Die Barbarei der Beschäftigung – Vom Produzenten zum Konsumenten von Arbeit

Oben habe ich argumentiert, dass bis in die 1970er Jahre hinein die gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit von einer wechselseitigen Abhängigkeit von Kapital und Arbeit geprägt war. Diese beruhte darauf, dass das Kapital in seinem Drang zur Verwertung auf lebendige Arbeit angewiesen war, während die Eigentümer der Ware Arbeitskraft vom gelingenden Verkauf eben dieser Ware abhingen, um leben zu können. In der Epoche des fiktiven Kapitals hat sich jedoch dieses Verhältnis grundlegend verändert. Nicht nur ist durch die Dritte industrielle Revolution massenhaft lebendige Arbeit überflüssig gemacht worden, entscheidender ist noch, dass sich der Schwerpunkt der Kapitalakkumulation von der Vernutzung von Arbeitskraft in der Produktion von Gütermarktwaren hin zum Vorgriff auf zukünftigen Wert verschoben hat. Dadurch ist das Kapital in seiner Selbstzweckbewegung in einem ganz neuen Sinn selbstreferentiell geworden. Zwar verbleibt der Vorgriff auf zukünftigen Wert, der im Hier und Heute kapitalisiert und akkumuliert wird, innerhalb der Logik und Form der Warenproduktion; denn er wird ja durch den Verkauf einer Ware erzeugt, nämlich durch den Verkauf eines Eigentumstitels, der den Anspruch auf eine bestimmte Summe Geld und deren Vermehrung verbrieft. Aber die Verkäufer dieser Eigentumstitel sind keinesfalls irgendwelche Arbeitskräfte, die das Versprechen auf eine Arbeitsleistung in zehn oder zwanzig Jahren verkaufen, also eine Art langjährigen Vorschuss erhielten, deren Einlösung im Ungewissen bliebe; es sind vielmehr die Funktionäre des Kapitals selbst, in erster Linie die Banken und andere Finanzinstitutionen, die sich gegenseitig die verbrieften Ansprüche auf zukünftigen Wert verkaufen und damit fiktives Kapital erzeugen und akkumulieren. In dieser Hinsicht ist das Kapital also tatsächlich vollkommen selbstbezüglich geworden; die Ware, die zusätzliches gesellschaftliches Kapital repräsentiert, entsteht innerhalb der Sphäre des Kapitals selbst.

Umgekehrt bedeutet das nun aber, dass die Verkäufer der Ware Arbeitskraft ihre Verhandlungsmacht weitgehend verlieren. Nicht nur können sie ohnehin angesichts der voranschreitenden Produktivitätsentwicklung und der Globalisierung jederzeit durch Maschinen oder durch billigere Konkurrenten irgendwo auf der Welt ersetzt werden; viel entscheidender noch ist aber, dass ihre Ware nicht mehr die Basisware der Kapitalakkumulation ist. Daraus ergibt sich ein strukturelles Ungleichgewicht. Für die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung ist die gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit immer noch insofern zentral, als sie hier und heute ihre Arbeitskraft oder ihre Arbeitsprodukte als Ware verkaufen müssen, um im Gegenzug dafür am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu können, also um die benötigten Konsumtionsmittel zu kaufen. Dagegen bleibt zwar auch das Kapital auf die gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit bezogen; denn es hat sich ja keinesfalls aus dem Universum der Warenproduktion verabschiedet. In dem Maß wie das Kapital durch den Vorgriff auf künftige Wertproduktion akkumuliert, also die Resultate möglicher Arbeit in der Zukunft vorwegnimmt, befreit es sich aus seiner Abhängigkeit von der heutigen Arbeitskraftverausgabung und den Verkäufern der Ware Arbeitskraft.

2.Die Phänomenologie

Und die Arbeit ist überall, jederzeit. Wenn die Unterdrückung absolut ist, gibt es keine Muße, keine “Freizeit” mehr. Der Schlaf wird überwacht. Der Sinn der Arbeit ist dann die Zerstörung der Arbeit bei der und durch die Arbeit. Wenn aber, wie es in manchen Konzentrationslagern vorkam, Arbeiten darin besteht, im Laufschritt Steine zu einem Ort zu schleppen, sie aufzutürmen, um sie dann, immer noch rennend, wieder zum Ausgangspunkt zu bringen … Dann kann die Arbeit nicht mehr durch irgendeine Sabotage zerstört werden, wenn sie bereits dazu bestimmt ist, sich selbst zu vernichten. Trotzdem behält sie ihren Sinn; nicht nur den Arbeitenden zu zerstören, sondern, unmittelbar, ihn zu beschäftigen, ihn zu fixieren, ihn zu kontrollieren und ihm gleichzeitig das Bewußtsein zu geben, daß Produzieren und Nicht-Produzieren ein und dasselbe sind, ebenfalls Arbeit ist … Blanchot

Maurice Blanchot zum Arbeitslager

Ist die heutige Situation nicht etwas ähnlich? Es gibt in den zumeist prekären Arbeitsverhältnissen eine große Anzahl sinnentleerter und sogar unter kapitalistischen Gesichtspunkten unproduktive Beschäftigungen, die Graeber als Bullshitjobs bezeichnet1, und die, egal, ob sie mit langem Warten, bei dem nichts passiert, oder unerträglicher Arbeitshetze verbunden sind, komplementär zur ubiquitären Zirkulationslogik des Kapitals verlaufen (Hauptsache die Arbeit zirkuliert als Beschäftigung); Die affektiv besetzte, blitzartige Schnelligkeit, die man im Umgang mit digitalen Geräten und Medien zu pflegen hat, erwartet man oft auch im Umgang mit Personen, Objekten und Materien, und diese Attitude wird heute, wird sie bezahlt, als Beschäftigung getarnt. Nonstop-doing ist hip und angesagt, auch wenn es noch der allerletzte Blödsinn ist, der ausgeführt wird, zumindest sollte ein wenig spiritueller Profit aus der Beschäftigung entspringen, wofür der wuchernde Hobbysektor vom Baumarkt bis zur FKK-Oase, der Boom der therapeutischen Wellness- und Freizeitbeschäftigungen mit ihren Patchworks selbststeigernder Aktivitäten und die spirituelle Wohlfühlindustrie vom Tantra über das Yoga bis hin zum Thai Chi die affektiven Steilvorlagen geben, wobei monetäre Profite aus solchen Tätigkeiten meist nur vermittelt gezogen werden.

In der industriellen Arbeit ging es immer auch darum, den Arbeiter (als variables Kapital) einzustellen, dessen Wert seiner Arbeitskraft niemals mit der Arbeit, die er leistete und die Mehrwert für das Kapital schuf, identisch war. Heute aber ist der Beschäftigte (nicht der Arbeiter) immer öfters nicht mehr in erster Linie der Eigentümer einer Arbeitskraft, die sich aus Vermögen, Fähigkeiten, Qualifikationen und Potenzialen zusammensetzt und die der Eigentümer auf dem Arbeitsmarkt anbietet und für eine gewisse Zeitspanne vermietet, um damit als ein Produzent zu fungieren, der neben der Ausübung von (Mehr)arbeit, die durch seine Arbeitskraft gewährleistet ist, noch als Freizeitmensch existiert. Als moderner Konsument von Arbeit oder als Kunde von Arbeit (bei der Arbeitsagentur für Arbeit) gilt der Beschäftigte heute hingegen als Humankapital im 24/7Modus bzw. als ein Halter eines Selbst-Portfolios, das mit beruflichen, sozialen und emotionalen Kompetenzen (nicht Qualifikationen) aufzufüllen und ständig zu verbessern ist, wobei ein Gespür für günstige Gelegenheiten und Optionen in den Jobs zu entwickeln und die Chancenspekulation geradezu anzunehmen ist, damit der Beschäftigte, in die Sprache der Ökonomie übersetzt, als ein ständig zu verbesserndes Konglomerat von verschiedenen kleinen Kapitalsorten gelten kann, ja vielmehr noch, der Beschäftigte ist dieses Konglomerat, das er für die Arbeitsagentur als Kunde durch den Nachweis von kleinen Wertpapieren, die seine Beschäftigungsgeschichte und -fähigkeit dokumentieren, glaubhaft verkörpern muss. Als Konsument von Arbeit ist er zugleich das kleine Kapital x, das er als spekulatives Kompetenzkonglomerat in seiner angeblichen Nicht-Austauschbarkeit oder Singularität gefälligst zu steigern hat, so lauten zumindest die neoliberalen Imperative, aber er bleibt dabei immer auch ein Profil, das ihm von Unternehmen, sozialen Medien und Arbeitsagenturen zugeschrieben wird, ein zwischen Konsolidierung und Vielseitigkeit oszillierendes Produkt. Dabei bleibt der Konsument in einen volatilen Arbeitsprozess (training for job) eingebunden, den man zeitweilig sogar »Leben« nennt. Händeringend, soweit es einen gewissen Status erreicht hat, sucht das Kompetenzkonglomerat nach seinen stets auffrischbaren Talenten sowie nach einem Alleinstellungsmerkmal, das of course in seinem (nie zu aktualisierenden) Potenzial liegt, es in ferner Zukunft einmal zu verkörpern, während es doch gänzlich den Techniken des Plusquamperfekt eines »Es wird gewesen sein« unterworfen bleibt, Techniken, die am laufenden Band die Zukunft in Vergangenheit umwandeln.

