(3) Nick land – Der Patenonkel des Akzelerationismus

Nick Land schreibt: „Akzeleration ist techonomische Zeit.“ (Land 2014: 95) Die etymologische Referenz zielt hier einerseits auf “tech” ab (vom Proto-Celtic tegos, vom Proto-Indo-European tegos (“cover, roof”) = house) – und anderseits auf “nomic”, ein Wort das im Griechischen “law, custom” bedeutet bzw. das Spiel, in dem man bestimmte Aspekte eines legalen Systems modelliert, wenn die Spieler ihre Spielzüge machen und gleichzeitig mit ihnen die Regeln des Spiels verändern.

Der Begriff “techonomische Zeit” verweist bei Land auf ein sich selbst modellierendes kapitalistisches System oder dessen Spiele, die in den digitalen Maschinen hausen und heute die Form einer simulierten Algorythmik annehmen, um sich im endlosen Random Play durch die beschleunigten Rhythmen einer sich selbst manifestierenden Intelligenz zu fressen. Exakt diese Fortpflanzung der Zeit, die sich in der gegenwärtigen Kapitalakkumulation manifestiert, versucht Land mit dem Begriff der Akzeleration zu beschreiben. Im Verlauf der Kapitalakkumulation und ihren Kapitalisierungsprozessen würden, so Land, die technologischen Ressourcen immer stärker von der Konsumtion hin zur Verbesserung der Produktions-und Zirkulationstechniken umgelenkt, sodass sich von einer Unterscheidung zwischen Ökonomie und Technologie zwar rein analytisch noch sprechen ließe, in der Realität seien die beiden Bereiche aber doch als Ko-Komponenten des Kapitals zu bezeichnen. (Ebd.: 95) Lands Verwirrung besteht an diesem Punkt genau darin, Kapital und Ökonomie begrifflich zu trennen, während wir davon ausgehen, dass es Ökonomie nur als die des Kapitals geben kann. Geade deswegen muss man ja überhaupt nicht die dialektsiche Frage stellen, wie denn das Kapital sich selbst und gleichzeitig ein Anderes (Ökonomie) sein kann. Für eine begriffliche, nicht-dialektische Bestimmung des Kapitals muss dies heißen, das Kapital als eine radikal unilaterale »Logik« zu begreifen, bei der zwei Terme nicht durch einen dritten Term (abstrakte Arbeit) vereinheitlicht werden, sondern durch den ersten Term (Geld als Kapital) determiniert werden. Die Terme (der zweite Term ist eine Ware, Produktion, Arbeitskraft etc.) und die Relation Geld-Ware-Geld` sind dem ersten Term (Kapital) immanent. Der zweite Term ist immer schon ein unilateraler Klon des ersten Terms, was nichts anderes bedeutet, als dass man je schon von einer monetären Werttheorie bzw. Kapitaltheorie auszugehen hat. Und dies als Determination-in-der-letzten-Instanz, sodass das Kapital a priori als Gesamtkapital zu denken ist (und nicht vom Kapital im Allgemeinen auszugehen ist). Und dem Begriff des Kapitals wäre das Mathem des Kapitals hinzuzufügen, das heißt das (begriffliche) Kapital und sein ökonomisches Mathem (Differenzkalküle) wäre zu superponieren. Die vektoriale Dimension des Kapitals wird also durch das Mathem der Ökonomie komplementiert.

