Laruelle und die generischen Wissenschaften

Laruelle strebt eine nicht-philosophische oder generische Maschine an, die eine ihrer Suffizienz geraubten Philosophie (ohne umfassende Transzendentalität) mit einer ihres mathemathischen Apparats geraubten Quantenphysik (ohne Kalkulation) verbindet. Die Herausdrehung der Nicht-Standard-Philosophie aus der Philosophie und der Nicht-Philosophie mündet für Laruelle in der generischen Wissenschaft, die selbst eine Methode zu entwickeln hat, um die Superposition (Überlagerung) von Wissenschaft und Philosophie unter der Dominanz der ersteren zu produzieren, wobei als Ergebnisse dieser methodischen Operation qua des Einsatzes solcher Instrumente wie Hypothese, Deduktion und Experiment Aspekte und Theoreme anzustreben sind, d. h. geregelte, nachvollziehbare und »richtige« Interpretationen und Transformationen (Äußerungen) des wissenschaftlichen und des philosophischen Materials. (Laruelle 2010b: 262) Jeder wissenschaftliche oder philosophische Diskurs besitzt eine gewisse Materialität und Syntax; der Text selbst ist laut Laruelle ein Ort mit fixierten Teilen und zugleich benötigt er bewegliche Teile zumindest als seine Inputs. Dabei bleiben die methodischen Operationen bei Laruelle nicht auf einen singulären Term als Anker fixiert, wie dies etwa bei Badious leerer Menge noch der Fall ist, sondern sie erfassen die privilegierten Operatoren eines beliebigen theoretischen Materials und entkleiden dessen Operatoren und das Material selbst von unnötigem repräsentationalem Ballast, um es für einen neuen Zweck zu nutzen. Das Ergebnis nennt Laruelle »radikale Konzepte«. Er spricht an dieser Stelle schließlich vom »non-Mandelbrotian fractal«, das von seinen geometrischen und algorithmischen Anforderungen befreit wird, um dem Begriff »Fraktalität« einen nicht-technischen Sinn zu geben und ihn schließlich in eine generische Interpretation umzuleiten, sodass er eine Figur der unteilbaren Selbstähnlichkeit anzeigt, die als Pseudonym für das Reale fungiert. (Vgl. Laruelle 2014: 116 f.) Vom Kontext befreit, vom Inhalt entleert, dient der generische Begriff weniger als Eckpfeiler einer konzeptuellen Architektur, vielmehr zeigt er eine Art schwache Kraft der Identität an: Er dient als das Emblem der Unterdetermination. Diese beinhaltet, dass der Begriff und das Reale letztendlich dasselbe sind, aber nicht als Identität, sondern überlagert (Superposition) in einem Milieu der Interferenzen und der Idempotenz. Was kann nun ein »non-Mandelbrotian fractal« überhaupt bedeuten? Irgendetwas, das man gemäß seiner generischen Fraktalität und seiner Überlappung im Realen als Eines betrachtet. (Ebd.) Während für Badiou der minimale Begriff – die leere Menge – ein absolutes Minimum darstellt (eine strukturierende Kraft), so ist der generische Begriff bei Laruelle nur relativ minimal: gerade einmal minimal genug für (theoretische) Umstände, Konjunkturen und Modelle, die je nach Situation variieren und deshalb multiple generische Operatoren zulassen.