Die Lohnarbeit muss heute eine besondere Paradoxie aushalten. Zum einen ist die Arbeit eine allgemeine Tugend, die sich in das Leben einschreibt.. Alles ist Arbeit geworden, sei es Körperarbeit, Beziehungsarbeit, Sexarbeit, Trauerarbeit etc. Wirklich freie Zeit wird damit zum zu einem Zustand, den man auf jeden Fall vermeiden sollte. Zum anderen nimmt die Bedeutung der Arbeit als Beruf und Berufung ab, sodass nur der Job und die Beschäftigung bleiben, womit ein Arbeitsleben häufig genug als die Ansammlung nächstbester Gelegenheiten gilt, ohne die Chance, seine Erwerbsbiographie als gelungenes Leben erzählen zu können (Sennett). Ferner haben immer weniger Menschen Zugang zu einem Job, der ihnen eine halbwegs angenehme Existenz sichert. Und schließlich hängt über beinahe Allen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, die Furcht vor der Arbeitslosigkeit, Dann wäre eben noch zu fragen, warum die Leute ihre Bullshit-Jobs gerade als solche gar nicht begreifen.

Grundsätzlich gilt es zu sagen, dass Marx das subjektiv orientierte Konzept der Entfremdung später im Kapital durch das Konzept der Extraktion von Mehrwert ersetzt hat, die man subjektiv so ohne weiteres nicht erfährt, denn die Trennung von notwendiger Arbeit und Mehrarbeit ist nicht sichtbar. Der Mehrwert wird aber notwendig durch das Kapitalverhältnis evoziert.

An die Stelle des Produzenten, der sich im Laufe der kapitalistischen Historie zumindest für gewisse Lebensphasen von seiner Internierung in der Fabrik sowie von der kompletten Rechtlosigkeit in Sachen Freiheit emanzipiert hatte, der also immerhin die Freiheit besaß, seine Arbeitskraft an Märkten anzubieten, tritt heute zunehmend der Beschäftigte bzw. der Konsument von »Arbeit«, der an diese Tag und Nacht gekettet wird. Während der potenzielle Produzent am Arbeitsmarkt als Arbeitskraft ein Angebot verkörpert, stellt der Konsument von Arbeit für die Agenturen, die Arbeit vermitteln, die verkörperte Nachfrage dar, wobei die Arbeitskraft an den Arbeitsmärkten permanent designt und gehandelt, gecoacht und gecastet wird; sie wird nun zum flexiblen Modus für das Businessmodell einer Arbeits-Design-Industrie, welche der Arbeitskraft das Permanent-Casting verordnet. Und selbst wenn heute der Produzent seine Arbeitskraft noch verausgabt, ist sie an ihm insofern tendenziell gestrichen, als er sich nicht mehr allein über einen Produktions-, sondern überdies als Konsument von Arbeit über einen Kaufakt definiert. Und je weniger heutzutage angesichts der Automation und der exzessiven Zunahme von Bullshit-Jobs den Beschäftigten die Notwendigkeit von Arbeit noch zu vermitteln ist, desto stärker soll die Nachfrage nach Arbeit zum ubiquitären Modell gerinnen, was auch heißt, dass man die potenziellen Produzenten über die Jobcenter und die diversen privaten Vermittlungsdienste in die Rolle des Konsumenten von »Arbeit« versetzt.

Der flexible Arbeitsmarkt ist heute zum großen Teil durch die prekäre Dienstleistung charakterisiert, welche unter anderem die Bundesagentur für Arbeit anbietet, die aber die Beschäftigung eigentlich nur dann vermitteln kann, wenn sie auch vorhanden ist, was ohne weiteres auch vorausgesetzt wird. Folgerichtig müssen dann eben die Arbeitslosen für ihre Arbeitslosigkeit auch selbst verantwortlich sein, was wiederum einschließt, dass es sich bei ihnen zumeist um faule oder redundant arbeitsunwillige Subjekte handelt. Entkräftet man nun diese Behauptung mit Fakten/Zahlen, dann bleibt nichts als die fehlende Arbeit übrig. Und exakt dieses Fehlen der Arbeit muss die Bundesagentur für Arbeit als ihre »Dienstleistung am Arbeitsmarkt« ständig bearbeiten, indem sie die fehlende Arbeit wundersam in eine Arbeit in Potenz transformiert. Und nimmt man weiterhin an, dass die Arbeit vielfach prekäre und unterbezahlte Arbeit ist, wobei die Beschäftigten entweder potenziell zu Tode gehetzt und gemobbt werden oder reinen Beschäftigungstherapien unterworfen sind, so wird das Fehlen von Arbeit niemals fehlen.

Um es zu wiederholen, die Bundesagentur für Arbeit hält trotzig daran fest, dass es an Arbeit nicht fehlt, womit das Fehlen der Arbeit selbst zur Arbeit wird.2 Egal welche Arbeit von der Agentur angeboten wird, sie zirkuliert nun scheinbar selbst als potenzielle Ware (die klassische Verkennung, die in der Verwechslung bzw. Gleichsetzung der Arbeit mit der Arbeitskraft besteht), die sich aber meistens nur noch zeitlich befristet aktualisiert, wobei auch die potenzielle Beteiligung der Kunden an der Suche nach Arbeit längst keine Garantie mehr dafür ist, dass eine aktuelle Beteiligung an der Arbeit aus ihr resultiert. Wenn Arbeitslose zu Kunden von staatlichen oder privaten Arbeitsvermittlungsagenturen mutieren, dann kommt darin gerade eine weitere Verkehrung ins Spiel: Arbeitslose, die per definitionem Produzenten ohne Arbeit sind, werden potenziell zu Konsumenten, zu Käufern von Arbeit. Daraus folgt, dass die Arbeitslosen als Nachfrager von Arbeit gleichzeitig die Unternehmer ihrer selbst sind, die scheinbar ihre eigene Arbeit einkaufen. Sie haben auf jeden Fall ihr kleines Kapital X zu vermehren, und da dieses außer ihrer Potenz Arbeitskraft zu sein, meistens gleich Null ist, kam die Bundesagentur auf Arbeit eines Tages auf die schlaue Idee, dieses kleine Kapital X aufzubessern, Kennwort »Ich AG«, hat diese Bemühungen aber mehr oder weniger schnell wieder aufgegeben. Der prekäre Beschäftigte sollte nun am eigenen Leib erfahren, was Verantwortung und Unternehmertum heißt, damit er sich mit den Opfern, die Staat und Kapital für ihn erbringen, endgültig identifiziert, um die Staatsapparate und Unternehmen aus ihrer rechtlichen und sozialen Verantwortung zu entlassen.

Den Kaufakt von Arbeit muss der prekär Beschäftigte im Laufe seines Joblebens ziemlich häufig wiederholen, sodass Faktoren wie Fortbildung, Performancepotenz, Wissenserwerb und Verbesserung der Qualifikation und der Kompetenz auf Dauer gestellt sind, womit folgerichtig ein wucherndes Beratungs-, Trainings- und Weiterbildungsangebot an den Arbeits- und Coachingmärkten entsteht. Dabei haben wir es hier mit der Logistifizierung eines Beschäftigungs-Mobilitätsregimes zu tun, das darin besteht, die richtige Menge an Arbeitskräften, mit den richtigen Kompetenzen und Qualifikationen, zum richtigen Zeitpunkt und zu den richtigen Kosten an den richtigen Ort zu vermitteln, wobei dafür ein permanentes Tracking der Bewegungen der Arbeitskräfte stattfinden muss, um dieser Art der just-in-time Produktion gerecht zu werden, und dies betrifft insbesondere auch die to-the-point-Migration, (Logistische Grenzlandschaften 54), bei deren Management eine Logistik der Wartezeiten, umfassende Überwachung, Steuerung und Verhinderung von Friktionen gefordert sind.

Das meistens am Bildschirm erworbene Wissen resultiert in einem fluktuierenden Informationswert (des Konsumenten von Arbeit), wobei dieser Konsument mit der Arbeitskraft eines klassischen Produzenten, der mit einem standortgebundenen und für eine spezifische Fertigung konstruierten Maschinenpark konfrontiert ist, nur noch wenig zu tun hat. Das neue Paradigma der Beschäftigung ist der Computer, der mobil und flexibel und in ein Netzwerk integriert ist. Um erfolgreich zu sein, muss man heute in fast allen Berufsbereichen vernetzt sein, denn nur so kann man Investoren anziehen, die das eigene humane Investitionskapital fördern und voranbringen. Durch den Einkauf und die Anwendung von affektiven und sozialen Kompetenzen sowie beruflichem Wissen, das den Beratungs-, Coaching- und Weiterbildungsprogrammen entsprungen ist, scheinbar bestens informiert, muss der Konsument von Arbeit zum flexiblen und attraktiven Verkauf seiner selbst unbedingt imstande sein, gerade indem er ständig eine Art von Assets erwirbt, nämlich Zeugnisse, Urkunden, Gutachten, Arbeitsverträge, Zeitgutscheine, Steuererleichterungen etc., die er wie auch seinen Ausweis bei jeder Vorstellung vorzulegen hat.