Akzeleration artikuliert für Land eine artifizielle Intelligenz oder eine Singularität, die sich immanent in den Prozessen eines sich selbst modifizierenden Spiels in intelligenter Zeit abwickelt. Die Zeit der reinen Beschleunigung beginnt genau dann, wenn im eskalierenden Neo-Kapitalismus der gewaltige Komplex der Information, Daten und Wissen mit der sog. Artificial Intelligence zusammenwächst, und erst dann haben wir es Land zufolge mit einer indeterminierten Zeit des kairos oder einer Prozesszeit ohne Ende zu tun, die sich nicht in der chronologischen bzw. alltäglichen Zeit, sondern im ereignenden Augenblick selbst einfaltet, wobei im kairos die qualitativen Kräfte eines immanenten materialistischen libidinösen Komplexes in ihrer singulären Manifestation ek-sistieren. (Chronos als Gott der Zeit wurde im griechischen Mythos als ein Gott mit drei Köpfen vorgestellt, nämlich der eines Mannes, Löwen und Stiers. Chronos und seine Konsorten umkreisten das ursprüngliche Weltei in ihren Spulen und teilten es, um das geordnete Universum aus Erde, Meer und Himmel zu formen. Die Griechen besaßen jedoch noch eine andere Konzeption der Zeit, nämlich die des kairos. Kairos ist ein antikes griechisches Wort, welches den richtigen oder opportunen Moment zu ergreifen bedeutet. Heiner Mühlmann hat im Zuge seiner Bestimmung der Tychetechnik, eines Handwerks, das den Zufall prozessiert, folgende griffige Definition für den kairos gefunden: „Der kairos ist die Krisis einer tychetechnischen Oasephase.“ (Mühlmann 2013: 27) Während mit dem chronos auf eine sequenzielle Zeit angespielt wird, signifiziert der kairos eine zeitliche Entgleisung, den Augenblick einer indeterminierten Zeit, in der alles Mögliche passieren kann. Was passiert, wenn man auf den kairos referiert, hängt schließlich von demjenigen ab, der das Wort ergreift. Während chronos quantitativ bestimmt ist, handelt es sich beim kairos um eine qualitative Bestimmung.)

Es gilt hier zwei gegensätzliche Trendlinien zu beachten, einerseits die De-Akzeleration des Kapitals, die sich im tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate ausdrückt und zur Verschuldung von Staaten, Haushalten und Unternehmen führt, andererseits die Akzeleration des Finanzkapitals, die der Computerisierung und den kybernetischen Technologien aufsitzt und im Wesentlichen auch das neue Bild der Akzeleration erschafft. Allerdings führt letztere gerade nicht zur Öffnung neuer Räume, sondern diese Art der Akzeleration steht für Land eindeutig im Zusammenhang mit dem Schließen des Horizonts im Kapitalismus – horizontal über den Globus schweifend und vertikal in jede Pore des sozialen Lebens eindringend, haben wir es mit einer totalitären Immersion in die Immanenz des Kapitals zu tun, wobei die Prozesse der Beschleunigung aber auch zur Transzendierung des Kapitals führen könnten. Allerdings hat sich Lyotards Statement, das die Akzelerationisten heute wieder aufgreifen, dass nämlich der Flirt mit der Beschleunigung eine ganz eigene jouissance (des Widerstands) hervorbringen könnte, nicht bewahrheitet. Der Gebrauch des Wortes jouissance durch die Akzelerationisten könnte auch folgendes andeuten: Ein Enjoyment, dass so intensiv ist, dass es vom Schmerz gar nicht mehr zu unterscheiden ist, also eine Art perverser Masochismus.

Laut Nick Land ist die totalitäre Dominanz des Kapitals eine vollendete teleologische Katastrophe. Die transklassische Kapital-Maschine ermöglicht die Beschleunigung der linearen Operation digitaler Bilder, Schriften, Musiken – sie sind überall gleichzeitig gegenwärtig, jederzeit abrufbar und reversibel, sie kommen aus einer kontingenten Fülle von Möglichkeiten gleichsam aus der Zukunft in die Gegenwart; so sind Zukunft und Möglichkeit als Synonyme zu betrachten, wie auch Zeit und Wahrscheinlichkeit. Gegenwart ist die Verwirklichung von Möglichkeiten. Land schreibt, dass die gegenwärtige Situation nur dann noch Sinn mache, wenn man sie aus der Perspektive eines zukünftigen Beobachters sehe, der in der Zeit zurück reise, und dies bezüglich einer Singularität, die aber erst im Kommen sei. Er ironisiert die bereits heute kollabierende Zivilisation als “meltdown acceleration, cyberian invasion, schizotechnics, K-tactics, bottom-up bacterial warfare, efficient neo-nihilism, voodoo antihumanism, synthetic feminization, rhizomatics, connectionism, Kuang contagion, viral amnesia, micro-insurgency, wintermutation, neotropy, dissipator proliferation, and lesbian vampirism, amongst other designations (frequently pornographic, abusive, or terroristic in nature)”- (Fanged, KL 6134)

