Der Quanten-Marxismus/ Non-Laruelle (1)

Laruelle fordert in seinem Essay Marx with Planck eine marxistische Gnosis und nennt sich selbst infolgedessen keinen Marxisten, sondern einen an der Zukunft orientierten Marxisten, der sich auf der Suche nach einer aleatorischen Teleologie befindet, die keinen Zusammenhang mit dem hat, was die marxistische Philosophie bisher als Maß und Methode für den Marxismus vorgegeben hat. Laruelle nimmt damit keineswegs die Unterscheidung zwischen einem Marxismus als eine sedimentierte Tradition mit einer Vielzahl von Autoren, der er selbst angehört, und einer marxistischer Philosophie, mit der man bis heute daran glaubt, zu einem authentischen Marxismus, das heißt zu seinen philosophischen Ursprüngen (die immer wieder an Hegel festgemacht werden) zurückkehren zu können, zurück. Die Entledigung des Marxismus vom Hegelianismus, wie sie etwa Althusser und Henry beabsichtigten, war für Laruelle nicht ganz erfolgreich, blieb sie doch bei Althusser in einem positivistischen Strukturalismus und bei Henry in einer transzendentalen und egologischen Immanenz gefangen. Während der Althusserianismus in dem allseits bekannten Spiel- und Schlachtfeld für marxistische Intellektuelle endete, gab Henry die wegweisenden Zeichen für einen Marxismus für Christen. Für Laruelle ist der Marxismus aber weder ein rein strukturale Wissenschaft noch eine transzendentale Philosophie, sondern eine Gnosis.

Warum benutzt Laruelle dafür im fünften Stadium der Nicht-Philosophie die Quantentheorie? Er nennt zunächst zwei Gründe für den allgemeinen Gebrauch der Quantentheorie: 1) Ihre harte, technische Modellierung und die Ausweitung in andere Bereiche in der Physik und 2) ihr Gebrauch als ein neues Modell für eine auf die Humanwissenschaften bezogene Rationalität, i.e. ihre Konjugation (komplexe Abbildung) mit einem theoretisch-experimentellen Feld (Ästhetik, Ökologie, Marxismus etc.)

Das zweite Modelling beinhaltet eine gewisse theoretische und insbesondere eine mathematische Vereinfachung der Quantentheorie jenseits ihres nicht verhandelbaren Kerns, der das mathematische Minimum jeder Wissenschaft darstellt. Und dieses Modelling ist auch die Grundbedingung für eine futuristische philosophische Praxis, nämlich als ein Gedankenexperiment unter minimalen algebraischen Bedingungen mit dem und innerhalb des philosophischen Materials; Laruelle will eine komplexe Konjungation (Abbildung, die mit der Addition und der Multiplikation verträglich ist) von Quantentheorie und Marxismus konzipieren, eine Verbindung, völlig anders ist, als all die in der Geschichte auftretenden Verbindung der Ideen eines marxistischen Philosophen mit den Ideen von Marx. Die von Laruelle angestrebte neue theoretische Konstruktion des Marxismus affirmiert zum einen die fundamentalen Prinzipien der Quantentheorie und lässt diese zum anderen als ein marxistisches Material innerhalb eines philosophischen Horizonts agieren, der aber nicht in seiner hegelianischen Form gedacht wird. Die Konstruktion einer untrennbar marxistischen-und-quantentheoretischen Problematik entsteht auf der Basis zweier verwickelter theoretischer Impulse, die den Formalismus der Philosophie verändern ohne ihre Materialität zu verändern. Dazu bedarf es wiederum der Befreiung bestimmter quantentheoretischer Komponenten von ihrem mathematischen Apparat, womit sie auf einen vektoriellen Apparat reduziert werden, während man gleichzeitig den philosophischen Komponenten ihre Suffizienz entzieht.

