Exzerpt from the Book: Quant-Theory. Materialism, Philosophy and Quantum-Science

This is from a forthcoming book in spring 2024

Laruelle bietet hingegen eine Konzeption an, die die Quantentheorie als Wissenschaft mit der Philosophie verbindet. Das Transzendentale und das Apriori haben für Laruelle heute in der Philosophie ihren Inhalt und ihre Bedeutung deutlich verändert. Die Philosophie bleibt insofern transzendental, als deren Bestimmung als Apriori eine Überlagerung und eine Verflechtung beinhaltet, die das Quantenreal und das Universum verweben. So nimmt das Transzendentale endlich den Gedanken des Universums auf und wechselt in die Quantenform der Superposition. Es geht nun darum, zwei Ereignisse zusammenzudenken, nämlich das Quantische und das Transzendentale. Während das Quantische die Superposition von Wellen erfordert, ist das Transzendentale einseitig und in Bezug auf sein Zentrum stets verschoben (im Gegensatz zu einem transzendenten Punkt oder Gipfel); es handelt sich hier um eine asymmetrische und vertikale Bestimmung durch einen äußeren/inneren Gipfel. (Ebd.) Dies ist keineswegs als eine philosophische Umkehrung des Platonismus zu verstehen, sondern als eine wissenschaftliche oder quantenwissenschaftliche Infusion, die hier deshalb wissenschaftlich möglich ist, weil die Quant-Theorie auch wieder Aspekte philosophischer, aber nicht idealistischer Provenienz aufnimmt.

Die erste Reaktion der Erfinder der Quantenphysik auf die seltsamen Ergebnisse, die sich aus ihren Gleichungen ergaben (Zeit- und Raumlosigkeit im Bezugsuniversum, Nichtlokalität der Teilchen, Auflösung des Identitätsprinzips etc.) war es, so zumindest Baudrillard, die mikroskopische Welt als radikal fremd zu betrachten. Die Quantentheorie als eine neue Form der Ganzheit in der Physik zu verstehen, der Relationen und Möglichkeiten als wesentliche Merkmale zugeschrieben werden können, schien auf den ersten Blick ganz abwegig zu sein. Baudrillard schlägt hingegen vor, die mikroskopische Welt so zu akzeptieren, wie die Quantentheorie sie darstellt, wobei das Seltsame für ihn nicht in der Seltsamkeit der mikroskopischen Welt, sondern in der Nicht-Seltsamkeit der makroskopischen Welt liegt. Baudrillard fragt, warum es nicht seltsam sei, dass man ohne weiteres annehme, dass die Konzepte der Identität, der ausgeschlossenen Mitte, der Bestimmung der Zeit und des Raums in der makroskopischen Welt wirksam seien. (Baudrillard 1996: 29) Aber ist es nicht längst so, um hier gegen Baudrillard zu argumentieren, dass die Quantentheorie für physikalische Wirklichkeiten jedweder Größenskalen zuständig ist, wie das z. b. der Physiker Palomaki unlängst bewiesen hat, wenn er zeigt, dass ein Quantenfeld und ein klassischer Oszillator verschränkt vorliegen können, was nichts anderes heißt, als dass klassische faktische Wirklichkeiten der Mechanik mit quantischen potenziellen Wirklichkeiten verschränkt vorliegen. (Palomaki: 2013) Auch der Quantenphysiker Diederik Aerts gelangt zu der These, dass die quantische Verschränkung nicht nur im Mikrobereich, sondern ebenso im klassischen Makrobereich vorliegen kann.[1] (Aerts 2014) Dem Nobelpreisträger Anton Zeilinger und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, Quantensysteme aus Licht mit einer Ausdehnung von 100 km so zu präparieren, dass an ihnen Messungen durchgeführt werden konnten. So ein System bildet aus ursprünglich zwei Photonen ein einheitliches Ganzes, ein Diphoton, welches sich ausdehnt. (Görnitz/Görnitz 2016: 412)

Schon der Physiker John von Neumann ging im Jahr 1939 davon aus, dass der Schnitt zwischen Mikro- und Makrosystemen nur willkürlich erfolgen kann, womit auch letztere in Quantensuperpositionen geraten können, und das schließt die Messgeräte der Wissenschaftler, ihre Körper und ihre Gehirne ein.

