Post Covid Riot Prime Manifest – Roter Oktober [Part I]

Doc McCoy

“Es bedeutet zu behaupten, dass wir aufrichtig sind, mit unseren Kinderaugen in dieser nicht zu rechtfertigenden Welt; wenn jemand jemanden angreift, wird jemand jemanden angreifen.”

Manifest der Jugend (1)

Einundvierzig. Es war ein heißer Sommer. Die Taktung der Aufstände machte schwindelig, die Winterpaläste zu erobern erfolgte handstreichartig wie auf Sri Lanka, aber: “Es kommt vor, dass Aufstände nicht direkt vom Staat besiegt werden, sondern vielmehr durch den Schock ihres eigenen Sieges. Als die Bewegung ihren eigenen Sieg betrachtete, schien sie wie gelähmt.” (2) Wie bereits im ‘Post Covid Riot Prime Manifest – Next Level’ konstatiert: “Nicht reif für den Bürgerkrieg, örtlich begrenzt, idealisierend in ihrer Verhaftung des Commune Charakters gelang nicht der notwendige Sprung in die neue Qualität der Klassenauseinandersetzung. Aber selbst wenn dieser Sprung zukünftig gelingen wird, wir also real die vorrevolutionäre Qualität erfahren, mit allen Sinnen, stehen wir vor dem Dilemma, wie sich diese neue Qualität ausdrückt, ihre Form findet”. (3)

Gewisse Kreise in Frankreich, aus denen die Autorenkollektive Tiqquin und das Unsichtbare Komitee entstammen, bereisten verschiedene Orte des militanten Dissens, beschäftigten sich intensiv u.a. mit den Erfahrungen der italienischen Autonomia, bevor sie ihre Analysen und Vorschläge veröffentlichten. Verbleiben wir für einen Augenblick an diesem letztgenannten Ort, versuchen wir noch einmal unseren Fokus auf jene Klassenauseinandersetzung der 70er in Italien zu richten.

Fast sämtliche Texte von Protagonisten der italienischen Revolte der 70er, die nach dem Scheitern von 77 veröffentlicht wurden, verorten die Ursache für das Scheitern dieses Anlaufes in der “Militarisierung des Konflikts”, teilweise meint das die “Militarisierung des Konfliktes durch ‘die Bewegung’ selbst”, teilweise richtet sich die Kritik an die Roten Brigaden (BR), die insbesondere mit der Zuspitzung des Konflikts durch die Entführung und Hinrichtung Aldo Moros eine Situation geschaffen hätten, der ‘die Bewegung’ nicht mehr gewachsen war. Ich denke, beide Narrative werden der historischen Wahrheit nicht gerecht. Zuerst wäre zu erwähnen, dass die BR, im Gegensatz zu anderen bewaffneten Gruppen in Westeuropa, sehr wohl Wert auf eine ganz reale Verankerung in der Arbeiterklasse legte. In vielen strategisch wichtigen Fabriken gab es Kolonnen der BR, viele Aktionen intervenierten direkt in Klassenkämpfe vor Ort, die BR dürften hunderte von Militanten und tausende von Sympathisanten in den Fabriken selbst gehabt haben. Unabhängig von den internen Auseinandersetzungen in den BR um die “strategische Ausrichtung” war die Entführung Aldo Moros richtigerweise bestimmt als Intervention gegen den “historischen Kompromiss”, mit dem die italienische KP sich als Juniorpartner der Christdemokraten in die Regierung einkaufen wollte. Die grundsätzliche Militarisierung der Klassenauseinandersetzung war m.E. nicht durch die Interventionen der antagonistischen Linken bestimmt, auch nicht durch manches militantes Abenteurertum bestimmter Gruppen der Autonomia. Sicherlich waren und sind Demonstrationen keine geeigneten Orte für bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, auch weil die organisierten Kräfte immer eine Minderheit der Demonstranten stell(t)en, ABER waren die bewaffneten Aktionen auf den Demos und während der Riots in erster Linie Versuche, den bewaffneten Angriffen der Bullen etwas entgegenzusetzen. Im Prinzip kann man davon sprechen, dass eine grundsätzliche Situation hergestellt wurde, in der zurückgeschossen wird.