Die Arbeitskraft wird in manchen Berufen weiterhin verausgabt, aber ihr symbolischer Stellenwert, der durch das erkämpfte Recht auf Arbeit repräsentiert wird, ist weitgehend gestrichen. An seine Stelle tritt also der Informationswert des Konsumenten von Arbeit, der durch Coachingskompetenz, den durch Bildung und Ausbildung erworbenen Wert, das Performance-Selbst-Portfolio und den genetischen Code gekennzeichnet ist. In dieser vierfachen Konnotation des Informationswerts besteht das kleine Kapital x, das die Informationsverarbeitung der Kompetenzen und des eingekauften Wissens beim Selbstverkauf deckt. Jetzt zeigt sich, ob der Konsument von Arbeit als ein sich selbst informierendes Netzwerk funktioniert oder eben nicht. Über die Anerkennung der Assets wird dann der Kaufakt abgewickelt, sofern denn der Konsument von Arbeit über einen attraktiven Informationswert verfügt (und eventuell auch über die nötige Kaufkraft). Und sollten sich dann seine Assets durch einen Arbeitsvertrag aktualisieren, dann ist er als Leiharbeiter zur Beschäftigung hinreichend mobilisiert. Die Assets beinhalten wie alle Finanzanlagen eine Potenz, die sich hier allerdings lediglich als Beteiligung an der Arbeit bzw. als Beschäftigung aktualisiert. Wird ein Asset dann auch aktualisiert, dann muss als Arbeit alles hingenommen werden, denn unzumutbare Arbeit gibt es laut der Bundesagentur für Arbeit nicht. Gelingt allerdings die Aktualisierung des eigenen Informationswerts nicht, spricht der Markt das Urteil, das besagt: Das Entstehen von Arbeit durch ihr Fehlen schlug fehl.

Die Leih- und Zeitarbeit stellt das permanente Entstehen (und Verschwinden) von Arbeitsplätzen auf Dauer, womit nichts weiter als die Arbeitslosigkeit verschwinden soll, sodass die Zeitarbeit zwar Zwischenzeiten ohne Arbeit, aber eben keine Arbeitslosigkeit mehr kennt. In diesen Zwischenzeiten ohne Arbeit wiederum zirkulieren die Assets ohne Unterlass in der Form von Bewerbungen durch die privaten und staatlichen Agenturen, denn zwar ist die Zeitarbeit befristet, aber die Bewerbungszeit ist es eben nicht, sodass also die Assets am Arbeitsmarkt Jahre oder fast das ganze Leben zirkulieren, aber es sind ja keine verlorenen Jahre, weil die Assets, die von den Agenturen gehandelt werden, (angeblich) stets zur Verbesserung des eigenen Informations- und Kompetenzwerts dienen. Es dürfte nun klar sein, dass der Konsument von Arbeit ein Risiko-Subjekt ist, und wenn er seinen in Assets investierten Informationswert für eine Zeitlang oder auch für immer unter Wert verkauft, dann ist eben das sein Pech, denn ausgerechnet im »Leih- und Zeitarbeitsspiel mit Gewinn und Verlust« gibt es keinerlei Versicherungsansprüche.

Und um es weiter zu führen, Arbeitslosenhilfe ist nur dann ein Recht, wenn das Recht auf Arbeit vorausgesetzt ist. Es wurde von den Produzenten und ihren Organisationen in langen Klassenkämpfen unter Berufung auf die weltbildende Potenz der industriellen Arbeitskraft erkämpft, die heute am Konsumenten von Arbeit gestrichen ist, womit eigentlich auch das Recht auf Arbeitslosenhilfe entfällt und letztendlich konsequenterweise zu Hartz4 transformiert wurde, das einem Paniklabor mit einem Almosen (das Strafrecht in das Sozialrecht einführt) gleicht, für das selbstverschuldete Unglück, das ja eigentlich nur dem zufällt, der jede von der »Modernen Dienstleistung am Arbeitsmarkt« vermittelte Arbeit für unzumutbar hält. Der Hartz4 Empfänger hat auf dem offiziellen Arbeitsmarkt nichts zu suchen, auf dem es eine hochqualifizierte, akademische, privilegierte Lohnarbeiterklasse, das heißt die abgesicherte Kernbelegschaft der großen und mittleren Unternehmen und das zum Teil selbständige und zumindest phasenweise gut verdienende Prekariat gibt. Der Rest der Bevölkerung befindet sich im Niedriglohnsektor oder hält sich auf dem Level einer staatlich subventionierten und/oder staatlich erzwungenen Beschäftigung oder fällt ganz aus der Beschäftigung heraus, was das Unglück nur noch vergrößert.3 Ein Teil des überflüssigen Rests wird als Hartz4 Empfänger gemeinerweise noch in die Zwangsarbeit verwiesen, in der die Beschäftigung selbst das geringfügige Einkommen ist, da ein von der Arbeit unabhängiges Grundeinkommen weiterhin strikt abgelehnt wird. Zwangsarbeit heißt permanente Mobilisierung für die Arbeit. Und auf eines ist dabei noch hinzuweisen: Die scharf abgegrenzte Aufteilung zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit als Kehrseite der Beschäftigung), die auf ein ganz anderes Akkumulationsregime zurückgeht (Standardisierung und Kontinuität der Produktion, mithin Stabilität und Kontinuität der Beschäftigung), hat sich in ein immer engeres Ineinandergreifen von Perioden der Anstellung und Perioden der Arbeitslosigkeit gewandelt. Dass die Arbeitslosigkeit strukturell geworden ist, besagt nicht, dass Millionen von Menschen auf einen unbefristeten Vertrag warten, vielmehr arbeiten sie, während sie gleichzeitig als arbeitslos gemeldet sind. Arbeitslosigkeit ist nunmehr Teil der Norm der Anstellbarkeit. Arbeitslos zu sein bedeutet, verfügbar und sofort einsetzbar zu sein, und zwar nicht für einen unbefristeten Vertrag, sondern für einen befristeten Vertrag mit einer Laufzeit. (Lazzarato)

Wenn größere Teile der Arbeit, im speziellen Hilfsarbeiten, vom Einkommen nicht ganz abgekoppelt werden dürfen, geraten sie zum Dienst, der nicht in der Arbeit selbst besteht, sondern in der vom Staat befohlenen Unterwerfung zur Arbeit. Als solcher ist der Dienst heute ein Dienst an der Arbeit, der sich in der Pflichtarbeit ausdrückt. Diese ist de facto Arbeitsdienst. Und je weniger der Dienst noch Dienst an der Arbeit ist, desto mehr mutiert er zum Dienst an der Kompetenz und Information mittels Aufsaugen, Bearbeiten und Speichern derselben. Dabei wandert die Information in den Körper und seine kognitiven Vermögen hinein und wird mit der Dienst(leistung) tendenziell identisch. Die Nachfrage nach Arbeit, die objektiv fehlt, wird zur Nachfrage nach dem, was an ihre Stelle tritt, sie wird zur Nachfrage nach dem, was die Arbeit ersetzt: Kompetenz, Information, Automation und Digitalisierung. Deshalb muss immer leistungsfähigere Software bereitstehen, um die Daten- und Informationsströme mit den Körpern, den Affekten und den Hirnen von Dividuen zu verschalten, wobei diese durch die in die digitalen Programme encodierten Steuerungs-, Regelungs- und Feedback-Prozesse regelrecht in Haft genommen werden, weil eine Rückverfolgbarkeit jeder einzelnen Aktion und die Antizipation von weiteren Aktionen in die zirkulierende Logik der Informationsströme eingebaut ist.

Die transitive Normierung des Verhaltens, das heißt die volle Integration der Akteure in Systeme, in der sie lediglich als zu erfassende und zu verwertende Punkte in Netzwerken fungieren, wird recht eigenartig durch den Konsum der Angebote der Enhancement-Industrien supplementiert, die es wiederum ermöglichen, sämtliche Kräfte der Selbststeigerung im Sog von Performanzaktivitäten wie eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Der Kompetenz-, Fitness- und Wellness-Status wirkt hier wie »systemisches Doping«, das jede Menge von positiven Placeboeffekten bereithält. Im gleichen Maß, in dem der neue Konsument von Arbeit, tendenziell arbeitslos, sein Arbeitslos als Vollzug einer Dienstleistung affirmiert, er sein prekäres Angeeignet-Werden sich fortlaufend selbstverantwortlich mit aneignet, scheint die dem klassischen Arbeitsvertrag immanente Erpressung aufgehoben, als gäbe es da aus dem Nichts heraus ein endlos kreativ und performativ anwendbares Arbeitsvermögen, als sei der Dienstleistende die Reinkarnation der Vergöttlichung von positivierender Arbeit und Kompetenz. Darin ist auch reflektiert, dass der Verlust der Arbeit für die Dividuen heute als Katastrophe aufscheint, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgewendet werden muss – wenn kein Mensch mehr an die Arbeit glaubt, erst dann wird der Glaube an ihre Notwendigkeit universell. Konnte Marx noch ganz trocken konstatieren, dass der Arbeiter nicht für sich, sondern für das Kapital produziert, um damit wirklich jede Apotheose, welche die Arbeit zum Idol erhebt, auszuschließen, so wird mit der kreativen Selbstkonfiguration durch den Kauf von Arbeit, die von der beständigen Konsumtion von Coaching-, Casting- und Enhancement-Programmen stilvoll begleitet wird, eine wirklich unheimliche Genussfreude an der (digitalisierten) Arbeit wiederentdeckt, deren Propagandisten beständig ausposaunen, dass es sich bei den in die informierenden Netzwerke integrierten Personen tatsächlich um die Verkörperung kreativer Mit-Teilungen und Singularitätsvorführungen handele – anstatt einfach zuzugeben, dass diese Personen nach wie vor meistens Befehlsempfänger sind, die sich unter Umständen im Team auf einer unteren oder mittleren Ebene des Unternehmens gegenseitig die Befehle geben. Als Maßstab für die Effizienz im Team gilt die Macht der Gruppe über den Einzelnen. Die Beschäftigten fangen an, sich gegenseitig zu kontrollieren und zu kritisieren – oder sie helfen einander, die Arbeit trotz widriger Umstände zu erledigen, oft auf Kosten der eigenen Freizeit und Gesundheit. Das führt zu einer enormen Arbeitsverdichtung und Arbeitszeitverlängerung, weit über die tariflich vereinbarten oder sogar gesetzlich erlaubten Arbeitszeiten hinaus. Es handelt sich um selbstorganisierte Teams, die wenige Vorgaben darüber bekommen, wie sie ihre Arbeit auszuführen haben, aber dennoch die von den Unternehmen vorgegebenen Gewinnerwartungen zu erfüllen haben. Das Management gibt immer mehr Verantwortung an die Beschäftigten ab, möchte aber weiterhin die Kontrolle über sie beibehalten. Dafür steuert man nun indirekt, indem eine sogenannte Umwelt eingerichtet wird, auf die die Teammitglieder unternehmerisch reagieren sollen und müssen. Im Unternehmen werden nun künstlich Marktstrukturen abgebildet: Die Beschäftigten werden in teilautonomen Unternehmenseinheiten, Business-Units und Profitcentern organisiert, die sich jeweils auf dem unternehmensinternen wie -externen Markt behaupten müssen. Damit wird durchgesetzt, dass sie als Maßstab für die Bewertung des Sinns ihrer Arbeit das im Kapitalismus geltende Kriterium zugrunde legen: den Profit beziehungsweise die Kosteneinsparung. Nach und nach übernehmen die Beschäftigten einige Unternehmerfunktionen.