Man muss also noch einen Schritt weitergehen als Baudrillard und muss dann der Quantentheorie mit dem Quantenphysiker Thomas Görnitz oder eben auch mit Laruelle eine kosmologische Dimension zugestehen. Görnitz schreibt: »Vom Beginn des Universums an erweist sich die fundamentale Substanz als eine quantische Struktur. Die Protyposis liegt, ontologisch gesehen, noch ›vor‹ allen verschiedenen ›Typen‹ der Erscheinungen. Sie hat das Potenzial in ›Form‹ zu kommen, sich zu gestalten, zu ›Gestalten zu werden‹. Die Protyposis ist also wesentlich eine Informationsstruktur, die aber zunächst bedeutungsfrei ist. In Beziehung zum Lebendigen kann sie zu etwas Bedeutungsvollem werden« (ebd.: 23). Das Universum als Ganzes hat einen beständig unbestimmten Quantenzustand, eine nicht zusammenbrechende Wellenfunktion, das heißt, es ist kein abgeschlossenes System. Aus dem Begriff des Universums folgt schon, dass es weder ein äußeres Maß der Zeit noch ein äußeres Maß des Raumes hat. Es gibt also weder einen Raum um sich herum, in den es sich ausdehnen könnte, noch eine Zeit, in der es sich abspulen könnte. Vielmehr generiert es beides aus sich selbst heraus, und zwar durch interne fraktale, quantenhafte und multidimensionale Verschränkung, wobei selbst der Beobachter ein Ensemble des Universums ist. Die Systemtheorie eine Niklas Luhmann hat dem hinzugefügt, dass es sich dem Beobachter nicht um ein Subjekt mit Bewusstsein handeln muss, sondern dass man ihn rein formal definieren kann, nämlich als ein Sinnsystem, das im Zuge der Verkettung von Beobachtungen zahlreiche Unterscheidungen und Bezeichnungen durchführt. Für die Quantentheorie bleibt der Beobachter ein Paradox, insofern die Realität eines Objekts durch den Akt der Beobachtung bestimmt wird. Ansonsten existiert in der Formlosigkeit eines wahrscheinlichen Feldes oder in der Superposition, in der ein Partikel in einer arbiträren Anzahl von diskreten Positionen gleichzeitig sein kann. Diese Superposition ist nicht beobachtbar; durch einen Kollaps kann aber eine singuläre diskrete Position hervorgebracht werden, womit Beobachtung als Form-Produktion möglich wird. Die Superposition ist kein physikalisches Objekt.

Der Meso-Welt steht also nicht nur das unendlich Kleine gegenüber (man wird im Übrigen nie letzte kleine Teilchen finden; es geht in der Quantentheorie auch nicht um das Kleine, sondern um das Exakte und das Unbestimmte), sondern auch das Universum als unendlich Großes. So wie sich das mikroskopische »Unbewusste« in der Welt manifestiert, so manifestiert sich auch das große makroskopische »Unbewusste« in der Welt. Letzteres durch eine Reihe von Symptomen, die die Sterne und Galaxien im Universum sind. Diese Dualität der Unendlichkeiten zerbricht die Einheit des Unbewussten, das die Welt umspült. Laruelle schreibt, dass man den »Willen zur Macht« nicht durch den Willen zur Wissenschaft ersetzen sollte, sondern durch den »Willen«, vom indifferenten und schwarzen Universum überdeterminiert zu werden.[2] (Laruelle 2019) Aber auch unsere Meso-Welt ist schon global (und planetarisch): Batailles allgemeine Ökonomie zum Beispiel bezieht ihre Bedingungen und Ergebnisse aus der Notwendigkeit der globalen Konfigurationen. Auch die Quantenmechanik impliziert sehr komplexe Beziehungen zwischen lokalen und globalen Ökonomien. Einige dieser Komplexitäten zeigen sich bereits in den frühesten Formulierungen der Quantenmechanik. (Vgl. Plotnitsky 1994)


[1] Der Quantenphysiker Thomas Görnitz unterteilt drei Arten von Quanten: Die erste Klasse beinhaltet Quanten mit einer Ruhemasse, die im Raum verbleiben (Elektronen, Protonen und Neutronen etc.). Die zweite Klasse beinhaltet Quanten ohne Ruhemasse, die Photonen des Lichts, welche elektromagnetische Wechselwirkungen vermitteln. Die dritte Gruppe umfasst die virtuellen Strukturquanten (Phononen, Quarks, Gluonen, Quantenbits etc.). (Görnitz/Görnitz 2016: 391 f.)  Letztere sind real und wirken auch, treten aber nicht als eigenständige Objekte auf. Görnitz betont, dass Strukturquanten nicht als Teilchen zu begreifen sind, insofern sie sich nicht in Raum und Zeit bewegen und damit als nicht-lokalisiert angesehen werden müssen.

[2] In seinem kurzen Text On The Black Universe erweitert Laruelle die Idee von Schwarz zu einem kosmologischen Prinzip. Weder als eine Ästhetik der Farbe noch als eine Metapher für Wissen und Unwissenheit zu verstehen, ist Schwarz für Laruelle untrennbar mit den Bedingungen des Denkens und seiner Grenze verbunden. Getrennt von »der Welt«, die wir uns nach unserem eigenen, allzu menschlichen Bild machen, und abgesehen von »der Erde«, die unsere Besiedlung ihrer Oberfläche duldet, gibt es »das Universum« – indifferent, undurchsichtig, schwarz: »Schwarz vor dem Licht ist die Substanz des Universums, das, was der Welt entkam, bevor die Welt in die Welt hineingeboren wurde« (Laruelle 2022).