Laruelle benutzt in seinen aktuellen Schriften zur Darstellung der generischen Wissenschaft zwei universelle Quanten-Prinzipien oder Quanten-Axiome, Superposition und Nicht-Kommutativität. (Vgl. Laruelle 2010b) Dabei wird Superposition als Fortsetzung der radikalen Immanenz und Nicht- Kommutativität als Determination-in-der-letzten-Instanz verstanden.(Laruelle 2013a: 126) Diese beide Prinzipien drücken für Laruelle das Reale aus (nicht das Eine, das hier einen metaphysischen Status einnimmt), sie stellen sofort das Reale und die Syntax bereit. Die Ökonomie der generischen Maschine besteht in der Organisation des Materiellen gemäß einer «Quantware« (anstelle von Software), die wiederum am Materiellen partizipiert.(Ebd.: xxv) Allerdings scheint Laruelle sich selbst nicht immer ganz klar in seinen Formulierungen zu sein, wenn er etwa von der »Welle/Teilchen Superposition« und zugleich von der »Determination-in-der-letzten-Instanz« spricht, oder von der »unilateralen Dualität« und zugleich von »Komplementarität« oder schließlich sogar von »unilateraler Komplementarität«. Wobei letztere Wendung offensichtlich ein Problem darstellt, insofern der Bohr`sche Begriff der Komplementarität keineswegs auf Determination, sondern auf Unschärfe und Unbestimmtheit verweist. »Unilaterale Komplementarität« umfasst für Laruelle diverse Dualitäten, die sich auf die primitive Dualität Welle/Partikel beziehen. Die Essenz der primitiven Welle/Teilchen Dualität ist für Laruelle die unilaterale Dualität, wobei er die Welle favorisiert, und eben nicht die Dialektik oder die Unschärfe wie bei Bohr. So können die beiden Variablen zwar reversibel sein, aber dies immer unter dem Gesichtspunkt ihrer Unilateralität. Man kann bezüglich der Determination bzw. der Uni-lateralität durchaus den Term Komplementarität als Supplement beibehalten, insofern das Partikel der Welle (und seiner radikalen Immanenz) hinzugefügt wird, die jenes unter-determiniert. Unilateralität inkludiert das Eine als Eines-in-Einem, ein radikal immanentes Sein, oder ist selbst gegeben als die Eigenschaft des Einen als Eines-in-Einem.

Laut Laruelle sollte man bei der Quantensuperposition, die eine Relation oder besser eine Uni-lation beinhaltet, zunächst also an die Wellenform oder den Rhythmus denken (als zeitliches Pattern), der sich mit den Parametern Zeit, Raum, Frequenz, Amplitude und eben Superpostion charakterisieren lässt. Der Rhythmus integriert die Superposition der Wellen und ihren molekularen Bewegungen, wobei vielfältige Undulationen sich gegenseitig durchqueren, absorbieren und ineinander faden können. Man denke etwa an die Wellen am Strand, die keine Entitäten sind, vielmehr handelt es sich hier um Strömungen, die ausgedehnt im Raum fließen. Wenn zwei Wellen sich überlagern oder überlappen, dann ist die Amplitude der daraus entspringenden Welle (die weder eine Synthese der beiden Wellen noch eine »neue« Welle ist) eine kombinierte Amplitude der beiden ersten Wellen, i. e. die Amplitude der zweiten Welle wird zur ersten Welle addiert, und das Resultat ist eine Welle mit kombinierten Amplituden, die Superposition der beiden Wellen.1 (Vgl. Barad 2015: 88f.) Das Denken orientiert sich hier nicht am Objekt, sondern an der Amplitude. Es geht um die idempotente Addition zweier Wellen, die Wellen vom selben Typus bleiben. Die Superposition kann bezüglich zweier konkreter Wellenphänomene oder abstrakter Objekte (komplexe Zahlen) entweder konstruktiv oder destruktiv sein. Es gilt hinzufügen, dass die Superposition weder zu einer Identifikation von zwei korpuskulären Identitäten, die etwa addiert werden, um ein Ganzes zu formen, noch zu einem Supplement führt, das ein Ganzes durch seine différance überschreiten will, sondern eben zu einer singulären Welle zu jedem Zeitpunkt (Interferenz). Auch das Prinzip der Nicht-Kommutativität entlehnt Laruelle der Quantenphysik. Es beinhaltet, dass zwei inverse Produkte oder physikalische Quantitäten nicht zeitgleich gleich und tauschbar sein können. Es gibt zwar eine Inversion der Produkte von Variablen, aber diese immer unter dem Gesichtspunkt ihrer Nicht-Kommutativität. Insofern gilt die Unilateralität nicht nur für zwei, sondern für vier Terme. (Laruelle 2013a:94) Wenn man nun das Prinzip in eine unilaterale Ordnung einfügt, dann gilt es als generisch.