Land benutzt Begriffe wie elektrische Kreisläufe, kybernetischer Erwartungswert und Computeralgorithmen, um die Governance und deren kompensatorischen Relationen innerhalb eines fortwährenden Prozesses der Hyperkapitalisierung zu beschreiben, der auf verschiedenen Ebenen operiert, vom mathematischen Design über die Biotechnologie bis hin zur Unterhaltungsindustrie. Dieser Prozess ist eine Art kumulativer und sich beschleunigender Feedback-Prozess, der allerdings ohne größere Störungen, Explosionen und Fallen, die wiederum diese Störungen kontrollieren sollen, nicht möglich ist. Man denke nur an Fukushima und die entsprechenden Katastrophenpolitiken. Kontrollierte Explosionen hält Land in diesem Rahmen für notwendig, und er betont folgerichtig die Notwendigkeit der Governance der hochexplosiven Kräfte der Moderne. Heute vollziehen sich die Prozesse der Kontrolle gleichförmig, das heißt angebunden an chaostheoretische Denkweisen oder solche der Kontingenz, die allerdings nach wie vor dem statistisch-mechanischen Gleichgewicht verpflichtet bleiben, sodass Störungen in den maschinellen Systemen kompensierbar bleiben, indem auf Wahrscheinlichkeit basierende kapital-technologische Maschinen das System regierbar halten. Darin zeigt sich in der Tat eine sozio-ökonomische Normierung, deren Kritik laut Land der Akzelerationismus liefert. Jener sekundäre Prozess der ökonomischen Normalisierung, der die für Land ursprünglichere Unruhe in den Systemen qua diverser Kompensationsmechanismen zu stabilisieren versucht, schleppt das Erbe technischer Rationalität als vergegenständlichte Herrschaft mit sich, um es im marxistischen Jargon zu sagen. Land spricht hier vom trägen telos, den die Akzelerationisten kritisieren, wenn gerade die linke Fraktion auf eine unkompensierbare Störung drängt, aber insofern diese unrealisierbar bleibt, darf die Linke selbst nur als ewige Kritik an der Moderne gelten. (“Die jeweils Herrschenden sind aber die Erben aller, die je gesiegt haben … Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als Kulturgüter.” Walter Benjamin)

Es geht Land an dieser Stelle um die Haltung des letzten Menschen, die vielleicht mit Sloterdijk’s Bemerkung zur Moderne als Produktion des letzten Menschen im nietzeanischen Sinne korrespondiert. Um die verdrehte Intentionalität der Moderne unter dem kybernetisch-kapitalistischen Regime, die sich vor allem als permanente Selbsterzeugung und -referenzialität des Maschinellen artikuliert, weiter zu verdrehen, benutzt Land den Neologismus Teleoplexie: Es handelt sich bei diesem Begriff um eine invertierte, emergente und verkomplizierte Teleologie, die in einer intensiven Größe kulminiert, welche mit maschinisch-kybernetischer Intelligenz identisch zu setzen ist, i.e. Komplexität, Konnektivität, Extropie etc. Die erste Leistung der Teleoplexie bzw. des Akzelerationismus besteht im Versuch, diese intensive Größe, die sich ökonomisch als „Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Kapitalanlagewert“ (Land 2014: 99) ausdrückt, zu „bemessen“. Land identifiziert in diesem Kontext Kapitalisierung mit naturgeschichtlicher Realität, die für ihn von der Teleoplexie als einem intelligenten ökonomischen Phänomen nicht zu trennen ist, wobei die Teleoplexie durch die Faktoren kommerzieller Relativismus, historische Virtualität und systemische Reflexivität die ökonomischen Sachlagen weiter verkompliziert. Erstaunlicherweise beschreibt Land das virtuelle Momet der Kapitalisierung einigermaßen exakt: „Kapitalisierung ist daher von einer Kommerzialisierung der Potenziale ununterscheidbar, durch die die moderne Geschichte (teleoplex) sich in Richtung einer immer größeren Virtualisierung neigt, die Science-Fiction Szenarien als integrale Bestandteile von Produktionssystemen operationalisiert. Werte, die außer als probalibistische Schätzungen oder Risikostrukturen „noch“ nicht existieren, erhalten eine Befehlsgewalt über wirtschaftliche (und damit gesellschaftliche) Prozesse, die das Tatsächliche zwangsläufig abwerten. Unter teleoplexer Anleitung wird der ontologische Realismus von der Gegenwart entkoppelt, wodurch die Frage “Was ist wirklich?“ zunehmend überflüssig wird.“ (Ebd.: 100-101) Und weiter: „Es gibt nur die Selbstqualifizierung der Teleoplexie oder kybernetische Intensität, eben das, wozu Finanzmärkte (letzten Endes) gut sind.“