Laruelle, on the other hand, offers a conception that connects quantum theory as science with philosophy. For Laruelle, the transcendental and the a priori have clearly changed their content and meaning in philosophy today. Philosophy remains transcendental insofar as its definition as a priori involves a superimposition and an interweaving that interweaves the quantum real and the universe. Thus the transcendental finally takes up the idea of the universe and changes into the quantum form of superposition. It is now a matter of thinking two events together, namely the quantum and the transcendental. While the quantum requires the superposition of waves, the transcendental is one-sided and always displaced with respect to its center (as opposed to a transcendental point or peak); it is an asymmetrical and vertical determination by an outer/inner peak. (Ibid.) This is by no means to be understood as a philosophical reversal of Platonism, but rather as a scientific or quantum-scientific infusion, which is scientifically possible here because quantum theory again incorporates aspects of philosophical, but not idealistic provenance.

The first reaction of the inventors of quantum physics to the strange results that emerged from their equations (timelessness and spacelessness in the reference universe, non-locality of particles, dissolution of the principle of identity, etc.) was, according to Baudrillard at least, to regard the microscopic world as radically alien. Understanding quantum theory as a new form of wholeness in physics, to which relations and possibilities can be ascribed as essential characteristics, seemed at first glance to be quite absurd. Baudrillard, on the other hand, proposes to accept the microscopic world as it is represented by quantum theory, whereby the strangeness for him lies not in the strangeness of the microscopic world, but in the non-strangeness of the macroscopic world. Baudrillard asks why it is not strange that one readily assumes that the concepts of identity, the excluded middle, the determination of time and space are effective in the macroscopic world. (Baudrillard 1996: 29) But, to argue against Baudrillard here, has it not long been the case that quantum theory is responsible for physical realities of any size scale, as the physicist Palomaki recently proved, for example, when he showed that a quantum field and a classical oscillator can be entangled, which means nothing other than that classical factual realities of mechanics are entangled with quantum potential realities? (Palomaki: 2013) The quantum physicist Die-derik Aerts also comes to the conclusion that quantum entanglement can exist not only in the micro range, but also in the classical macro range. (Aerts 2014) Nobel Prize winner Anton Zeilinger and his colleagues have succeeded in preparing quantum systems of light with an extension of 100 km in such a way that measurements could be carried out on them. Such a system originally consists of two photons and forms a uniform whole, a diphoton, which expands. (Görnitz/Görnitz 2016: 412)
The physicist John von Neumann already assumed in 1939 that the intersection between micro- and macrosystems can only occur arbitrarily, which means that the latter can also end up in quantum superpositions, and this includes the scientists’ measuring devices, their bodies and their brains.

We must therefore go one step further than Baudrillard and, with the quantum physicist Thomas Görnitz or even La-ruelle, admit a cosmological dimension to quantum theory. Görnitz writes: “From the beginning of the universe, the fundamental substance proves to be a quantum structure. Protyposis is, ontologically speaking, still ‘before’ all the different ‘types’ of phenomena. It has the potential to come into ‘form’, to shape itself, to ‘become forms’. Protyposis is therefore essentially an information structure, which is initially free of meaning. In relation to the living, it can become something meaningful” (ibid.: 23). The universe as a whole has a constantly undetermined quantum state, a non-collapsing wave function, i.e. it is not a closed system. It follows from the concept of the universe that it has neither an external measure of time nor an external measure of space. There is therefore neither a space around it into which it could expand, nor a time in which it could unwind. Rather, it generates both from within itself, through internal fractal, quantum and multidimensional entanglement, whereby even the observer is an ensemble of the universe. Niklas Luhmann’s systems theory added that the observer does not have to be a subject with consciousness, but can be defined purely formally, namely as a system of meaning that makes numerous distinctions and designations in the course of concatenating observations. For quantum theory, the observer remains a paradox insofar as the reality of an object is determined by the act of observation. Otherwise, it exists in the formlessness of a probable field or in the superposition in which a particle can be in an arbitrary number of discrete positions simultaneously. This superposition is not observable; however, a singular discrete position can be produced by a collapse, making observation as form production possible. The superposition is not a physical object.

The meso-world is therefore not only confronted with the infinitely small (incidentally, one will never find the last small particles; quantum theory is not about the small, but about the exact and the indeterminate), but also the universe as an infinitely large entity. Just as the microscopic “unconscious” manifests itself in the world, the large macroscopic “unconscious” also manifests itself in the world. The latter through a series of symptoms, which are the stars and galaxies in the universe. This duality of infinities breaks the unity of the unconscious that surrounds the world. Laruelle writes that one should not replace the “will to power” with the will to science, but with the “will” to be overdetermined by the indifferent and black universe. (Laruelle 2019) But even our meso-world is already global (and planetary): Ba-taille’s general economy, for example, derives its conditions and results from the necessity of global configurations. Quantum mechanics also implies very complex relationships between local and global economies. Some of these complexities are already evident in the earliest formulations of quantum mechanics. (Cf. Plotnitsky 1994)

Foto: Stefan Paulus

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