Den quantenphysikalischen Prinzipien der Superposition und der Nicht-Kommutativität fügt Laruelle noch den Begriff der Idempotenz hinzu. Der Term Idempotenz steht für eine quasi-mathematische Regel, die aus der Informatik stammt und mit der man die Überlagerung zweier Wellen in einer einzigen beschreibt (1+1=1). Dabei ist die Idempotenz keinesfalls als bloße Addition oder als Multplikation mittels der Einheit der Zahl zu verstehen, und sie führt auch nicht zur Synthetisierung der beiden Wellen in einer dritten Welle, sondern sie sagt aus, dass die Wellen stets dieselben Wellen bleiben. Idempotenz inkludiert also die algebraische Eigenschaft bestimmter Operationen (A + A = A) und wird von Laruelle als die phänomenologische Eigenschaft der Superposition und ihrer Immanenz interpretiert. Man kann sie auch das Prinzip der Undulation oder die Apriori-Form des Partikels nennen. Die Undulation bezieht sich hier immer auf die Thematik »Quantum-Welle und Partikel«, letzteres im Gegensatz zum Korpuskel (individueller Körper). Laruelle bevorzugt gegenüber der mathematischen Quantenmechanik nicht das Partikel, sondern die Welle, und er unterscheidet zudem das Korpuskel vom Partikel, das eine generische Form besitzt. Welle und Partikel sind dasselbe und/oder unterschieden, i. e. es gibt die Welle/Partikel-Form gemäß einer objektiven Erscheinung. Welle und Partikel sind insofern nicht dasselbe, als es die Nicht-Kommutativität zwischen Welle und Partikel gibt. Unterschieden sind sie insofern, als die Welle ein radikal immanentes Phänomen (Superposition) ist, und das Partikel für den Exzess einer einfachen Transzendenz steht, die der Immanenz gegenüber nicht abgeschlossen bleibt.

Es dürfte klar sein, dass Laruelle die Quanten-Prinzipien weder als Prinzipien einer ersten Philosophie noch als positive Prinzipien der Mathematik/Physik, sondern als in-der-letzten-Instanz determinierende (exakter unter-determinierende, weil rein formale) Setzungen begreift, die stets gemäß dem Realen anzuwenden sind. Und die generische Wissenschaft hat mit Hilfe dieser zwei Prinzipien so zu operieren, dass sie komplexere Resultate als die von ihr verwendeten Materialien aus der Wissenschaft und der Philosophie hervorbringt, wenn sie denn ihre eigene theoretische Praxis entwickeln, das heißt, eine Relation zwischen Wissenschaften und Philosophie in der Immanenz einer »logischen« Verbindung herstellen will, die Laruelle »unilaterale Dualitat« nennt (unter der Dominanz der generischen Wissenschaft).

In seinen aktuellen Schriften, vor allem in der Schrift Philosophie non-standard. générique,quantique, philo-fiction, mobilisiert Laruelle für diese Art der theoretischen Praxis eine Reihe von Begriffen aus der Quantenphysik, bei denen er allerdings von der mathematisch-quantitativen Artikulation absieht. Eine generische »Quantifizierung« der Philosophie beinhaltet an dieser Stelle allenfalls eine Wissenschaft-in-Zahlen ohne Kalkulation. Auf diese Weise gelangt Laruelle schließlich zu einer Vektor- oder Welle-Teilchen-Konzeption von Begriffen. Darunter versteht er begriffliche Quantenphänomene, die als virtuell einzustufen sind und sich nicht auf die Realität, sondern auf das Reale qua der Immanenz desselben beziehen – das Reale, für das die Prinzipien der Superposition und der Nicht-Kommutativität sowie die Idempotenz unbedingt Geltung besitzen. Diese Prinzipien sollen der theoretischen Praxis Hypothesen, Beschreibungen und Experimente gemäß dem Realen ermöglichen. (Vgl. Laruelle 2010b) Demnach wäre die generische Wissenschaft als eine Quantentheorie zweiten Grades oder als die Quantenphysik makroskopischer Objekte zu verstehen. (Ebd.: 141) Die generische Methode operiert dadurch, dass sie aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen oder Philosophien eine Minimum-Invariante extrahiert, wie etwa die imaginäre Zahl aus der Analysis, die Welle aus der Quantenphysik, das Transzendentale aus der Philosophie, das Kapital aus der Ökonomie etc. Diese Invarianten gilt es zu superponieren, oder, anders gesagt, sie müssen als theoretische Gegebenheiten in den Modus der Superposition eingeführt werden. Die Materialien der Wissenschaften oder der Philosophie sind also einem materiellen, konzeptuellen Formalismus zuzuführen, i. e. sie sind selbst als Vektoren in den Zustand der Superposition zu versetzen, das heißt in den Kontext der generischen Wissenschaft, die eher mit dem (vektoriellen) Begriff der Welle als mit Begriffen wie Korpuskel und Punkt operiert. Die realen theoretischen Gegebenheiten werden quasi als Vektoren im Superpositionszustand behandelt, der in der Quantenphysik mit den imaginären Zahlen indexiert wird. Die vektoriale Dimension wird durch die imaginären Zahlen eingeführt, und dies heißt für Laruelle, dass die theoretischen Gegebenheiten auf der komplexen Ebene als Vektoren mit einem Real- und einem Imaginärteil dargestellt werden. (In der Quantenphysik indexiert man die vektoriale Dimension mit den komplexen, imaginären Zahlen – es handelt sich um Vektoren mit einem realen und einem imaginären Anteil.)  