Es geht Laruelle also um ein nicht-strukturales Quanten-Modelling der elementaren Grundlagen des Marxismus und seiner philosophischen Kontexte. Damit soll die Geschichte des Marxismus nicht länger als das Objekt einer endlosen Hermeneutik fort-wesen, eine Hermeneutik, die hofft irgendwann doch noch zu einem wahren Verständnis von Marx zurückkehren zu können, sondern es wird sowohl eine radikale Transformation der theoretischen Grundlagen des Marxismus als auch ein neues Gleichgewicht zwischen Wissenschaft und Philosophie angestrebt. Wie kann man den Marxismus von der Dialektik, seiner Aneignung durch den Humanismus und der Dramatisierung durch die Philosophie befreien, die bisher all sein philosophischen Ansätze bestimmt haben? Für Laruelle sind neben dem Hegelianismus insbesondere seine makroskopische Rationalität und die Marx`schen Bezüge zu Newton zu streichen. Damit erst kann es zu der angestrebten Superposition von Marx und Planck und zu einer vereinheitlichten Theorie (keiner Synthese) kommen, die von den philosophischen Entscheidungen und den unnötigen Accessoires befreit ist, um schließlich in einen erneuerten Nicht-Marxismus oder Nicht-Standard-Marxismus zu münden. Die unerwartete Begegnung des Marxismus mit der Quantentheorie ermöglicht zudem auch die Erneuerung seines gnostischen Aspekts. Der Marxismus muss heute die innovativsten Variablen der Philosophie und der Wissenschaften aufgreifen, deren erstes Element die Quantentheorie ist.

Laruelle widmet sich zunächst dem berühmten Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, das im traditionellen Marxismus als widersprüchlich, i.e. als Einheit und Kampf von Gegensätzen begriffen wird. Beide Komponenten (Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse) sind im Marxismus keine simplen Variablen, sondern diese sind immer selbst schon Relationen, obgleich erstere doch eine Entität zu sein scheinen, sodass man es mit einem techno-wissenschaftliche Körper im Verhältnis zu den Produktionsverhältnissen zu tun hat, die als die Relation par excellence begriffen werden. Die Relation zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen darauf folgend so zu denken, dass sie in einer Fusion oder Synthese (Produktionsweise) mündet, ist ein viel zu einfaches Konzept, vielmehr sollte man die Relation zwischen zwei Variablen zunächst generell eher als zwei inverse Werden (Kohärenz/Inkohärenz) anstatt als eine Relation zwischen zwei Typen isolierter Körper konstruieren. Diese beiden Prozesse sind den Variablen äquivalent, da die Werden solche der Relationen der Variablen sind.

In diese Problematik führt Laruelle nun den Begriff der Superposition ein. Sie besagt, dass eine dritte Welle zu zwei Wellen so hinzuaddiert wird, dass sämtliche Wellen von derselben Natur bleiben. Das Denken orientiert sich hier nicht am Objekt, sondern an der Amplitude der Wellen. Die Superposition ist irreduzibel auf eine philosophische Synthesis und als materialisierter Gedanke besteht sie nicht einfach in der Überlagerung von bloßen Variablen, sondern in der Überlagerung der kohärenten/inkohärenten Werden, i.e. dem Werden von Relationen zwischen einfachen Variablen.

Das alte marxistische Konzept der Fusion oder der Synthese ist immer noch ein viel zu philosophisches Konzept, das einerseits im Empirismus und andererseits in einem transzendentalen Typ der Synthese resultiert, ein Konzept, das definitiv durch das der Superposition ersetzt werden sollte, das heißt der vektoriellen und komplexen Addition zweier Variablen. Das Gesetz der Quanten-Fusion ist nicht das der Verbindung zwischen dem Makroskopischen und des Mikroskopischen unter der Voraussetzung eines einheitlichen Maßes, denn dies wäre auch nichts weiter als eine transzendentale Synthese. Die »Fusion« der Produktivkräfte mit den Produktionsverhältnissen sollte man von Anfang als Superposition oder Addition von Vektoren denken, womit wir uns im Bereich der formalen und keineswegs der empirischen Wissenschaft befinden: Man addiert die Vektoren, welche die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse repräsentieren, um dann erst zu zwei Typen überlagerbarer empirischer Daten zu gelangen.

Die Superposition inhäriert eine indeterminierte Existenz und hat das Quant als seine Essenz, die wiederum ihre Virtualität determiniert. Das Quant selbst ist in verschiedene Typen heterogener Dualitäten zerlegbar, die wiederum von ihm entwickelt werden (Bourgeoisie/Proletariat; Markt/Organisation; Produktionsverhältnisse/Produktivkräfte etc.). Jedoch ist für Laruelle die Essenz des Quants der Klassenkampf, dessen vordergründiges Phänomen der Kampf der Klassen ist. Der Klassenkampf nimmt hier die generalisierte Form zweier inverser Relationen, derjenigen der Dominanz und der Orientierung an (Produktionsverhältnisse><Produktivkräfte, Markt><Organisation;Bourgeoisie><Proletariat etc.). Im Klassenkampf ist die quanten-marxistische Rationalität im Rahmen der Wissenschaft der Geschichte immer unterteilt.

