Gegenwärtige Krisentendenzen

In diesem Monat hat die Europäische Zentralbank ihren Leitzins, der die Untergrenze für alle Kreditzinsen im Finanzsektor, in der Industrie und für private Haushalte bildet, erneut angehoben. Letzte Woche beschloss die US-Zentralbank Fed hingegen eine Pause einzulegen.
Das vorgebliche Ziel der Fed und der anderen Zentralbanken besteht darin, die übermäßige Nachfrage in der Wirtschaft, d. h. die übermäßigen Ausgaben von Haushalten, Unternehmen (und Regierungen) zu verringern, indem die Kosten für die Kreditaufnahme auf breiter Front erhöht werden. Der Arbeitsmarkt sei am Limit und die Löhne würden zu stark steigen. Allerdings wurde die jüngste Inflationsspirale nicht durch eine übermäßige Nachfrage, sondern eher schon durch ein unzureichendes Angebot verursacht, insbesondere durch globale Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln, Energie und anderen Rohstoffen, die zunächst die Preise in die Höhe trieben und sich dann auf alle Sektoren ausweiteten. Hinzu kommen die Spekulationstätigkeiten an den Finanzmärkten sowie Preiserhöhungen oligopolistischer Konzerne.
Der Rückgang der Gesamtinflation in den meisten Volkswirtschaften in diesem Jahr ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Inflation der Energie- und Lebensmittelpreise nachgelassen hat und sogar zurückgegangen ist. Dies ist allerdings nicht das Resultat der Zinserhöhungen. Stattdessen haben sich u.a. die Engpässe auf der Angebotsseite verringert.
Das Statistische Bundesamt meldet diese Woche den höchsten jemals beobachteten Rückgang der Erzeugerpreise. Die Preise gewerblicher Produkte sind gegenüber dem Vorjahr um ganze 12,6 Prozent gesunken. Erzeugerpreise (Rohstoffe, Energie etc.) gelten als Frühindikator für die Verbraucherpreise. Auch hier ist deren Fall nicht das Resultat der Zinspolitik der EZB.
Um den Rückgang der Erzeugerpreis einzuordnen, muss man den Basiseffekt einbeziehen. Da der Monat mit den höchsten Preisen während der Pandemie als Basis verwendet wird, kann man einen Rückgang beobachten. Im Vergleich zum Zeitraum vor der Krise sind die Preise jedoch gestiegen. Die größten Rückgänge waren bei Metallen, Betonstahl und Holz festzustellen, also für Rohstoffe für Investitionsgüter aus dem Bausektor, und deren Preisrückgang hat mit der stagnierende Nachfrage zu tun. Auch die Auftragseingänge der deutschen Industrie stagnieren. Zieht man die Großaufträge der Rüstungsindustrie ab, ergibt sich sogar ein Abwärtstrend, der sich seit den Zinserhöhungen der EZB verstärkt hat.
Was den Unternehmenssektor betrifft, so sind die Gewinne der Unternehmen in den meisten kapitalistischen Kernländern nach den Rekordgewinnen während und unmittelbar nach der Pandemie zurückgegangen, da das Produktivitätswachstum stagniert, die Löhne und die Kreditzinsen steigen. Im zweiten Quartal 2023 sanken die Unternehmensgewinne im Vergleich zum zweiten Quartal 2022 in den USA um fast 10 %. Gewinne sind der Leitindikator für produktive Investitionen.
In Frankreich stieg stiegen jedoch die Gewinne trotz des Konjunkturrückgangs und der steigenden Zinssätze weiter an. Sie erreichten zwischen Januar und März 2023 32,3% der Wertschöpfung, gegenüber 31,9% im dritten und vierten Quartal 2022. Unterstützt wurde dies durch die Hilfen, die eingesetzt wurden, um den Schock des Anstiegs der Gas- und Strompreise für die Unternehmen abzufedern. Zudem haben die Unternehmen die Kostensteigerungen (Löhne und Vorleistungsgüter) weitergegeben und damit ihre Gewinne gesteigert und zur Inflation beigetragen.