(Wir sollten also davon ausgehen, dass die synthetischen finanziellen Assets eine weitaus höhere Wirkungsmächtigkeit gegenüber den klassischen Finanzinstrumenten (Kredit) sowie den klassischen Waren besitzen, weil sich die Größe (von ökonomischen Objekten) und die damit zusammenhängende Wirkungskraft je schon als eine abhängige Variable der Relationen und der graduellen Verbindungen der ökonomischen Objekte erweist, wobei dies als eine Strukturdominante zu verstehen ist. Zugleich sind es die Virtualisierung-Aktualisierungs-Verschaltungen des Geldkapitals, die als abstrakte Risiken und Wahrscheinlichkeiten prozessieren, um optional auf die Zukunft gerichtete Verwertung jetzt schon zu monetarisieren, und damit die Realökonomie tatsächlich zu einem Derivat zu degradieren.)

Land fragt sich schließlich, wie die Teleoplexie als ein Forschungsprogramm, das permanent bereit ist, Messungen und Evaluationen des technologischen Fortschritts vorzunehmen, die Explosion der teleoplexen kybernetischen Intelligenz noch intensiver und effektiver erfassen und weiter beschleunigen könnte, als dies mit den konventionellen Methoden der Berechnung von Preisbewegungen bisher möglich war, die den Gesamtwert des Kapitals mit Hilfe stochastischer Methoden eher schätzen als berechnen. Eine Berechnung kann nur dann vonstatten gehen, wenn die Wertschätzung des ökonomischen Reichtums in eine neue Performativität überführt wird, die sich um die Selbstquantifizierung der Teleoplexie oder der kybernetischen Intensität kümmert, und dies lässt sich wiederum nur über die Topologie von nomadischen Finanzmärkten herstellen. Dabei wären allerdings Preise und Preissysteme zu entdecken, die mit „ihrer eigenen maximal beschleunigten Technogenese vereinbar wären und somit das Kapital in die mechanische Automatisierung, die Selbstreplikation, die Selbstverbesserung und in den Ausweg namens Intelligenzproduktion führen.“ (Ebd.: 102) Das Preissystem kulminiert schließlich in einer technologisch-selbstreflexiven Hyperkognition. Hierzu sei es notwendig, die Messungen der kybernetischen Intensität mit den denen der Kapitalzusammensetzungen, der Kapitaldichte und der Kapitalkonzentration zu koordinieren, was sich eben nicht nur auf die Outputs der klassisch-rechtlichen Unternehmen beziehen könne, denn damit würde man bspw. nach wie vor den Bereich der reproduktiven Tätigkeiten in den privaten Haushalten aussparen. Allerdings wäre einzuwenden, dass das Prinzip der freiwilligen Assoziationen auf autonome Motivationen angewiesen bleibt. Werden in diese Bereiche quantifizierende Messinstrumente und monetäre Anreize integriert, dann kann dies eben nur zur Aufgabe der autonomen Motive führen. Dem Verfahren, das BIP definitorisch auszuweiten und jedwede Formen von Arbeit, also auch die unentgeltliche Arbeit, als einen neuen Indikator aufzunehmen, müsste man damit kritisch gegenüberstehen.