Laruelle resümiert an dieser Stelle: Wenn die Superposition eine Addition von abstrakten Vektoren in einem Hilbert-Raum ist, dann ist die Quantisierung ein Problem der Relation zwischen zwei Messmethoden oder sie inkludiert die zwei Werden selbst (Kohärenz/Inkohärenz), wobei das Problem der Orientierung die Vektoren und nicht die realen Zahlen betrifft. Jede Messung ist direktional und kann gegen eine andere ausgespielt werden.

Zwischen den beiden Werden muss dann in der letzten Instanz eine Nicht-Kommutativität eingeführt werden. Auch das Prinzip der Nicht-Kommutativität entlehnt Laruelle der Quantenphysik. Es besagt, dass zwei inverse Produkte oder physikalische Quantitäten nicht zeitgleich gleich und tauschbar sein können. Es gibt allerdings nicht nur die Inversion zwischen den Variablen, sondern auch die Inversion der Produkte von Variablen; diese sind immer unter dem Gesichtspunkt ihrer Nicht-Kommutativität zu verstehen. Die Nicht-Kommutativität ist ein universeller Faktor, der für jede Variable im Verhältnis zu einer anderen gilt und sich unilateral in alle möglichen Richtungen bewegt.

Auch der Klassenkampf ist als Nicht-Kommutativität seiner Variablen zu begreifen. Das wahre Quant (nicht das substanzielle oder empirische Quant), nämlich der Klassenkampf, beinhaltet die Nicht-Kommutativität als ein allgemeiner Teiler. Zudem ist das Quant eine abstrakte Kraft, die alle möglichen Relationen affiziert und nicht bloß eine einzige Relation. Damit kann Laruelle den Klassenkampf als eine Art Quanten-Nacht fassen, die dem Quarter-Turn oder der imaginären Zahl äquivalent ist (1); er ist universell und steht für jede Relation, er ist die Bedingung für jede revolutionäre Aleatorik, er bedarf einer Art Transzendentalität, die als Unter-Determination funktioniert. Er strahlt zugleich in beide inversen Richtungen und gleichzeitig in alle Richtungen aus. Deshalb kann man niemals in einer einzigen Unilateralität verbleiben, bspw. weder der des Marktes noch der Organisation, selbst wenn diese Faktoren seine Möglichkeiten sogar definieren.

Warum gibt es im Klassenkampf sowohl Teilung als auch sich selbst multiplizierende Relationen? Und ist der Klassenkampf immer Dominanz und Kampf? Wenn es eine Wissenschaft des Klassenkampfes gibt, dann gibt es Relationen und zwei verschiedene Messmethoden, die in ihrem Resultat nicht-kommutativ sind. Die Quantentheorie benötigt die Nicht-Kommutativität, die Inversion zweier Relationen als Funktionen zweier Messmethoden, und diese nicht-kommutative Inversion ist der Ursprung des Kampfes. Der Klassenkampf hat deshalb nichts von Kontingenz oder Zufall, vielmehr ist er im Zuge des Quanten-Modells der Geschichte absolut notwendig.

Und es kommt ein weiteres Moment hinzu: Die imaginäre Zahl als die Quadratwurzel aus -1 kreiert einen nicht-kommutativen Klassenkampf mit einer minimalen philosophischen Transzendenz und diese schließlich selbst (abhängig von der Superposition und vektoriellen Addition). Die imaginäre Zahl ist der Grund der Unter-Determination der Superposition (nicht der Überdeterminierung) und beinhaltet das Element der Dominanz und des Kampfes im Herzen der Einheit der Relation, und dies heißt, dass der Kampf innerhalb der großen Transzendenz des 1=1 entfaltet wird. Es gibt hier eine doppelte Transzendenz zu vermelden, nämlich die der Superposition der virtuellen Elemente der Repräsentation und die der Quanten-Variablen, die von der imaginären Zahl durchquert werden. (Die Transzendenz der Superposition resultiert aus dem philosophischen Modus der Potenzialisierung.)