Die Arbeit, die als industrielle Arbeit (in den Metropolen) zunehmend verschwindet, bleibt als Mangelware und als Beschäftigung, die als Amphetamin und Tranquilizer zugleich verabreicht wird, erhalten. In der Folge muss man der Arbeit, die in der Tat nicht mehr Arbeit, sondern Beschäftigung ist, welche entweder im Warten oder wahlweise in übelster Hetze besteht, eine Schönfärbung besonderer Art beimischen, sie wird nämlich zur Selbstverwirklichung und -steigerung umgeschrieben, ein Euphemismus, den nicht nur diejenigen, die einmal in den Genuss einer Maßnahme des Jobcenters kamen, sondern auch diejenigen, die einem ganz normalen Job im Büro nachgehen – eine beängstigende Konvulsion aus Mobbing, Hetze und lähmender Langeweile zugleich, als sinnentleerte Betriebsamkeit – nur als einen schlechten Scherz begreifen können. Tun sie das nicht und zeigen etwa auch noch ansatzweise delinquentes Verhalten, dann extrahieren heute Data-Science Engines aus dem Web und anderen Quellen Daten und Signale, die genau dieses abweichende Verhalten anzeigen, und damit wird man ganz schnell zu einem Arbeitsrisiko, das auf einem Risikoindex eingeordnet wird, sodass das Unternehmen und sein Management schon mal präventiv eingreifen und das personifizierte Risiko einfach mal vor die Tür setzen. Weil die meisten Beschäftigten das Abweichende nicht tun, müssen sie zur Strafe ihre eigene Beschäftigung als Selbstverwirklichungsprojekt konsumieren, die Höchststrafe, die das Kapital für derart zusammen geprügelte Subjekte, denen selbst noch die Arbeit im Schweiße ihres Angesichts verwehrt bleibt, bereithält.

Und ein solcher Konsum der Arbeit gleicht heute oft genug der Verschrottung von Arbeit, sodass noch der Imperativ der Arbeit entfällt, weil die neuen Stachanows des vulgären Hedonismus und der affektiven Kompetenz keine Befehle mehr brauchen, um ganze Arbeit (an sich) und für die anderen zu leisten, sie benötigen lediglich den gefühlvollen und einfühlsamen Hauch, den Anschub, den der Coach oder Leader ihnen beständig einflößt.

Und diese Strafe setzt sich in der Freizeit fort; bekanntlich beginnt der Ernst des Lebens – untrennbar vom Spaß am Leben – in der Freizeit, in welcher nicht nur das Konglomerat aus Produkten, Affekten und Events, sondern der Konsum im Loop konsumiert werden will. Bezeichnungen wie Freizeitindustrie, Wellnesszentrum, Freizeitpädagogik und Ähnliches weisen auf die Zugehörigkeit der Freizeit zum Geschäft hin, wobei Freizeit und Arbeit in Konkurrenz zueinander um die höchste Anerkennung buhlen, womit es im Leben eben nicht mehr nur darauf ankommt, möglichst viel gearbeitet, sondern auch reichlich Freizeit im Rahmen angeblich hochindividualisierter Erlebniswelten konsumiert oder genossen zu haben. Das gilt insbesondere für die Eliten und den einkommensstarken Teil der Mittelklasse, die wie aufgelöst in ihrem Singularitätswahn und Einzigartigkeitsexzess die Freizeit und Arbeit ständig miteinander vermischen und beides unter den Glanz der Kreativität stellen, Menschen, die rundherum glücklich mit ihrer Art der singulären Selbststeigerung sind, während der größere Teil der Bevölkerung selbst in den westlichen Wohlfühloasen des Westens das Abartige der täglichen Beschäftigung nur so leidlich erträgt, um irgendwie hin zu den kostbarsten Wochen des Jahres zu gelangen und den Urlaub zu genießen, das heißt in irgendwelchen Hotelbunkern im Süden nur leidlich herumzulungern, das heißt unter der Aufsicht und Anleitung von professionellen Fachkräften, Coachs und Entertainern zu stehen, die einem Tag und Nacht beibringen, wie man zu tanzen, Gymnastik zu machen, zu essen und den Beischlaf auszuüben hat. Wolfgang Pohrt schreibt dazu: »Das harte Faktum, daß das Kapitalverhältnis seinem historischen Zweck gemäß die Lohnarbeiter in überflüssiges Menschenmaterial verwandelt, in nutzlose Esser, die man in den armen Ländern verhungern lassen kann, während sie in den reichen Ländern als Unterstützungsempfänger halbwegs bei Laune gehalten werden müssen, dies harte Faktum also wird dabei mit viel ideologischem Weichspülmittel behandelt, und am Ende des Weichspülwaschgangs, den mache als Umdenken, andere als Etikettenschwindel bezeichnen, hat sich wie seinerzeit die Putzfrau zur Raumpflegerin das simple Zeittotschlagen beispielsweise in selbstverantwortliche Identitätsfindung verwandelt.« Pohrt ein hauch von nerz.186

Und wenn selbst noch die Linke ein letztes Mal die Arbeit, die in den angesagten Kreisen längst Kreativarbeit heißt, als die Selbstverwirklichung des Individuums verstanden wissen will, dann befindet man sich ganz und gar nicht in der Nachbarschaft von Marx, sondern man befindet sich im Sog der Lebensphilosophie einer nicht zu Tode zu kriegenden Jugendbewegung, die wiederum im Sog des Aufgesogen-Werdens innerhalb eines Pools von »interessanten Optionen« auf permanente Durchsetzung von kulturellen Novitäten setzt, mit denen denen das aufgeblähte Selbst aufstiegswilliger kleiner Spießer sich der Illusion von Einzigartigkeit, im Neuspeech Singularität, Unverwechselbarkeit und Genialität hingibt, etwas, was das aller Macht beraubte Exemplar heute unbedingt braucht, um nicht gegen den täglich erlittenen Mix aus lähmender Langeweile und stressiger Beschäftigung eine lebenstherapeuthische Fachkraft aufsuchen zu müssen, die einem zwei und zwei zusammenrechnet, dass nämlich zu Schöner Wohnen, Gepflegter Trinken und Gesünder Essen auch noch die kreative Arbeit hinzukommen muss, sonst könne man nicht glücklich und zufrieden sein, sondern bleibe der sinnentleerte Hedonist, vor dem einem, das muss man hinzufügen, niemand gewarnt hat. Und so verbindet sich die Freiheit, aus angeblich Nichts etwas Neues zu schaffen, mit dem Zwang in den diversen Attraktivitätswettbewerben ständig kreativ sein zu müssen, und je mehr alle kreativ sein müssen, desto weniger können es die Einzelnen noch, aber weil sie es weiter krampfhaft versuchen, entsteht eine Welt der Pseudo-Originalität, der Fakes und der Plagiate, die vor allem eines zeigt: Dass es trotz der millionenfachen Erfindungen und dem Überfluss von Waren mit angeblichem Einzigartigkeitscharakter nichts mehr zu erfinden gibt. Und je schneller das Objekt heute verfällt, desto mehr muss es mit einer kreativen Idee aufgebrezelt werden, vom kreativen Obstkuchen über den kreativen Wandschmuck bis hin zum kreativen Selbst, das man an den Arbeits- und Aufmerksamkeitsmärkten als das kleine Kapital x vermehren, anlegen oder einfach auch mal bei einer Beratungsfirma kaufen kann. Es kommt hier aber nicht, wie Seeßlen/Metz meinen, zur Zerstörung alter Bedeutungen und zu ihrem Ersatz durch neue Bedeutungen, was sie surreal nennen, sondern der energetisch produzierte Bedeutungsüberschuss verweist einzig und allein darauf, dass bedeutet werden muss, was bedeutet wird, ist vollkommen gleich-gültig. Aber noch jede Bedeutung muss kapitalisiert werden.

