn er zieht Kapital an. Sie hat es den USA ermöglicht, ein Regime ständiger Kriege aufrechtzuerhalten und darüber hinaus die finanzielle Vorherrschaft über einen Großteil der Welt auszuüben. Für Amerika bedeutete die Beibehaltung der Weltleitwährung aber auch permanente Handelsdefizite, die seine Industrie- und Fertigungskapazitäten und seine Fähigkeit, seinen Arbeitskräften gut bezahlte Arbeitsplätze zu bieten, ernsthaft untergraben haben.

Foto: Bernhard Weber

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