All die erwähnten Positionen lassen aber vor allem eine bedeutende historische Erfahrung außen vor, die zahlreichen Massaker an der italienischen Arbeiterklasse in den Kämpfe des zurückliegenden Jahrzehnts der 60er, die das subjektive Bedürfnis geschaffen hatten, sich nicht noch einmal ohne Gegenwehr abschlachten zu lassen. So oder so, letztendlich bewegen sich all diese Bewertungen alle auf dem Niveau einer taktischen Bilanzierung. Im Kern aber war die 77er Revolte in Italien eine isolierte Revolte, die sich zwar auf größere Teile der Arbeiterklasse beziehen konnte, aber in ihrer Nationalstaatlichkeit gefangen war. Ihre Niederlage war deshalb historisch gesehen unvermeidlich. Und selbst auf dem Terrain des Nationalstaates nicht abzuwenden, wie die später bekannt gewordenen Planungen und Manöver der NATO belegen. Wir können also von einer unvollständigen Untersuchung durch die italienischen und französischen Genossen sprechen, weil der Horizont der Untersuchung die Revolte und nicht die Revolution war. Um genau darum geht es aber, um jetzt auf der Höhe der Zeit zu intervenieren… Um unseren Blick wieder auf das Hier und Jetzt zu richten.

Zweiundvierzig. Die Aufstände sind gekommen. Jetzt geht es um mehr. Um alles. Die diversen Veröffentlichungen der Sicherheitsorgane zu den “Gefahren für die bestehende Ordnung” durch die sozialen Verwerfungen hier in der BRD sprechen dafür ebenso wie die Deckelung der Energiepreise in Frankreich, dessen Eliten sich immer noch im Status einer Posttraumatischen Belastungsstörung befinden, hervorgerufen durch die eruptive Geister der Gilets Jaunes, die sich aus dem Nichts des sozialen Nebels materialisierten. In einem der reichsten Länder der Welt wird über die Einrichtung von “Wärmehallen” für Menschen gesprochen, die sich im kommenden Winter das Beheizen ihrer Wohnung nicht mehr leisten können. Der sich im Pandemie Ausnahmezustand allmächtig gebende Staat ist über Nacht zu einem hilflosen Schurken geworden, der den Gesetzen des Marktes, dem freien Spiel der Derivate zu gehorchen hat und nicht umgekehrt. (4) Mit der realen Hilflosigkeit des Staates zerbricht der Nimbus, den der historische Sieg von 1989ff geschaffen hat. Man muss nur den Mut aufbringen, genau hinzuschauen. Und mit der Option des Staates zerbricht auch jene Linke, die sich auferlegt hat, diesen Staat, in welcher Form auch immer, zu übernehmen. Die feindliche Übernahme ist die Investition in einen toten Koloss.

Der Westen und besonders die BRD kaufen wie verzweifelt Betrunkene weltweit Energieträger zusammen, Südafrika z.B. kommt gar nicht mehr mit seinen Transportkapazitäten nach, so viel Kohle wird nachgefragt, im ersten Halbjahr 2022 wurden die Exporte in die BRD verachtfacht. Und während irrelevante Debatten um einen dreimonatigen Weiterbetrieb der 3 letzten AKWs hierzulande geführt werden, droht gerade die ‘grüne Klimakrisen-Governance’ in dem Moment zu einer Randnotiz der Geschichte zu werden, wo sie als die Zukünftigkeit des Empires im Endgame festzustehen schien. Es gibt gegenwärtig nur drei geschichtliche Alternativen. Ein baldiger “Waffenstillstand” des Westens mit Russland, um den unvermeidlichen “ökologischen Umbau des Kapitalismus” noch zu retten. Eine Ausweitung der gegenwärtigen Konflikte, die reale “Zeitenwende”, den Eintritt in einen (zumindestens latenten) permanenten Kriegszustand (unter Einbeziehung Chinas und bedeutender Regionalmächte wie Indien und Pakistan) oder eine breite revolutionäre Erhebung.