Dabei zerfasern heute selbst noch die weniger fragilen Lebens- und Arbeitsentwürfe an der Allgegenwart der Einschnitte, mit denen das Leben, die Beschäftigung und die Generierung des Surplus immer schneller jenseits einer chronologischen Zeit in Intervalle geteilt, gepresst und wieder verstreut oder rekombiniert und damit Kontinuität durch eine Art indeterminierten Aufschubs ersetzt wird, – wahrlich ein anhaltender Schwebezustand einer spekulativen Zeit, mit der auch das Nie-zu-Ende-Kommen lebenslangen Lernens und Investierens perpetuiert wird. Es kommt zu einer immer tieferen Fragmentarisierung der Arbeitszeit und der Lebenszeit, und beide Zeiten bleiben eingespannt in den Prozess einer rasenden, deterritorialisierenden Rekombination, in der beispielsweise die Arbeit für eine Woche, einen Tag oder eine Stunde abgerufen werden kann, womit die Beschäftigung fraktal und rekombinant gerät. Die digitale Arbeit ist fragmentiert; das Dividuum – selbst eine geteilte und zelluläre Form – erfährt in den digitalisierten Produktionsprozessen eine rekombinante Fragmentierung in zellulären und zugleich rekombinierbaren Segmenten. Es geht hier nicht nur darum, dass die Arbeit selbst prekär wird, sondern es kommt in den Arbeitsprozessen fortwährend zu Teilungen, unter Umständen zur Auflösung der Person als ein unifizierter produktiver Agent, als Arbeitskraft. Es ist ganz klar, als Zellen der produktiven Zeit können die Dividuen in den punktuellen und fragmentierten Formen der Arbeitsprozesse ständig neu mobilisiert, angereizt und rekombiniert werden. Wir haben es mit einem immensen Anwachsen einer depersonalisierten Arbeitszeit zu tun, insofern das Kapital immer stärker dazu übergeht, anstatt den Arbeiter, der acht Stunden am Stück arbeitet, verschiedene Zeitpakete zu mieten, um sie dann just in time zu rekombinieren (Out- und Crowdsourcing) – und dies eben unabhängig von ihrem austauschbaren und damit mehr oder weniger zufälligen Träger. Auch das »Selbst« fluktuiert nun als fluides Rest-Ego und wird in immer neuen Relationen rekombiniert, und diese Formierung gleicht einem Kaleidoskop, »das bei jedem Schütteln ein neues Muster zeigt.«10 Diese Art der weit über die Arbeitsbeziehungen hinausreichenden spasmischen Rekombination der Beschäftigung wird heute auch in den diversen sozialen Netzwerken geleistet. In der Meisterung des Beschleunigens und Entschleunigens, des Dehnens und Aufschiebens, der Kompression und des Resettings von Zeitplänen, werden für die Beschäftigten auch erweiterte Möglichkeiten hergestellt, mit nicht-chronologischen Strömen des Geldes Surplus für das finanzielle Kapital zu generieren. Voraussetzung dieser Art der Surpluserzeugung, die mit der Verschuldung einhergeht, sind sowohl niedrige Löhne als auch prekäre Arbeitsformen, bei denen die Beschäftigten sich konstant an nicht vorhersehbare Arbeitszeiten und an volatile Löhne anpassen müssen, nicht zuletzt an das Hebeln ihrer Schulden, sodass sie in nicht determinierte und unvorhersehbare Zeitströme geradezu hineingezogen werden.

In der Share Economy wiederum kontrollieren und steuern die digitalen Interfaces, die man heute Plattformen nennt, die Arbeit auf einem ganz neu strukturierten Arbeitsmarkt. So unterscheiden sich die Fahrer und Fahrradkuriere neuer Plattformen wie Uber von den abhängig Beschäftigten der traditionellen Unternehmen dadurch, dass sie selbst eine Dienstleistung anbieten, wobei die Mittel, um die Dienstleistung, die eine App der Plattform ihnen vermittelt, auszuführen, selbst aufzubringen sind, seien es das Auto oder das Fahrrad und auf jeden Fall das Smartphone. Was also während der Ausführung der Dienstleistung verschlissen wird, ist das Eigentum der Fahrer und Kuriere. Dabei stehen die Fahrer, denen beispielsweise Uber ermöglicht, Fahrgäste aufzunehmen, unter strikter digitalisierter Kontrolle und sind auch räumlich dazu gezwungen, den Algorithmen der Plattform zu folgen. Die Routen, die sie fahren, werden nämlich durch das GPS diktiert, während ihre Effizienz, Verfügbarkeit sowie ihre Interaktion mit den Fahrgästen Gegenstand ständiger Bewertungen ist, die dann weiterhin bestimmen wie, wann und wo die Fahrer zum Einsatz kommen.

Dabei fungieren die Fahrer und Kuriere nicht als offiziell Beschäftigte, sondern sie sind gegenüber den Unternehmen der Plattformen private Vertragspartner. Weit davon entfernt eine Alternative zur prekären Arbeit anzubieten, oszillieren diejenigen, die den Service für die Kunden letztendlich bereitstellen, im Spannungsfeld zwischen den restriktiven Bedingungen der Lohnarbeit und dem Risiko der Selbstständigkeit. Damit sind die Anbieter von Dienstleistungen, welche die Angebote der Plattformen nutzen, zwar von den Repressionen der Lohnarbeit, aber auch von den mit ihr einhergehenden sozialen Garantien befreit (weil die Plattformen keine Sozialabgaben zahlen). Solchermaßen scheinen sie das Epitom neoliberaler Subjekte darzustellen. Zumindest verschwindet die persönliche Abhängigkeit von einem Chef, der einem Arbeitsalltag mit allerhand Befehlen versüßt, denn mit den Organisatoren der Plattform haben die Fahrer nämlich wenig zu tun, selbst im Notfall ist es kaum unmöglich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Es ist also scheinbar den Fahrern selbst überlassen, wie sie ihren Arbeitsalltag gestalten, aber sie dürfen eben während der Arbeit niemals zu langsam werden und sie müssen unbedingt mit der Konkurrenz mithalten, und deshalb gilt es einfach komme was wolle auf das Pedal zu treten.

Die Unternehmen stocken den Stundenlohn für die effektivsten ihrer Fahrer immer etwas auf, was aber nichts anderes heißt, als dass durch die permanente Überwachung und die automatisierte Auswertung der Performance der Fahrer die Konkurrenz, der Vergleich und die Skalierung auf Dauer sichergestellt sind. So bemisst sich bei den selbstständigen Fahrern der Verdienst an der Anzahl der ausgefahrenen Lieferungen. Und das erhöht für gewöhnlich auch die Risikofreude während des Fahrens und damit wie nebenbei auch noch die Nachfrage der Fahrer nach den Leistungen der Unfallversicherung; die ansteigenden Versicherungsprämien reflektieren den Mut zum Risiko, was wiederum die Leistung der Fahrer beflügelt, denn auch das Geld für die Unfallversicherung muss von ihnen verdient werden. Wenn in einer Schicht keine Bestellungen eingehen, kriegen die Fahrer zwar keinen Lohn, aber ihre Arbeitszeit verwandelt sich dafür bruchlos in freie Zeit. Weil die Kuriere aber mit dieser freien Zeit überhaupt nichts anfangen können und auch nicht wollen – wer will sich schon durch den lähmenden Zeitbrei des Alltags fressen – sind folgerichtig nicht nur die wirklich stressigen Schichten bei den selbstständigen Fahrern die beliebtesten, sondern diese verlangen andauernd auch noch nach neuen Schichten. So sorgen die Fahrer in der Regel ganz zuverlässig für die sogenannte Markträumung und melden darüber hinaus aufgrund eigener fehlender finanzieller Mittel andauernd weiteren Bedarf nach Arbeitsschichten an und steigern damit die Nachfrage nach den Kurier-Arbeitsplätzen, weswegen der Algorithmus mit jedem Update die finanziellen Bedingungen für seine Nachfrager weiter verschlechtern kann, was nun aber keineswegs dazu führt, dass die Nachfrage spürbar nachlässt.