Nehmen wir zum Beispiel die laruellesche Konzeption des »quarter turn«. Er steht für die geometrische Repräsentation der komplexen, imaginären Zahlen und wird mit der Quadratwurzel -1 denotiert. Eine komplexe Zahl besitzt zwei Teile: einen realen Teil und einen imaginären Teil, so zum Beispiel 2 + 3i. Wen man in der Geometrie eine reale Linie zieht und eine imaginäre Linie im rechten Winkel ansetzt, dann kann man die komplexe Zahl als einen Punkt auf dem Graphen (mit seinen zwei Achsen) darstellen. Eine Zahl mit i zu multplizieren und die Linie im Uhrzeigersinn 90 Grad vom Ursprung zu drehen, das gilt hier als äquivalent. Weiter lässt sich schreiben: 1 * i = 1i, 1i * i = -1 Weil die Quadratwurzel von i -1 ist, so ist n * i * i = n * -1 = -n. Exakt das ist der »quarter-turn«. Um ihn kurz und knapp als Kreisform zu erfassen: Das Reale wird das Imaginäre, das Imaginäre wird das negativ Reale, das negativ Reale wird das negativ Imaginäre, und das negativ Imaginäre wird das Reale.2

Oder sagen wir es anders: Man kann man die Multiplikation mit -1 als Drehung um 180 Grad um den Achsenpunkt 0 definieren. Multipliziert man dann zweimal mit -1, so ergibt sich eine Kreisbewegung um 360 Grad und man kommt dann wieder bei der ursprünglichen Zahl an. Die Drehung führt gegenüber der ursprünglichen Achse eine zusätzliche Dimension ein, denn man braucht eine Fläche, um die Drehbewegung durchzuführen. ”

“Hat man diese neue Dimension jedoch erst einmal eingeführt, eröffnet sich die Möglichkeit, um beliebige Winkel zu drehen. Man kann jetzt auch um ein Viertel,also um 90 Grad drehen. Dreht man zweimal um 90 Grad, erhält man 180Grad.Bei vier bzw. acht oder zwölf Vierteldrehungen kommt man jeweils wieder am Ausgangspunkt an. Da eine Drehung um 180Grad der Multiplikation mit -1 entspricht, kann man sich jetzt auch ein Produkt vorstellen, dass zwei multiplikative Teilschritte mit einer Drehung von jeweils 90Grad beinhaltet. Da das Teilergebnis einer Vierteldrehung in die hinzuerfundene neue Achse zeigt, beinhaltet es zusätzkich zu dem Betrag der reellen Zahl noch den Betrag der zusätzlichen Achse – denImaginärteil i. Zwei Imaginärteile i miteinander multipliziert ergeben entspre-
chend dieser Definition dann -1. Indem also eine zusätzliche Dimension und mit ihr die imaginären Zahlen eingeführt werden, lassen sich beispielsweise auch Wurzeln aus negativen Zahlen ziehen (etwa aus √-1, denn i2 ergibt -1).” Werner Vogd

Die Wellenfunktion kombiniert Symbole, die der Philosophie entstammen (Eine, Sein, Anderer, Multiplizität, Gegebenheit etc.) oder der Wissenschaft entstammen und durch imaginäre oder komplexe Zahlen »berührt« werden, sodass schließlich ein »quarter turn« oder ein Kreis entsteht, oder um es phänomenologisch zu sagen, eine unilaterale Dualität. Es handelt sich hier immer um einen undulatorischen Prozess und nicht um die Addition von Stadien. Oft spricht man zwar von einem Vektor-Stadium, aber die Vektoralität des Vektors ist selbst ein Prozess und eben nicht das Stadium oder das Objekt einer mathematischen Operation. Als Teil der vektoriellen Form der Immanenz und der Transzendenz konstituiert der »quarter turn« die prä-undulatorische Substanz, zumindest dient er als Material oder als materielle Implementation. Somit gilt er als ein generisches Element der Undulation: Der generischen Superposition des »quarter turn« mit sich selbst und der Superposition mit der Welle müssen zudem noch die Komponenten Direktionalität und Transformation hinzugefügt werden. An dieser Stelle beeilt sich Laruelle darauf hinzuweisen, dass innerhalb der generischen Matrix (die Verbindung von Philosophie und Quantenlogik als Variablen, die in radikaler Immanenz bestehen, sogar im Sinne eines Rhizoms) die Variablen eher als Begriffe oder Konzepte denn als (imaginäre) Zahlen zu verstehen seien, wobei nun von einer komplexen oder imaginären Funktion von Begriffen (der Aspekt der Fiction) auszugehen sei. (Laruelle 2014: 159) Es geht hier nicht darum, mit einer Zahl, die weder positiv noch negativ ist, Gleichungen zu lösen, sondern Laruelle kreist durchaus um ein philosophisches Problem, das allerdings die Mathematik selbst aufwirft.