Laruelle führt also die Quantentheorie in den Marxismus mittels der Form der Superposition ein, die selbst eine prozessierende Quanten-Operation via einer komplexen Vektoralisierung ist. Laruelles Absicht führt hier zu einer harten wissenschaftlichen Modellierung, die explizit gegen die exklusive Dominanz der Philosophie und die vielen Neo-Marxismen im Marxismus gerichtet ist. Der Marxismus muss laut Laruelle unbedingt an die imaginäre und komplexe Operation der Quanten-Algebra angeschlossen werden, indem man eine Marxismus-Fiktion schreibt, die sich strikt davon abwendet, an den Marxismus ein Supplement, eine Dekonstruktion oder eine Mikro-Politik anzuhängen, weil all diese Zusätze in der letzten Instanz philosophischen Zusätze bleiben.

1.Einwand: Gerade die Erwähnung von Deleuze/Guattari und Foucault hinsichtlich der Mikro-Politik wird uns zeigen, dass Laruelle hier zu kurz greift, da er an dieser Stelle viel stärker als die genannten Autoren im philosophischen Kontext verbleibt.

Wie lässt sich eine neue Marxismus-Fiktion schreiben? Laruelle versteht die Relation zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Rahmen einer historisch existierenden Ökonomie als Stadien eines Quantensystems. Man kann sie superponieren, indem man sie auf Zustandsvektoren und auf Komplexitäten oder imaginäre Zahlen (Quadratwurzel aus -1) reduziert. Der klassische Typus der Synthese oder der Fusion ist hier nicht länger mehr dialektisch, aber auch nicht deterministisch im Sinne einer Fusion von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen unter der Dominanz der letzteren.

Und der Marxismus wird jetzt selbst als ein Vektor und nicht im Rahmen seiner empirischen oder makroskopischen Spezifitäten eingesetzt. Dies hat zur Folge, dass die Synthese oder Fusion als indeterministische und virtuelle »Fusion« von Zustandsvektoren konzipiert wird, welche all die Möglichkeiten oder Potenzialitäten beinhalten, die im Kontext eines revolutionären und aleatorischen Prozesses aktualisiert werden können, welcher wiederum innerhalb eines Teilchenbeschleunigers oder im Inneren einer Sozio-Ökonomie stattfindet, die durch den Quanten-Apparat repräsentiert wird.

Laruelle kommt auch hier wieder auf den von ihm schon öfters erwähnten betrüblichen Dualismus von dialektischem Materialismus und historischem Materialismus zurück. Laruelle weist die Dualität und die an Hegel orientierte Privilegierung des dialektischen Materialismus zurück und begreift mit diesem Zug den historischen Materialismus als die Basis eines möglichen und universellen Wissens von historischen Phänomenen. Dem historischen Materialismus korrespondiert die Universalität der Quanten-Modellierung, insbesondere die Superposition im Rahmen einer Wissenschaft der Geschichte. Und der Klassenkampf ist die Essenz einer gegebenen Sozio-Ökonomie, das minimale Quant, das dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt Geschichte gibt, oder, um es anders zu sagen, der Klassenkampf ist das Quant, von dem aus eine Wissenschaft der Geschichte überhaupt möglich wird und ein Objekt besitzt.

Welches der beiden Axiome des Quantentheorie – Superposition und Nicht-Kommutativität – besitzt nun für Laruelle Priorität? Die Superposition ist die Form oder das Prinzip des Wissens, das formalistische Faktum oder seine Existenz als die Realität der Wissenschaft. Sie kommt innerhalb Produktion des Wissens vor dem Quant, die ihr materieller Grund ist. Die Nicht-Kommutativität wiederum ist eine essenzielle Eigenschaft, die vom Quant abgeleitet ist, insofern dieses den Index der minimalen Existenz eines Materials für die Wissenschaften darstellt und innerhalb eines Apparats behandelt werden muss und zudem zum theoretischen Gebrauch für die Bestimmung zweier Variablen mit inversen Produkten benötigt wird. Fassen wir es mit Laruelle so zusammen: Die Quantentheorie substituiert die alte Dialektik, die Superposition substituiert die Totalität und das Quant substituiert die Kommutativität der philosophischen Dialektik. Mit diesen neuen Instrumenten ausgestattet übernimmt der historische Materialismus den Formalismus oder die Realität jeder Wissenschaft, auch die von der Geschichte, wobei der dialektische Materialismus seine Brauchbarkeit mit der Kontingenz des Quantums beibehält, welche die Essenz des Materiellen repräsentiert.2