Dreiundvierzig. Revolution. Eine Begrifflichkeit, die historisch gesehen so häufig missbraucht und lächerlich gemacht wurde, dass sich jeder anständige Mensch erst einmal voller Skrupel, Ekel und Verachtung abwendet. In der Totalität des Marktes muss die erste Aufgabe sein, sich diesen Begriff wieder anzueignen. Überhaupt wieder den geschichtlichen Horizont aufzureißen. Sich endgültig der falschen scheinbaren Verbündeten zu entledigen. Nicht zuzulassen, dass diese unerträglichen Milieus sich wieder breit machen, von denen jedes einzige nur dazu dient, eine Wahrheit zu kontrollieren, wie das Unsichtbare Komitee schrieb. (5) Sich nicht in der Pose des ewigen Rebellen zu gefallen, nicht dem falschen Nihilismus zu dienen, sondern sich den bewussten Nihilismus anzueignen. “Angst ist der Grundzustand in der entwickelten Welt. Angst, hervorgerufen durch die entfremdet und atomisiert eingerichtete Welt. Es gibt, neben dem kybernetischen, kein Beziehungsgeflecht, welches mit diesem Zustand besser vereinbar wäre.” (6) Sich ehrlich machen, Freundschaften pflegen und finden, sich organisieren, die vorrevolutionäre Situation nutzen.

Vierundvierzig. In der gegenwärtigen Situation ist die Verneinung des Krieges die Tendenz zum Bürgerkrieg. Dem wohnt kein Militarismus inne, sondern die Liebe zum Leben. Das tiefe Wissen, dass unser Zeitfenster begrenzt ist. Dass unser Gegner das auch weiss, der die irrationale Welt repräsentiert, eine irrationale Welt, die ihre pathologische Irrationalität, ihre emotionale Ertaubung als Wissenschaft und Unvermeidlichkeit tarnt. Eine Welt, die eine einzige Täuschung ist, eine Matrix der Simulationen, die uns den Boden unter den Füßen rauben, uns taumelnd machen sollen. Das Wahrheitsministerium ist längst eingerichtet, alle Medienredaktionen residieren im 31. Stockwerk. Wir leben längst in einer Dystopie, die große Kunst der Macht war es, den Menschen einzureden, es wäre nicht so. All die Aufstände, die zur Zeit um den Globus rasen, wissen längst um all diese leeren Versprechungen, die Bankräuber wussten schon immer um die heimliche Sympathie der Unterdrückten, jetzt sammeln sich die Menschen vor den Polizeirevieren, in denen sie gefangen gehalten werden und fordern ihre Freilassung. “Wir sind alle zusammen, wir haben keine Angst mehr”, rufen sie im Iran und nicht nur dort, während sie sich im Tränengas umarmen und trösten, Polizeireviere stürmen und niederbrennen. Jede Macht ist endlich. Und auf ihrem Höhepunkt in ihrem fragilsten Aggregatzustand. Und genau an diesem Punkt befinden wir uns. Eben noch konnten sie über Nacht zwei Drittel der Weltbevölkerung wegsperren, jetzt taumelt der Koloss. Das ist die wichtigste revolutionäre Tat derzeit, diese Kunde in die Welt zu tragen. Dies führt unvermeidlich dazu, dass aus Proteste Riots, aus Riots Revolten, aus Revolten Aufstände, und aus Aufständen Revolutionen werden. Wenn die Hoffnung zurückkehrt. Revolutionen resultieren nicht aus Verzweiflung, Aufstände resultieren häufig aus Verzweiflung, Revolutionen resultieren aus Zuversicht.

Fünfundvierzig. Klug sein. Klug bleiben. Es mangelt nicht an Mut, nicht an Entschlossenheit, wer sich umsieht in der Welt, den diversen Erzählungen der Aufstände lauscht, wird darin mehr als genug Mut und Entschlossenheit finden. Wir machen noch zu viele Fehler. Noch. Die Revolution zu denken heißt immer die Konterrevolution mitzudenken. Unser Gegner lässt 24/7 seine Computer laufen, seine technologischen, politischen, ökonomischen, soziologischen, kriminalistischen,… Stäbe und Kommissionen tagen und tagen. Berechnet Chancen und Wahrscheinlichkeiten, für jedes Szenario gerüstet, Hunger, Blackout, atomares Risiko. Wir sind aber unberechenbar. Das Leben, der Mensch ist kein Algorithmus, wird es niemals sein. Wenn es jemals dazu kommen sollte, wird es kein Leben mehr sein, nur noch eine biologische Variante eines Rechenmodells einer KI. Aber dazu werden wir es nicht kommen lassen. Wir werden weiter voneinander lernen, jede Niederlage wird von uns analysiert, wir sind mehr als unser Verstand, wir haben unsere Intuitionen und unsere Herzen, wir sind jeder scheiß Maschine überlegen. Wir stehen uns nur manchmal noch selber im Weg. “Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.” Sun Tzu

to be continued…  

Fußnoten

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