Für Land bedarf es einer Philosophie der Camouflage, die in der Lage ist, die teleoplexischen Kräfte oder Agencies, die in den globalen Netzwerken jetzt schon schlummern, zu entziffern, um sie schließlich zu fördern und anzukurbeln. Und Land gibt wiederum verschiedene Faktoren an, die in der Form von lokalen Defekten oder von immensen Sabotagen die Bewegung der teleoplexischen AI Singularität hemmen könnten, und zwar sind dies für ihn die Staaten und ihre Geheimdienste, Unternehmen, Mega-Städte und machtbasierte Netzwerke oder gar linke Akzelerationisten. Diese würden nämlich die marktspezifischen Signale der Preisbewegungen eher hemmen und damit die wichtigen Trends, die zu einer verdichteten teleoplexen Intelligenz führen könnten, unterbrechen. Und zuletzt erklärt uns Land, dass die teleoplexische Bewegung sich durchsetzen müsse, weil der Kapitalismus einfach keine andere Wahl besäße: Untergang oder Technogenesis. Es könnte allerdings auch der Zeitpunkt auftreten, an dem sich die teleoplexen Systeme ganz von den Humanoiden des Abendlandes abtrennen, entweder in der Verkörperung von postbiologischen Kreaturen, die sich selbstreferenziell aus sich selbst entwickeln, oder als advanced artificial intelligent agencies. Diese würden sich so weit von allen humanen Konzepten, Ideen und Begriffen entfernt haben, das sie noch über den Infoborg hinaus nur noch mit ihren eigenen alien minds zu manipulieren wären, oder vielleicht noch als Werkzeuge benutzt werden könnten, bevor sie ihre eigenen Fluchtlinien aus den Netzwerken wählen, um in Realtime ihr zweites Infoborg-Leben zu leben. Man könnte weit entfernt schon an Google und DARPA denken, die heute dermaßen vernetzt sind, und dies aufgrund der monströsen Technologien, die sie benutzen. Es ließe sich leicht vorstellen, dass aus ihnen jene Systeme emergieren könnten, über die wir noch keinerlei Wissen besitzen, um uns vor ihnen zu schützen.

Nick Land scheint, wenn er etwa über geopolitische Fragmentierung schreibt, problematisch offen gegenüber rechten Tendenzen einer ansonsten eher kulturpolitisch argumentierenden neoliberalen Fraktion der westlichen Wertegemeinschaft zu sein. Superreiche und ihre Experten lesen heute den rechten Akzelerationisten, der für einen hyper-secessionism, für die Anerkennung von Mikro- und Makrofaschismen (Nationalismus, Rassismus) plädiert. Und Keywords wie Hierarchie, Exklusion, Geheimhaltung deuten auf die Allianz von rechten und linken Akzelerationisten hin, wenn es darum geht eine zukünftige Intelligenz zu propagieren. Diese ist aber sui generis radikal ungewiss. (Der kraftvollste Hype in den der Agenda des Kapitals tendiert zu einem transhumanen und einem AI / Robotic Regime.)