Eine konkretere Version der bisher diskutierten Axiome muss nun die Menschheit mit einbeziehen, indem die Verbindung der revolutionären Dualität der Bourgeoisie/Proletariat Variablen geformt wird – eine Verbindung, welche die Aspekte des Quants und seiner menschlichen Ergebnisse konstituiert. Dies beinhaltet die Fusion der Massen mit der Theorie, die beide in einer nicht-hierarchischen und nicht-kommutativen Art und Weise kämpfen. Indem das eine Element das andere aufgreift, kommt es zu verschiedenen Effekten oder möglichen Ergebnissen, welche die aleatorische Dynamik der Geschichte konstituieren. Innerhalb einer generischen Wissenschaft kann das Quant nicht mehr länger in der Art und Weise definiert werden, wie das Planck mit der Konstante für die Physik getan hat, sondern das Quant muss im Kontext der Menschheit, die in Bourgeoisie und Proletariat geteilt ist, definiert werden. Um nun zur Immanenz des revolutionären Prozesses selbst zu gelangen, muss eine extern fixierte Konstante abgelehnt werden, stattdessen ist eine Konstante zu installieren, die das Subjekt=X ist, wobei es weiterhin die beiden Variablen (Bourgeoisie/Proletariat) zu bedenken gilt, die in den Quantenapparat der Geschichte gesendet werden. Was die Wissenschaft der Geschichte als Realität begründet, das ist nun die Kontingenz des Quants, die den Kapitalismus und seinen inneren Kampf ausmacht (es geht hier nicht um das Reale, das die Form der Wissenschaft als Superposition definiert). Der Klassenkampf ist in seiner Beziehung zur Essenz der Wissenschaften kontingent, aber es gibt nichts Kontingentes, wenn es um die wissenschaftliche Definition des Objekts geht, selbst wenn es sich als Effekt des Kampfes manifestiert. (Das Objekt beinhaltet die Identität des Kampfes der Klassen, welche die Gegenparteien zusammenhält, und zwar durch Teilung.)

Der Nicht-Standard-Marxismus ist in diesem Kontext eine wissenschaftliche Produktivkraft, untrennbar ein Quant und befindet sich auf dem Level des Menschheit-Quants, das als ein Produktionsverhältnis untrennbar bourgeois und proletarisch ist. Es gibt für Laruelle multiple Interpretationen dieser Matrix, in die man stets neue Disziplinen implementieren kann. Diese Matrix duldet keine Hierarchien, sondern fordert die Gleichheit zwischen Theorie und Massen innerhalb einer generischen Theorie, um schließlich eine neue kollektive Subjektivität generieren zu können. Laruelle schlägt an dieser Stelle eine Interpretation des Marxismus vor, die stärker epistemologisch als ökonomisch ist und eher an denjenigen Marxisten orientiert ist, die um den Kampf und die Menschheit bemüht sind. Man riskiert damit allerdings eine Interpretation, die parallel zur ökonomischen Theorie und ihrem Materialismus läuft, indem man die Produktivkräfte favorisiert, die jetzt nicht mehr ökonomisch, sondern wissenschaftlich und positivistisch sind.

2. Einwand: Das Verhältnis von Laruelle zur Analyse und Kritik der Kapital-Ökonomie bleibt unbestimmt, da er selbst keinen Begriff vom Kapital besitzt. Er verbleibt damit unweigerlich in der von ihm gerade kritisierten hegemonialen Problematik der Philosophie.