Der Vektor zeichnet sich durch die beiden Operationen Superposition und Addition (Addition der Pfeile) aus, wobei keineswegs auf ein abgeschlossenes Ganzes gedrängt wird, sondern unabgeschlossene Summierungen angestrebt werden. Entscheidend bleibt hier nach wie vor der erste Term, der auf die unilaterale Dimension des Vektors oder der Welle verweist (Immanenz der Relationen als Uni-Lation; ebd.: 158), wobei das Partikel (zweiter Term) immanent im wellenförmigen Fluss als Klon gesichert wird, in einer wellenförmigen Erhebung, die die transzendental-empirische Dublette oder den ewigen Kreislauf der Zeit außer Kraft setzt. Die unilaterale Dualität stellt wiederum die »Menge« dar, sowohl auf der Seite des Klons als auch auf der Seite des Vektors. Das Ergebnis ist Immanenz, Eins-in-Eins, das die Zwei-in-Eins trägt (Klon=Zwei). (Ebd.: 178)

Laruelle würde wohl Karen Barads postfeministischer, quantentheoretisch inspirierter Technikkonzeption widersprechen, mit der sie im Zuge des Rückgriffs auf die derridasche différance eine quantenmechanische Unbestimmtheit konzipiert, wobei Begriffe wie Relation, Phänomen und Einfaltung zur Bestimmung oder zur Schärfung der Unschärfe wichtige Komponenten des Konzepts darstellen, insofern die Unbestimmtheit relativiert oder geschnitten wird. Das Generische transformiert hingegen bei Laruelle die Relation radikal zur Uni-lation, zum unidirektionalen Prozess, der nie angefangen und aufgehört hat und dem eine Matrix inhärent ist; ein transfiniter Prozess, der sowohl die Vorherrschaft des wissenschaftlichen Einschnitts als auch des philosophisch Infiniten radikal reduziert. Zum einen will Laruelle die begriffliche Ausarbeitung einer generischen Matrix (ebd.:170), die gleich einer Partikelwelle funktioniert, vorantreiben, zum anderen will er damit einen neuen generischen Denk-Apparat installieren, zwei Variablen, die durch inverse Beziehungen miteinander verbunden sind. Der Denk-Apparat wird selbst als ein Teil der generischen Matrix definiert, deren Variablen also die Objekte und die nicht-philosophische und die quantenmechanische Interpretation der Objekte umfassen. Die Klonalität verbindet hier die unilaterale Komplementarität mit Virtualität, dem Schreiben des Klons, der in der letzten Instanz virtuell ist. Dabei generiert das Onto-Vektoriale des Denkapparats selbst eine komplexe Lektüre des Vektoriellen der Objekte, und dies führt hin zu einer onto-vektorialen Interpretation der Theorie als Modell. (Ebd.: 170) Es handelt sich um Vektoren bzw. um imaginäre Begriffe/Philosopheme, die die imaginären Zahlen ersetzen. Als Subtraktion jeder Transzendenz zeigt der Vektor Folgendes an: »Der Vektor zeigt auf die Oberfläche der Realität, die er in einem Tunnel durchquert und mit der er sich vermischt, bevor er sich verlängert, indem er zu sich zurückkehrt und den objektiven Schein eines An-Sich schafft.« (Ebd: 176)3