Für viele Theoretiker sind die großen Plattformen nichts weiter als die Assemblage kommerzieller Verträge zwischen einer »principal authority«, die im Namen des Unternehmens Verträge abschließt, und einer Multiplizität von Agenten, die selbstständig für die Unternehmen Dienstleistungen bereitstellen. Die Plattformen multiplizieren somit Partnerschaften, die auf rein kommerziellen Begegnungen basieren und aufgrund derer für Dritte Serviceleistungen ohne geregelte Arbeitsverträge und Lohnarbeiter angeboten werden. (Nach wie vor ist es aber einer Reihe von Unternehmen in verschiedenen Branchen kaum möglich, ohne die Einstellung von Lohnarbeitern zu produzieren.) Schließlich sind die neuen Anbieter von Dienstleistungen aber nicht nur von ihrer eigenen geleisteten Arbeit, sondern auch von ihrer Einbindung in Netzwerke abhängig, die durch Ratings und Rankings und andere Ordnungsverfahren strukturiert sind, und das heißt auch, dass die Ausbeutung ihrer Arbeitsressourcen und ihr Risikomanagement letztendlich vom Kredit abhängen, der durch positive Ratings begünstigt wird und dessen Akkumulation ihnen unbedingt gelingen muss. Deshalb bedarf die eigene Arbeitsleistung sowie die Anpreisung der Skills im Zuge der Selbstvermarktung andauernd der positiven Bewertung und der Anerkennung durch die Kunden, die sich in Scores, Likes, Freunden und Followers manifestiert, und diese Bewertungen zu optimieren, ist eine wichtige Aufgabe, die es für einen Fahrer zu erledigen gilt. Und die Akkumulation des »reputational capitals« muss unbedingt einen effizienten Kreditscore zur Folge haben, um auch das Vertrauen von Banken und Versicherungen zu erlangen. Die Nachhaltigkeit der Operationen der Serviceanbieter hängt damit wesentlich stärker von der Zustimmung der Kreditgeber und Sponsoren ab als von dem von neoliberalen Ideologen in den Vordergrund gestellten Unternehmerethos oder dem zu steigernden Preis des Humankapitals, wobei die Sponsoren meistens finanzielle Spekulanten sind, die für die Extraktion und die Prognosen bestimmter Ressourcen und Rohstoffe (in diesem Fall die Verhaltensweisen von Usern) auf digitalen Maschinen beruhende Produktionsmittel einsetzen, die der gewinnbringenden Verhaltensmodifikation der Kunden dienen, welche wiederum ohne die totale Kontrolle der Fahrer nicht zu erlangen ist, sodass diese heute beispielsweise auch auf Facebook von spurenlesenden Maschinen verfolgt werden.

Auf den Webpages der Plattformen, auf denen sich Anbieter der Dienstleistungen und ihre Kunden miteinander austauschen können, weisen die Plattformen ihren Serviceleistenden ein spezifisches Set von kontinuierlich zu bewertenden Assets zu, welche die Serviceleister wiederum als Teil ihres »reputational capitals« kombinieren, verschieben und managen müssen. Dabei sehen manche Theoretiker im Management des »reputational capitals« schon die Hauptressource, welche die fahrenden Akteure unbedingt zu managen und zu kultivieren haben, um in der Hierarchie aufsteigen oder schlichtweg überleben zu können. Am Ende werden Dienstleistende wie Fahrer oder Kuriere schließlich selbst eine Facebook-Hyperpage führen müssen, auf der die verschiedenen Empfehlungen von Freunden, Mentoren, Kreditgebern, Sponsoren, Kunden und Serviceprovidern dokumentiert sind. Diese offenen, durch Algorithmen designten Profil-Portfolios, ermöglichen es erst, die Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit einer Person darzustellen, ihren reputationalen Wert zu bestimmen und damit ihre Fähigkeit für eine Arbeit, eine Kreditlinie oder eine Partnerschaft auszuweisen. Offensichtlich müssen die privaten Asset-Manager nun selbst auf ihr eigenes »reputational capital« spekulieren oder sie müssen den Spekulationen anderer folgen, aber sie werden dazu auch bis in ihre geheimsten Wünsch verführt oder angeleitet, indem sie komplexen und doch schwer nachvollziehbaren Verhaltensmodifikationsmaschinen unterworfen sind, das heißt in der Black Box operierenden Algorithmen oder automatisierten Protokollen, die nicht nur das Arbeitsverhalten, sondern selbst noch die Ausbreitung von Emotionen über die Plattformen zu lenken versuchen. (zuboff)

Wenn es schließlich dazu kommt, dass die Zeit der Arbeit und die Zeit der Nichtarbeit durch keine exakte Grenze mehr getrennt sind, dann besteht auch zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung kein wesentlicher Unterschied mehr. Deswegen kann Paolo Virno in aller Überspitztheit schreiben: »Die Arbeitslosigkeit ist unbezahlte Arbeit; die Arbeit ist dann ihrerseits bezahlte Arbeitslosigkeit. Mit gutem Grund lässt sich also genauso gut behaupten, dass man nie zu arbeiten aufhört, wie man sagen kann, dass immer weniger gearbeitet wird.« Paolo Virno weist damit auf den Sachverhalt hin, dass der Kunde der »Modernen Dienstleistung am Arbeitsmarkt« längst schon dem von Günther Anders als »Automationsdiener« titulierten Subjekt oder dem von Baudrillard beschriebenen »Arbeitsmannequin« entspricht, das die nicht vorhandene Arbeit simuliert, als ob sie vorhanden wäre, oder trotz der zu viel vorhandenen Arbeit handelt, als ob diese gar nicht vorhanden wäre. Eine weit verbreitete Form der Beschäftigung, die ganz in maschinelle Komplexe integriert ist, ist heute die des Beschäftigungsmannequins, das in bestimmten Zyklen die Tätigkeit des Wartens oder Tastendrucks ausführt, der in Abhängigkeit von einer anderswo programmierten Abfolge eines maschinellen Feedback-Systems erfolgt. So besteht die Wendigkeit, Cleverness und Schnelligkeit des heutigen Dividuums, ein Prozak und Ritalin-Mutant, vielfach im niederschmetternden Warten, im Warten darauf, den roten Knopf drücken zu dürfen, während die Entscheidung anderswo längst schon abläuft oder gefallen ist, nämlich in den rekursiven Schleifen des maschinellen Systems selbst Wenn es kein Außen zur Beschäftigung gibt, zum Unternehmen, dann gibt es nicht etwas wie Arbeit und Vergnügen, Müdigkeit und Erholung. Die Beschäftigung wird personell, und das Personelle ist schon der Job. .In diesem Sinn hat die Unterdrückung eines begrenzten Arbeitsraumes, gekoppelt mit der Entwicklung neuere Technologien, definitiv die Art und Weise verändert, wie wir Bezüge zu unserem Körper und dem der anderen herstellen. Die Einfügung der Arbeit in die personelle Sphäre konstituiert nicht nur eine Modifikation der ökonomischen Logik, oder eine Transformation der Ordnung des Symbolischen, sondern eine affektive Transformation des Körpers.

Diese Art von abgrundtiefer Trostlosigkeit (der Beschäftigung) bedarf seltsamerweise einer ganzen Reihe von Bedingungen hinsichtlich der Entlohnung und Kontrolle, sei es die individuelle Führung von Zeitkonten, die Protokollierung der Länge von Telefonaten, die penible Aufzeichnung von Meeting oder das ausführliche Studium von Compliance-, Sustainability- und Controll-Kompendien, alles in allem Methoden, welche die Hetze am Arbeitsplatz nur noch verstärken. Es gibt die ADHS erzeugenden Tätigkeiten, bei denen die Zeit, in der sich die Büroangestellten mit verschiedenen Aufgaben beschäftigen müssen, notorisch durch die Kommunikation qua Telefon, Fax, E-Mail unterbrochen wird, wobei die Zeiten dieser Unterbrechungen oft länger als die der Aufgabenerledigung sind. Die Unterbrechung, die auf den Rhythmus der Informationsflüsse in den Kommunikationsnetzwerken zurückzuführen ist, suspendiert zum Teil die Zeit der Aufgabenverarbeitung. Mit der Ubiquität der Propaganda der Arbeit kommt es zudem zur Kolonialisierung der Wochenenden, der späten Abende, ja sogar der Träume, bis die Beschäftigten schlussendlich nicht nur einen Job haben oder einen Job performen, sondern der Job selbst sind.

Da die neuen Managementmethoden mit ihrer wuchernden neobuddhistischen Semantik ständig das Wort »Performance« in den Mittelpunkt ihrer Strategien rücken, scheint für die Beschäftigten der Unterschied zwischen Leistung, Casting und purer Angeberei, die durchaus auch eine Maßnahme zur Selbstmodifizierung sein kann, tendenziell aufgehoben. Entscheidend ist nicht mehr allein das Produkt oder die Qualität der Arbeit, sondern die als Supplement zugefügte Performance, bei der man alle möglichen Rollen auskosten darf, vom Ethiker bis zum Bösewicht, die Performance darf nur nicht zu weit gehen und dem Unternehmen schaden, dann handelt man sich nämlich einen Verweis ein. Der Performance muss wiederum ein Profil zugewiesen werden, das die Potenziale aufzeigt, die die (angebliche) Besonderheit eines Beschäftigten ausmachen und die im Betrieb systematisch simuliert und letztendlich sogar gefordert wird. Dieser Pseudo-Unterschied, der einen Unterschied macht, ist in das betriebliche System fest eingeschrieben.