Weiterhin stellt sich das Problem der Determination der Fusion der Variablen, eine Determination, die über ihre relativen Effekte und oder ihre Orientierungen entscheidet. Innerhalb einer philosophisch orientierten Fusion, bei der ein Term mit dem anderen Term ( beide als simple Variablen) fusioniert, kommt es zur Teilung in Zwei, wobei die Fusion stets überdeterminiert ist. Dies schafft eine Indexierung, welche die Fusion vertikalisiert oder transzendentalisiert. Innerhalb eines wissenschaftlich orientierten Marxismus stellt sich dagegen eher das Problem des Ökonomismus in den Wissenschaften oder eines Szientismus, eines mathematischen oder der Mengentheorie. Laruelle will mit diesen Versionen des Marxismus brechen, indem er den gleichen Status der Variablen anerkennt, die hier nichts als (komplexe) Variablen sind und es innerhalb der Relationen, die unterdeterminiert und nicht-kommunitativ sind, auch bleiben. Gibt es nun nicht doch noch die Version eines dritten Terms zu vermelden, der die Funktion einer Determination einnimmt? Ja. Es ist diejenige der Summen der Variablen via der Superposition, insofern sie in ihren Produkten persistiert. (Weder die Wissenschaft noch die Philosophie determinieren isoliert voneinander die Fusion, sie können sie auch nicht aktualisieren.) Wenn die integrierte Summe der inversen Produkte oder die beiden Aspekte des Quants in den Quanten-Apparat geschickt werden, wobei sie in ihm im Stil einer revolutionären Aleatorik behandelt werden, wenn nicht sogar als eine aleatorische Revolution, dann bleibt es immer noch notwendig, dass dieser Apparat existiert, insofern er eine universelle Schließung durch die Superposition formt, nämlich die eines Teilchenbeschleunigers oder als ein geschlossener theoretischer Locus, der zumindest eine quasi-transzendentale Dimension des Apparats simulieren kann.

Der Marxismus wird nun selbst ein Quant und bleibt definitiv anti-hegelianisch, indem er zumindest eine Unter-Determination für jeden Aspekt und jede Relation anerkennt (via der Superposition). Die Determination kommt nun in der Form eines Teilchenbeschleunigers zurück, von dem man vielleicht allzu schnell sagt, er repräsentiere nichts weiter als die Wissenschaften. Dieser Teilchenbeschleuniger ist aber ein quasi-transzendentaler Apparat, untrennbar wissenschaftlich und philosophisch, indem er zwei Eigenschaften in einem superponierten Stadium akkumuliert. Dies ist eine Interpretation, die die Vorrangigkeit eines immanenten Formalismus affirmiert, insofern die Superposition kein externer Faktor im experimentellen Feld ist, sondern das Quant selbst, die Form der Wissenschaft der Geschichte als ihr materielles Quant.

Diese Art der Determination diskutiert Laruelle als eine Unter-Determination. Er unterscheidet a) die unilaterale und positivistische Unterdeterminierung der Fusion durch die Wissenschaften – vorausgesetzt ist hier die Quantentheorie, die in einer wilden Art und Weise gebraucht wird, b) die unilaterale Überdeterminierung durch die Philosophie, und c) die universelle Unterdeterminierung innerhalb und durch den Teilchenbeschleuniger, der die Unilateralitäten der zwei Variablen konjungiert und als generisch schließlich das beibehält, was von der Fusion bleibt. Diese letzte Unterdetermination nennt Laruelle Determination-in.der-letzten-Instanz. Die einfache Unilateralität ist hier unterschieden von der Superposition, die nicht unilateral ist, obwohl sie quasi ein dritter Term ist, aber als die Form eines Resultats, das keine Triangulation ist. Die Superposition resultiert in keinem autonomen dritten Term einer Struktur, sondern persistiert in einer integralen Art und Weise innerhalb einer wissenschaftlich-philosophischen Schließung, indem sie sich nicht nur als unilateral, sondern als eine komplette Unterdetermination subtrahiert, i.e durch die Addition von komplexen Zahlen innerhalb der Superposition und dann durch ihre Multiplizierung innerhalb des Quants. Der Teilchenbeschleuniger entwertet das partikulare oder undulatorische Produkt, das aus ihm kommt. Die Entwertung zieht ihn aber selbst auf die Ebene der Basis und dem Zentrum der Gravitation hinab, geschuldet den komplexen oder imaginären Zahlen, als ob ein Gebäude in seinen eigenen Ruinen zusammensinken würde, ein Bruch im Gleichgewicht, eine Entwertung innerhalb des transzendentalen Prozesses der Erhöhung. Der Quanten-Teilchenbeschleuniger kreiert damit einen neuen Raum.

Die komplexe Form der Wissenschaft steht immer noch auf der einen Seite und ihre Materie auf der anderen Seite. Der formale Grund als Superpostion und der materielle Grund als Quant bleiben aber insuffzient hinsichtlich der Konstitution einer generischen Theorie, wenn sie auf ihrer Seite jewiels getrennt bleiben. Laruelle führt deswegen nun den effizienten Grund ein, und zwar als eine Gruppe, die den Quanten-Apparat versammelt, indem sie innerhalb seiner Materialität und seiner Funktion die Initiative übernimmt. Diese Gruppe ist das Subjekt des generischen Marxismus als Agent=X. Der Agent formt einen Teil des Apparats, er gehört trotz externer Bedingungen zu ihm, und zwar angesichts der immanenten probabilistischen Effekte des Apparats und der Strukturierung durch sein eigenes Quant-Werden, wobei er als ein Äquivalent des finalen Grundes, der in Wirklichkeit aber ein aleatorischer Grund ist, erscheint. Was produziert nun den Apparat? Potenzialitäten (innerhalb der indefiniten Superposition), die real oder aktuell werden, wenn der Apparat existiert.