Während die digitalen Maschinen gegenwärtig einen Ausdruck diktatorischer Arboreszenz darstellen, der dem Wunsch des Kapitals zur Entwertung und Simulation des menschlichen Denkens entspricht, so zeigt sich in der Digitalität, so der linke Akzelerationismus, auch ein offener Horizont an: das Potenzial einer radikalen Transformation bezüglich der Modi des Bewusstseins, der Formen des Gemeinsamen, der Kulturen und Musik. Können aber die technologischen Maschinen überhaupt von der kapitalistische Axiomatik entkoppelt werden? Können die Codes, die heute unsere planetaren Abstraktionen programmieren, von den sozialen Formen der Kontrolle entkoppelt werden? Das ist eine der Fragen, denen sich heute der linke Akzelerationismus stellen muss. Es wird behauptet, dass es die Universalität der Turing-Maschine sei, welche die Möglichkeit zur Rekonstitution der konzeptuellen, referenziellen und kompositorischen Kapazitäten der linken Kräfte eröffne, indem diese das de-imaging des Humanen durch die Beschreibung und Inszenierung der Kräfte von Aliens dramatisierten. Angeblich würden die Abstraktionen der Software heute schon unsere fragmentarisierten Politiken, unsere atomisierten Solidaritäten und unsere stratifizierten Wünsche verlinken. In ihrer Virtualität verwiese die Software auf eine universelle Überarbeitung, auf die Optimierung, Erweiterung und Potenzierung der Komponenten und Kapazitäten der Körper-Gehirn-Gefüge. Allerdings wird es keine gemeinsame Sprache zwischen Gehirn und Computer geben, vielmehr werden beide an der Erschaffung einer neuen abstrakten Maschine beteiligt sein, um bisher unvorhergesehene Mutationen in der Kraft des Denkens hervorzubringen. Das Gehirn wird durch den Computer nicht ersetzt oder durch ihn auf eine Prothese reduziert werden, sondern es geht um seine asymptotische, maschinische Erweiterug und Multiplikation, vielleicht über jedes bestehende Rekognitions-Modell hinaus. In der Tat würde dann der mutante Charakter dieser abstrakten Maschinen, die erst noch konstruiert werden müssen, ihre profunde Fähigkeit anzeigen, über alle bisherigen Modalitäten einer kollektiven Expression hinauszugehen, um neue (artistic, scientific, philosophical) Experimente zu generieren, eine neue Dekodierung der topologischen Teilungen, um schließlich ein neues freudvolles Denken ohne Bild zu erzeugen, eine unteilbare Wissenschaft/Kunst/Philosophie, die erst im Kommen ist. Diese transhumane, linke Position hat offensichtlich viel mit dem deutschen Idealismus zu tun. Allerdings hatte schon Günther Anders in seiner von ihm selbst bezeichneten Diskrepanzphilosophie darauf hingewiesen, dass es einen Utopismus gibt, der sich nur vorstellen, was er nicht herstellen kann, während wir heute in einer inversen Utopie leben – wir können uns nicht vorstellen, was wir herstellen. In diesem Sinne ist die Antwort des linken Akzelerationismus auf Lands fiktive Konstruktion einer techonomischen oder teleopexen Technogenesis eher unzureichend. Zudem steht sie voll in der Logik des Anthropozentrischen, einer Beschreibung, die einen falschen Komplex von menschlicher Aktivität imaginiert, deren historische Geographie naturalisiert und deren gravitionales Feld, die Kapitalakkumulation, in der Unsichtbarkeit belassen wird.

(Deleuze ist für sein Bekenntnis zur freudvollen Affirmation und für seine Abneigung gegenüber den Ressentiments der Negativität bekannt. Mit Deleuze wurde in den letzten Jahrzehnten geradezu ein Kanon der Freude erschaffen, ein Kosmos aus Gefügen, die durch unendliche Prozesse der Differentation erzeugt werden: Deleuzes univokes Sein, das von unendlichen Multiplizitäten bewohnt ist. Es gibt aber sicherlich auch einen schwarzen Deleuze zu entdecken, einen revolutionären Deleuze, der eine neue Farbutopie erschafft, die sich in einem generischen schwarzen Universum aufhält. Dieser erneuerte Deleuze erzeugt einen Gegen-Kanon, in den sich die generischen Wissenschaften als negative Science-Fiction einschreiben.)

Land, Nick (2010): Fanged Noumena. Collected Writings 1987–2007. London.

-(2014): Teleoplexie. Anmerkungen zur Akzeleration. In: Akzeleration 2. Hg: Avanessian,Armen/ Mackay, Robin. Berlin.

Heiner Mühlmann (2013): Europa im Weltwirtschaftskrieg. Philosophie der Blasenwirtschaft.
Paderborn.

 

Teil 1 und 2

Teil 4: Der prometheische Wahn

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