Für den Nicht-Marxismus heißt dies nun Folgendes: Er definiert sich auf der theoretischen Ebene selbst als ein spezieller Formalismus, den Laruelle der Quantenphysik entlehnt. Dies kann aber keinesfalls die mathematische Quantenphysik sein, insofern der Formalismus in diesem Kontext als real-transzendental und nicht physikalisch begriffen werden muss. (Das Quantum Postulat bezieht sich hier weniger auf die quantifizierbare Ökonomie als auf das Wissen über die Ökonomie. Es erfordert eine materielle Konstante, und zwar als die Basis eines Quanten-Denkens der Ökonomie.) Laruelle nennt Formalismus eine durch Axiome oder durch Matrizen von Axiomen angeleitete Theorie, die a) durch das Reale, das radikal immanent ist, determiniert wird; b) eine Kausalität inhäriert, die unilateral ist oder die DLI beinhaltet; und c) die ihr Objekt in der Ideen-Welt findet, in einer Philosophie, die durch Erfahrung kompliziert wird. Es handelt sich hier um eine Nicht-Theorie oder um eine unmögliche Theorie: Der Formalismus zählt für Laruelle insbesondere als ein theoretischer Stil, der dem Undenkbaren adäquat ist; als eine Form der Theorie, die für das gemacht ist, was innerhalb der gewöhnlichen Ebenen der Theorie und der Formen der Repräsentation unsichtbar bleibt. Und dies erfordert a) die Leere jeder formalen und wissenschaftlichen Struktur im positiven Sinne (Laruelle fordert eher eine Dualyse als eine Analyse, i. e. eine konzeptuelle Dekonstruktion der Philosophie); b) das materielle Apriori der Theorie, das je schon dem Primären des Realen untergeordnet und damit intrinsisch unrepräsentierbar ist, das heißt, dass die Theorie auch vom Theoretiker abstrahiert, der unilateral deduziert wird; c) dass je nach Fall die Theorie nahe an den Symptomen des Marxismus ist.

1 Wenn ψ1 und ψ2 Lösungen für Wellen darstellen, dann ist jede arbiträre lineare Kombination der beiden Lösungen eine Lösung von SE (SE ist eine lineare Gleichung). Wenn nun jede der individuellen Lösungen mit einer arbiträren komplexen Zahl multipliziert wird und man sie zusammenzählt, so ist die Summe wiederum eine Lösung, ψ=aψ1 + bψ2, so lange die Koeffizienten folgendermaßen relationiert sind: /a/2 + /b/2=1 In diesem Fall sind die Lösungen sichtbare Wellenfunktionen. Die Superpostion ist ein Feature des Verhaltens der materiellen Wellen als einer Quantelung der Welt.

2 In der Geometrie ist der Vektor eine Linie mit fixierter Länge, aber er besitzt keine fixierte Position. Man kann ihn daher als einen Kanal denken, der bestimmte Anforderungen stellt, dienicht nur angewendet werden, um verschiedene Knoten zu verbinden, sondern diese Knoten zuallererst auch hervorzubringen. Der Vektor kann auch als Teil eines Vektorfeldes gedacht werden, das eventuell sogar eine verformbare Geometrie besitzt. Was hier jedoch interessiert, das ist nicht die trügerische Dimension, sondern die Taktik und das Experiment. Für Laruelle ist der Vektor a) die Modul-Phasen-Maschine (Immanenz-Transzendenz) der uni-lateralen und keineswegs der bi-linearen Untrennbarkeit, die schneidet/fließt (Deleuze), b) besteht der Vektor aus minimalem oder altem Material des »quarter turn«, i. e. er besteht als Amplitude der Erfahrung des Denkens (nicht der Wunschmaschine), und c) wird er eher durch die Superposition in der letzten Instanz als durch den Körper ohne Organe produziert. Vektorielle Maschinen sind keineswegs als zweiseitig im Stadium der Zugehörigkeit oder als Teil der passiven Synthesis, sondern als radikal immanente Maschinen gegeben.

3 Es handelt sich bei der generischen Wissenschaft um eine durch und durch experimentelle Performance, mit der mittels einer nicht-mathematisierten Wellentheorie undulatorische Interferenzen und Kollisionen von Begriffspartikeln erzeugt werden. Um nun generische Erweiterungen des Ausgangsmodells zu erstellen, muss die »generische Matrix« (einerseits ein »Paradigma« im Sinne von Thomas Kuhn, andererseits ein »Modell« im formalistischen Sinn der Mathematik) selbst in allen Teilen immer wieder neu erfunden werden. Es handelt sich also nicht nur um die Erfindung einer neuen Form des Denkens, sondern insbesondere auch darum, die Form der Erfindung selbst zu untersuchen, oder, um es anders zu sagen, das Generische als Erfindungskraft oder als »Erfindung-in-Person« zu erfinden.

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