3. Einwand: Laruelle kann das Außen nicht denken.

Das Subjekt der marxistischen Theorie ist für Laruelle mehrdeutig: a) Die Superposition einer Kollektivität von Individuen innerhalb einer partikularen Sozio-Ökonomie und ihrer sozialen und historischen Veränderungen, b) Dualität der Bourgeoisie/Proletariat-Variablen, die in inversen und indeterminierten Produkten konjugiert sind, um das anthropologische Quant zu formen, c) das Subjekt=X, das die Variablen aus ihrer Virtualität aktualisieren. Laruelle resümiert, dass die Quantentheorie der Geschichte die Indetermination der Ergebnisse der Kämpfe akzeptieren müsse.

4. Einwand: An dieser Stelle verfällt Laruelle in einen demokratisierenden Humanismus.

Das ultimative Stadium des Nicht-Standard-Marxismus ist für Laruelle mit dem spekulativen (und nicht länger formalen) Teilchenbeschleuniger der Geschichte erreicht. Damit werden zugleich alle physikalischen Gegebenheiten und Singularitäten als theoretische Objekte oder Korpuskeln begriffen, und zwar ausgehend vom anfänglichen Quant, das durch sich selbst dividiert und multipliziert wird, um die Potenzialisierung der Immanenz des Quants zu erreichen. Dies hat nicht nur Effekte auf das Quant, sondern auch auf die Superposition, die nun auch potenzialisiert wird. Es gibt zwei Stufen der Superposition: Die primäre, welche in zwei Mikro/Makro Werden resultiert, bei denen das Material empirisch gegeben bleibt und das formal nur durch die Form wird, und dann die sekundäre und komplexe Superposition, die nicht nur die Form, sondern auch das Material durchquert und zu einer absolut immanenten Quantisierung führt. Die Superposition und die Quantisierung sind entweder die der einfachen Variablen (formale Quantentheorie) oder sie sind potenzialisiert und besitztén dann eine formalisierte empirische Materie, das heißt doppelt formalisierte Vektoren, und zwar durch die Form und die Materie.

Im zweiten Teil werden wir zur Ausformulierung der Einwände übergehen, um der Konzeption eines wirklichen Quanten-Marxismus näher zu kommen, dem sicherlich ein Nicht- voran zu schicken ist.

1) Der quarter turn steht für die geometrische Repräsentation der komplexen, imaginären Zahlen und wird mit der Quadratwurzel -1 denotiert. Eine komplexe Zahl besitzt zwei Teile: einen realen Teil und einen imaginären Teil, so zum Beispiel 2 + 3i. Wen man in der Geometrie eine reale Linie zieht und eine imaginäre Linie im rechten Winkel ansetzt, dann kann man die komplexe Zahl als einen Punkt auf dem Graphen (mit seinen zwei Achsen) darstellen. Eine Zahl mit i zu multplizieren und die Linie im Uhrzeigersinn 90 Grad vom Ursprung zu drehen, das gilt hier als äquivalent. Weiter lässt sich schreiben: 1 * i = 1i, 1i * i = -1 Weil die Quadratwurzel von i -1 ist, so ist n * i * i = n * -1 = -n. Exakt das ist der »quarter-turn«. Um ihn kurz und knapp als Kreisform zu erfassen: Das Reale wird das Imaginäre, das Imaginäre wird das negativ Reale, das negativ Reale wird das negativ Imaginäre, und das negativ Imaginäre wird das Reale

2) Althussers These, dass gewisse Antworten bestimmten Fragen vorausgehen, verweist darauf, dass die Antworten der Quantenphysik via ihres aleatorischen Charakters den klassischen Problemen vorausgehen; diese Antworten sind apriori nicht kalkulierbar, und dies charakterisiert die Superposition, die alle Potenzialitäten für eine Synthese oder Fusion enthält.

Foto: Bernhard Weber

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