Brian Massumis “On the Revaluation of Value” (2)

Das Problem des Exzesses (das Kapital und sein Potenzial) kehrt zurück, wenn es um den Mehrwert geht bzw. um das Kapital in der Qualität des Geldes. Hier ist der Mehrwert als der Effekt eines sich vermehrenden Umschlags des Kapitals gegenüber dem Wert primär, während der Profit sozusagen die punktuelle numerische Ernte ist, die dem Prozess der Erlangung des Mehrwerts entspringt, der die kapitalistische Ökonomie über die einzelnen Punkte der Realisierung des Profits hinweg unaufhörlich vorantreibt. Wenn der Profit realisiert wird und das Geld als neues Investment dient, dann bedingen sich Mehrwert und Profite gegenseitig und forcieren einen Exzess, und zwar den des nicht absorbierten Mehrwerts für kommende Generationen. Der Mehrwert ist selbst nicht messbar, da er ein Exzess über jeden Profitbetrag darstellt und zugleich gewissermaßen statisch ist, insofern er jenseits der Zahl liegt. Diese Indeterminiertheit in der Nicht-Quantifizierbarkeit bedingt das Angebot an Geld, das sich in konstanter Fluktuation befindet, insofern die Schulden, die es konstituieren, unaufhörlich neu kreiert werden.

Durch die Metamorphosen des ökonomischen Systems hindurch, das als nicht-determinierte Totalität zu verstehen ist, erfolgt die rhythmische Überdrehung der Systematizität des Kapitals, das dabei das Außen streift. Dies hat mit der Unvorhersehbarkeit und gleichzeitig mit der Regularität der zyklischen Patterns der finanziellen Flows zu tun. Diese Flows gehen von Metamophosis zu Metamorphosis. Dabei sind die Derivate als der Inbegriff der Ströme des finanziellen Kapitals zu verstehen. Das Kapitalsystem ist durch seinen unerbittlichen Drive hin zum Wachstum und zur Akkumulation bestimmt, i.e. als das prozessuale Begehren des Kapitals oder als seine konstitutive Tendenz. Der Drive des Mehrwerts hin zum Exzess gibt dem Kapital die dynamische Qualität des Immer-Mehr. Massumi schreibt: “The engine of surplus-value lies at the beating heart of the capitalist system and dilates its veins. It is the expansive diastole for profit’s systolic contraction. More than just the quality of money—that is how it appears inside the system, as a halo-glow around profit—surplus-value is the processual quality of the capitalist system. It is what gives its quantifications their dynamic quality. … It is how capitalism dips into the expanded field of its immanent outside (diastole), no sooner to contract the movements of potential found there into its profit-making system flow (systole).”

Die treibende Kraft des Kapitals ist das Differential zwischen Profit und Mehrwert, exakt die systemisch-prozessuale Asymmetrie. Massumis Konzept des Mehrwerts lässt sich nach eigenen Aussagen nicht auf die Marx`sche relative oder absolute Mehrwertproduktion reduzieren. Die prozessuale Mehrwertproduktion, die Massumi an dieser Stelle im Auge hat, ist rein qualitativ und betrifft die Intensität von lebenden Potenzialen. Dieser Mehrwert und das kapitalistische System stehen zwar in einer Beziehung zueinander, aber die beiden Terme können nicht gleichgesetzt werden. Der kapitalistische Mehrwert inkludiert die systemische Vereinnahmung des Mehrwerts des Lebens.

Die auf die Zukunft bezogene Definition des Kapitals in den Termen des Mehrwerts zeigt, dass das Kapital fundamental spekulativ ist und dies heißt auch, dass es eine Machtbeziehung ist. Die Spekulation ist keine Perversion, sondern die Essenz der kapitalistischen Ökonomie. Sie ist ihre Machtfunktion. Als solche vereinnahmt sie auch die Zukunft der Vitalität, ja das Leben und sein Werden; letzteres bezeichnet Massumi als Ontomacht. Die Aktivitäten des Lebens werden kontrolliert und ökonomisiert zugleich, Die Machtformationen sind Apparate der Vereinnahmung. Dabei ist selbst das Geld nicht einfach nur eine soziale Relation, sondern der Operator einer Machtbeziehung.

Die Tatsache, dass der Motor des Kapitals ein Exzess ist, bedeutet, dass der Preis keine Knappheiten reflektiert. Die Finanzmärkte sind Nicht-Orte, an denen das Geld am intensivsten im Sinne des Mehrwerts als Kapital funktioniert. An diesen Märkten ist der Exzess in einer Art operativ, die nicht die Knappheit, sondern den Überfluss voraussetzt,  i.e. die Kapazität endlos das Kapital durch abstrakte finanzielle Instrumente bzw. Derivate zu multiplizieren und proliferieren. Der Drive des Mehrwerts wird direkt durch die Maschinisierungen an den finanziellen Märkten ausgedrückt, Massumi schreibt: “Profits are swept in the tide of perpetual speculative motion: data points on the cyclic beach of wealth, no sooner deposited than swept away to rejoin the flow.”

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