Fremdsingularisierung und Selbstsingularisierung verzahnen sich ineinander wie ein tadellos funktionierender Reißverschluss. (Reckwitz 3441) Gerade diese Spannung, welche die Performanceaktivitäten bis auf Messers Schneide vorantreibt, führt nicht nur zu nicht-linearen Phasen des Karriere-Machens, das durch das Vernetzungspotenzial, Profilsteigerung, Matching und Kompetenzen bis zu einem gewissen Maß beeinflussbar ist, sondern auch zu dem allseits gefürchteten Karrierestress, der von der Angst lebt, dass der eigenen Leistung, die ja wie »Kapital« behandelt werden soll, nicht die supplementäre Performance entsprechen könnte (oder umgekehrt), so dass man sich letzten Endes gezwungen sieht, die eigene Leistung mit der Performance gleichzuschalten was wiederum heißt, dass zur leidigen Erledigung der Aufgaben noch die Darstellung der Aufgaben hinzutritt. Diese generalisierte Performativität, die mit dem Ideal der Kreativarbeit eng verschweißt ist und unaufhörlich Selbsterfindung und gleichzeitig Selbststeigerung propagiert, kreiert bei Erfolg den funktionellen Psychopathen, der das mit ADHS behaftete Subjekt in sich einschließt, und bei Misserfolg entfaltet sich eben das depressive Subjekt. Zudem generiert die Beschleunigung des Informationsaustausches oft genug weitere Pathologien, weil die Beschäftigten in den Büros oft einfach nicht in der Lage sind, die immensen und ständig steigenden Mengen an Informationen, die über die Computer, Smartphones, Screens und elektronischen Tagebücher wie gefräßige Parasiten in die Hirne eindringen, noch zu prozessieren. Man reagiert darauf mit einer weiteren Beschleunigung der Kommunikation, arbeitet so gut es geht zügig an Lösungen und wenn etwas nicht klappt, dann entspannt man am besten, so das Script der Coaches, für ein paar Minuten in den kleinen, pseudo-exotischen und warmherzigen Wohlfühloasen der Büros unter künstlichen Palmen oder läuft eine Runde auf dem Laufband im Fitness-Room des Unternehmens.

Dass die Angestellten noch zusätzlich damit beschäftigt sind, sich die Readymades der neobuddhistisch inspirierten Coachingdiskurse und andere Soft Skills anzutrainieren, um so etwas wie eine Gemeinschaft der sozial kompetenten und zugleich die Eigentätigkeit und Eigenverantwortung einfordernden Akteure gerade im Bürobetrieb herzustellen, wo jenseits der Gängelungen des Fabriksystems Lohnarbeit auch weiterhin das bestimmende Prinzip darstellt, das lässt einen wirklich aufhorchen, denn längst reicht ein höflicher Ton oder ein kurzes taktisches Gespräch, dem jede Tendenz zum »Du« oder zur Überkommunikation zuwider ist, nicht mehr aus, um die Zusammenarbeit im Büro unter Bedingungen, die man sich wahrlich nicht selbst ausgesucht hat, zu erleichtern. Längst benutzen die großen Unternehmen Datensoftware, die das Verhalten der eigenen Angestellten mittels der Durchsuchung des Internet nach deren Datenspuren aufarbeitet und vorhersagt. Daraufhin ordnen die Maschinenlernmodelle gewisser Software-Firmen die Angestellten des Unternehmens einem Risikoindex zu, wobei die auf dieser Basis getroffenen Vorhersagen über das Verhalten der Angestellten mit den tatsächlich stattfindenden Personalfluktuationen im besten Fall identisch sein sollen. So kann das Management des Unternehmens durch den Kauf der Informationen und Vorhersageprodukte über die eigenen Angestellten präventiv eingreifen, wenn es denn eine aktive Personalpolitik betreibt. Aber das ist nur die maschinell-objektive Seite des Spiels, zu dem die subjektive Verfasstheit der Beschäftigten hinzukommen muss.

Das geschickte Surfen auf den Wellen der Beschäftigung verlangt für die Angestellten nach Ausdauer und Geschmeidigkeit im Modus auto-operativer Wendigkeit, um überraschende Optionen im Job sofort wahrzunehmen oder schnelle Entscheidungen auszuführen, um quasi unvermittelt neue Aufgaben zu übernehmen, es verlangt den spielerischen Opportunismus als Handlungsmaxime, mit der man sich stets gegenüber einer Vielzahl von Möglichkeiten offen hält, um die beste, die sich gerade anbietet, zu ergreifen, oder, um eine Option, ohne zu zögern, zugunsten einer besseren Gelegenheit fallenzulassen; so gebietet diese Art des perfromativen Surfens die Ausformulierung eines zynischen Interesses, mit dem oft genug dieselben Aussonderungen, die andere vornehmen, als bedauernswerte, aber doch unvermeidliche Deformationen diffamiert werden. Dieser Form der Beschäftigung korrespondiert eine volatile Subjektivität, die bis an die Grenzen der insbesondere digitalen Mobilität ausgedehnt wird, um noch jeden affektiven und monetären Surplus einfahren zu können. Bernhard Stiegler kritisiert in diesem Kontext äußerst scharf eine heute vorherrschende Mentalität (des funktionellen Psychopathen), die er mit »I-don’t-give-a-fuckism« umschreibt, eine generelle Attitude der organisierten Verantwortungslosigkeit. Und je intensiver die Mitarbeiter eines Unternehmens sich aufgrund eines zeitweiligen, aber zugleich uneingeschränkten Einverständnisses den betrieblichen Regeln, Programmen und Dispositiven aussetzen und sich derer zugleich bedienen – inklusive der kybernetischen Feedback-Mechanismen, die kein dummer Gesinnungsstaat mit seinen Organen und Apparaturen der Überwachung und Kontrolle je erfinden könnte, weil eigentlich kein aktueller Bedarf nach ultraharter Ausforschung, Bespitzelung und Inhaftnahme von Agenten der Unzufriedenheit besteht (und diese Überwachung doch präventiv stattfindet) –, desto stärker schillert erst die Variationsbreite der individuellen Optionen und der Performance im betrieblichen Feld auf. So bleiben heutzutage die Büroangestellten dem halbherzigen und doch pflichtbewussten Sich-Einbringen in den Büroalltag gerade aufgrund ihres quälenden Opportunismus, der noch den geringsten Vorteil auszunutzen versucht, jederzeit verpflichtet, ohne dass da unbedingt eine knallharte Arbeitsanweisung bestehen muss, und dies geschieht im Rahmen einer operativen Steuerung und Optimierung der eigenen Person, was wiederum im besten Falle die 100%ige Identifikation mit den Unternehmenszielen voraussetzt oder verlangt. Hierin übernimmt die doch eher raunende Gemeinschaft der Betriebsangehörigen das Geschäft einer therapeutischen, sekundären Kontrolle, welche die primäre, durch die kapitalistische Ökonomie inszenierte Kontrolle des Lohnarbeiters und des Prekären flankiert und vervollständigt.

Es ist ja nicht so, dass die Mitarbeiter in den Büros unmittelbar sichtbar dem terrorisierenden Kommando einer Zentrale unterliegen, stattdessen sind sie in flexible technologische Kontrollsysteme und horizontale Gruppen-Dispositive eingelassen, die sowohl ihre eigene Effektivität, ihren Status, ihre beruflichen und emotionalen Kompetenzen und operativen Aufgaben als auch die der anderen Mitarbeiter zum Teil auch auf den Bildschirmen jederzeit abrufbar halten. »Online« zu sein kondensiert die hegemoniale Arbeits- und Lebensform, ständig mobile und mobilisierbare Verfügbarkeit im Kontext einer flexiblen Normalisierung ist die Arbeit selbst, die sich die Beschäftigten zusätzlich mit dem Konsum von Erlebniswelten, Wellness- und Fitnessprogrammen antrainieren, bis sie die Beschäftigung im Zuge einer permanenter Rekursion mit den Maschinen quasi reibungslos inkorporieren. Mittels Mikrotechnologien, Laptops und Smartphones, die man meist sitzend bedient, werden die Mitarbeiter einer modularen Logik folgend ständig in diejenigen Informationsströme eingebaut, die in den Netzwerken der Unternehmen zirkulieren. Unaufhörlich mobilisierbar und potenziell rund um die Uhr abrufbar bleiben die Angestellten mental angeregt, um während der Arbeitszeit aufgeregt in Real-Time auf die Fluktuationen der Informationsflüsse zu reagieren, die ständig über ihre Bildschirme flimmern. Im Rahmen der technowissenschaftlichen und psychologistischen Dispositive, Programmierungen und Konstruktionsprinzipien gibt es heute kaum noch einen Arbeitsplatz, der nicht permanent auf Evaluierung gestellt und zugleich nicht auf das kreative Potenzial und die Performancefähigkeit von Dividuen und Projektgruppen hinterfragt würde, um dann abermals evaluiert, das heißt auf neue Performance-Potenziale hin untersucht zu werden, aber dies eben weniger aufgrund des totalitären Drucks eines Leaders, sondern die Evaluation bleibt meistens eingebunden in das Team; und kein Team, das nicht nach Aussprachen, Ansprachen und Absprachen qua anglizierter Sprachspiele verlangt, von denen Wittgenstein nicht im Schlaf geträumt hätte. Mitten im Team schwirrt dann aber doch der Leader, der beispielsweise geradezu enthusiastisch in einer Art Aktionskunst eine Power-Point-Präsentation kommentiert, damit sich alle ein Bild vom Unternehmen, vom Produkt oder dem Projekt machen können. Selbstverständlich trägt der Leader keine Krawatte und auf dem lässigen, offenen, weißen Freizeithemd glänzt auf Herzhöhe das Logo der Firma, das grau gefärbte Haar mit weißen Strähnen und das kleine Schlangen-Tattoo im Nacken verraten aber auch ein ganz klein wenig Individualismus, der aber, wenn es darauf ankommt, ganz in den Dienst des Teamgeistes gestellt wird. Wie im Fußball will man angeblich nur dem Team helfen. Diese Situation perpetuiert sich noch bis in die Haarspitzen des Unternehmens, wenn zeitgenössische Chefs sich betont locker geben, den Mitarbeitern das Du geradezu aufdrängen und notorisch behaupten, ihre Betriebe würde eine wunderbar flache Hierarchie und eine fast schon kosmologische zu deutende Wellness-Atmosphäre durchziehen, während die Chefs im gleichen Atemzug ihre Mitarbeiter mobben, aus reiner Schikane oft von den Informationsflüssen abschneiden, sie mit krankmachender Arbeit überhäufen oder sie durch die diversen Abteilungen jagen. Statt wie früher strategisch vorzugehen, besteht die Aufgabe der Manager heute darin, die Fehleranfälligkeit und Langsamkeit menschlicher Entscheidungen im Vergleich zur algorithmisch ablaufenden Prozessen zu verringern, nur um die algorithmische Technokratie am Laufen zu halten. Die Manager sind dabei selbst völlig deskilled, um als skrupellose Vollstreckungsorgane der Unternehmen und als soziale Polizei in der Organisation selbst tätig zu werden. Sie geben keinerlei Richtungen vor und haben auch keine Erklärung für die Richtung, die das Unternehmen gerade einschlägt, sind dabei höchst flexibel, offensiv und defensiv zugleich, mobbend, aufheiternd und verletzend, fokussiert und scheinbar unsicher, das heißt clever, und letztlich sind sie darauf beschränkt, den Imperativen des Shareholder-Value-Systems wiederzugeben und den Vorgaben minutiös zu folgen, die Mitarbeiter anzuspornen, ihnen aber auch mal schön die Meinung zu geigen, alles natürlich nur im Rahmen der kreativen Teamarbeit und zum Wohl des Teams versteht sich. Wer gut im Fertigmachen von Schlappschwänzen ist, der hat heute Zukunft.