Die Produktivität im verarbeitenden Gewerbe stagniert jedoch in den meisten kapitalistischen Kernländern. Steigende Kreditkosten und sinkende Gewinne treiben die schwächeren Teile der Wirtschaft in den Konkurs. Bei den Haushalten hat die Inflation die Kaufkraft vermindert; Haushalte müssen Kredite aufnehmen. Das inflationsbereinigte mittlere Haushaltseinkommen der Amerikaner sank im Jahr 2022 auf 74.580 $ und damit um 2,3 % gegenüber der Schätzung von 76.330 $ im Jahr 2021. Im Jahr 2023 ist eine gewisse Erholung zu verzeichnen, da die Preisinflation hinter den Lohnsteigerungen zurückbleibt. Die Zahlungsrückstände haben bei Autokrediten, Kreditkarten und Verbraucherkrediten den höchsten Stand seit 2012 erreicht.
Und trotz umfassender Rettungspakte schwelt die Bankenkrise weiter. Banken wie die SVB wurden durch spezielle Kreditfazilitäten der Fed und durch öffentliche Gelder über die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) gerettet. Die Inanspruchnahme der Notfall-Finanzierungsfazilität der Fed hat mit 108 Milliarden Dollar einen neuen Höchststand erreicht. Die Banken zahlen der Fed 5,5 % Zinsen für diese Kredite. Auf der anderen Seite der Bankbilanzen stehen die Kredite, die sie an gewerbliche Immobilienentwickler vergeben haben (ähnlich wie in China). Die Immobilienpreise sind jedoch um 20 % gesunken, und über 1,5 Billionen Dollar dieser Kredite müssen bis 2025 erneuert werden, wobei sich die Zinssätze mehr als verdoppeln.
Banken haben in großem Umfang in Staatspapiere investiert, deren Kurse jedoch im Zuge der Zinserhöhungen der Fed stark geen sind. Es waren die potenziellen (und realisierten) Verluste aus diesen Wertpapieren, die diese Banken im vergangenen März zu Fall brachten. Dieses Problem ist noch nicht verschwunden. Die nicht realisierten Wertpapierverluste belaufen sich inzwischen auf 558 Milliarden Dollar und steigen weiter an.
Jede kapitalistische Krise ist in gewisser Weise immer eine Krise der Überproduktion ist. Das Problem der SVB waren die zehnjährigen Staatsanleihen, in die viele Banken einen großen Teil ihrer Einlagen investiert hatten. Sie galten als die sichersten und liquidesten Vermögenswerte überhaupt (mit geringen Eigenkapitalanforderungen), doch in Wirklichkeit erwiesen sie sich als anfällig für Veränderungen des monetären Umfelds, denn als die Banken versuchten, sie zu veräußern, fanden sie sich mit einem Wert weit unter ihrem Nominalwert wieder
Obwohl die Einlagensicherung für SVB- und Signature-Konten nur die ersten 250.000 Dollar abdeckte, schützte die US-Regierung alle Einlagen (zu Kosten von über 20 Milliarden Dollar). In der Schweiz wurden bei der Rettung der Credit Suisse durch die Übernahme durch die UBS sogar die Aktionäre geschützt, während 16 Mrd. Dollar an Anleihen annulliert werden mussten. Auf beiden Seiten des Atlantiks haben Regierungen und Zentralbanken den Banken beeindruckende Liquiditätslinien angeboten. Auch wenn die Krise im März durch öffentliche Interventionen abgefedert werden konnte, zeigen uns vorherige Krisen, dass Finanzkrisen langwierig und von Schwankungen durchzogen sein können. In der globalen Finanzkrise von „008 beispielsweise brach Lehman Brothers (September 2008) mehr als ein Jahr nach den ersten Anzeichen der Subprime-Hypothekenkrise (Frühjahr 2007) zusammen.
Der Übergang von der quantitativen Lockerung zur quantitativen Straffung, von der expansiven zur restriktiven Geldpolitik, hat die Finanzwelt wieder transformiert, so dass wir in den kommenden Monaten höchstwahrscheinlich eine Kette von Reaktionen mit unvorhersehbarem Ausgang erleben werden. Banken sind zunehmend nicht mehr bereit, Kredite zu vergeben, so dass viele kleine (und größere) Unternehmen vor dem Zusammenbruch stehen. Selbst wenn die USA im dritten Quartal ein reales BIP-Wachstum verzeichnen, rechnet Goldman Sachs mit einem Rückgang im letzten Quartal 2023, bevor es 2024 zu einer Erholung kommt. Die USA sind mit einer von der Fed prognostizierten Wachstumsrate von 2 %, die sich im nächsten Jahr auf 1,5 % verlangsamen wird, die leistungsstärkste große Volkswirtschaft. Die übrigen G7-Volkswirtschaften befinden sich zum Teil schon in einer Rezession.

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