Die Performance der Beschäftigten und deren Valorisierung zielt ganz und gar nicht, wie Reckwitz etwa annimmt, auf die Entwertung des Durchschnittlichen, sondern der Durchschnitt richtet sich nun nach seinen eigenen Amplituden aus, die durch das Team, den Leader und das jeweilige Projekt, an dem man gerade arbeitet, konfiguriert werden. Indem die Leader vor allem verstärkende Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen versuchen sowie die Begeisterung für neue Aufgaben, für eine weichgespülte Toleranz und taktische Freundschaft, für Opportunismus und Schlagfertigkeit, die Fähigkeit, sich im und vor dem Team zu präsentieren, kann man das Ganze als Potenz verkaufen. Der projektorientierte Beschäftigte, der sein Ego im Fundamental-Casting herrlich auf der Bühne des Büros präsentieren kann, auch wenn sich die obsessive Suche nach dem Ego als die Suche nach einem Gespenst entpuppt, vielleicht noch nach einem virtuellen Ich, das dem anpassungsfähigen Subjekt seltsamerweise deckungsgleich ist, kann der Narration des Casting nur folgen, wenn Coaching und Casting sich gegenseitig bedingen.

Das Ethos, das sich aus Opportunismus, Kreativität und sozialem Engagement zusammensetzt und sich heideggerianisch als Gerede oder systemdeutsch als Singularitätsspiel oder Kommunikation artikuliert, ein Ethos, über das jedes Bewerbungsevent heute hinlänglich Auskunft gibt, wird beständig neu verhandelt bzw. austariert, ohne dass ein Coach, der in seiner Funktion als Unternehmensberater eher einem postmodernen Wanderprediger gleicht, es ständig ausdrücklich zu empfehlen hätte. Dennoch bleibt der Coach in seiner besonderen Art des Clowns eine nicht unwichtige Figur, neben dem manchmal sogar der Manager als der Remixer oder DJ der postindustriellen Produktion verblasst. Seeßlen 97 Im Rahmen der geforderten und bereitwillig auch vollzogenen und vor allem sehr operativ-gesprächigen, kreationswütigen und performancegeschwängerten Zwangsharmonisierung wird mit Hilfe eines Pseudo-Sadismus, das heißt insgeheim gegenseitiger Verachtung sowie dem paradoxen Interesse an aktiver Passivität, ein Kampf aller gegen alle geführt, der die Intensivierung des Ressentiments sowie des Erlebens, das ja im Gerede keinerlei Referenz mehr kennt, im Prozess eines öffentlichen Absonderns von Meinung zur Folge hat. Dabei werden im Büro alle Stufen des geselligen Austauschs ausprobiert, vom gemeinschaftsfördernden und zugleich den Leistungswillen des Einzelnen herauskitzelnden Spiel, den berüchtigten flachen Hierarchien und der Vermischung von Arbeit und Freizeit, über die Förderung der Konkurrenz, dem Abwatschen der Versager und der Überwachung von jedem durch Jeden bis hin zum gemeinsamen Konsum leistungssteigender Drogen, Amphetamine und Vitamine. Aber am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. »Clever ist«, schreibt Wolfgang Pohrt, »wer es versteht, sie (die anderen) für sich einzunehmen oder sie hereinzulegen. Wer es nicht versteht, ist der Dumme.«

Der absolute Automat verschiebt die Arbeitswelt von der Manpower hin zur Brainpower. Wie es am Anfang der Industrialisierung zu einer Verkopplung von Hand und Maschine kam, so werden heute das Gehirn und die Maschine in einer neuen Ökonomie verkoppelt, die Stiegler “Iconomy” nennt. Diese Transformation involviert eine transduktive Relation, wobei die Produktion nicht länger auf der Arbeitszeit, sondern auf der Maschinenzeit basiert. Schon mit der Verkopplung von Hand und Maschine ist es die letztere, die wirklich arbeitet, und sie tut das blind und automatisch, womit man diesen Prozess kaum noch als Arbeit beschreiben kann, insofern diese immer auch eine Öffnung enthält, während die serielle und automatisierte Produktion immer abgeschlossen ist. Insofern sind die Produkte dann ready-made Waren.

Es geht heute um die Frage, ob die (angebliche) Eskalation der Produktivität, die mit der automatisierten Produktion erreicht wird, in freier Zeit oder in befreiter Arbeit münden soll.4 Wenn die Automation die Zeit generell befreit, wie vermeiden wir es dann, dass diese befreite und damit verfügbare Zeit eine verfügbare Gehirn-Zeit wird, eine Zeit, die nicht mehr an die Television, sondern an Google, Amazon und Facebook angebunden ist. Die Netzwerke der sozialen Medien erschaffen eine Realität, die real ist, aber als eine Technologie der Unmittelbarkeit kann man keine Befriedigung bekommen, obwohl wir sie gerade lieben wegen ihrer Trennung von der Jetzt-Zeit. Sie sind soziale Drogen für diejenigen, die das Humane wollen, das irgendwo in Zeit und Raum lokalisiert ist. Es ist der Pseudo-Andere, mit dem die User sich connecten, nicht der radikal Andere oder der Fremde oder gar reale Andere. Wir arbeiten uns an der Schwäche und Vagheit ab, um die Ausstellung des eigenen Selbst voranzutreiben, aber egal wie stylish, aggressiv, verzweifelt oder diplomatisch die Promotion des Selbst auf den dominanten Medien-Plattformen ist, sie bleibt Teil der Logik der Medien: Die Message ist die Leere.

Befreite Zeit muss befreite Arbeit sein, wobei dabei von der Energie und ihrem Potenzial nicht abstrahiert werden darf, Hand, Gehirn und Energie müssen verbunden werden. Heute sieht es ganz anders aus. Maurizio Lazzarato schreibt: »Um wachsende Einnahmen der Finanzinvestoren zu gewährleisten, muss die Verfügbarkeit für prekarisierte und mangelhafte Beschäftigung wie auch für schlecht entschädigte Arbeitslosigkeit, für Austerität wie auch für »Reformen«, total sein. Arbeit zu verweigern heißt heute, diese Verfügbarkeit zu verneinen, welche die Finanzialisierung gerne hätte, und zwar ohne Limits und Gegenleistung. Die Verweigerung der Arbeit unter den Bedingungen gegenwärtiger Ausbeutung zu praktizieren bedeutet, neue Modalitäten des Kampfes und der Organisation zu erfinden, um nicht nur die ererbten Rechte der historischen Kämpfe gegen die Lohnarbeit zu erhalten, sondern um auch und vor allem neue Rechte durchzusetzen, die an die neuen Modalitäten der Ausbeutung von Zeit angepasst sind, Formen der Solidarität zu konstruieren, die in der Lage sind, die Enteignung von Wissen und Savoir-faire zu verhindern, sowie zu vermeiden, dass die Modalitäten der Produktion von den Erfordernissen finanzieller Valorisierung diktiert werden, der sich weder Kunst noch Kulturindustrien entziehen können.« Es muss außerhalb des unerträglichen Systems der Beschäftigung wieder nach Tätigkeiten im Marx`schen Sinne gesucht werden, die nachhaltigen Reichtum schaffen und die Lohnarbeit zugunsten des Wissens, das heute ganz in Maschinen materialisiert ist, abschaffen, aber eines transformierten Wissens, insofern die Zeit gerade durch die Arbeit der De-Automatisierung befreit wird, um eine freie Zeit der Transindividuation zu erreichen, und zwar im Sinne des otiums oder der sholhe, einer Muße, neuen Techniken des Selbst und der Anderen, und das heißt, für sich selbst und durch den Anderen zu arbeiten. Dazu bedarf es einer organologischen Revolution, der Erfindung neuer Instrumente des Wissens und der Publikation, eine epistemische und epistemologische Revolution, und dies kann dann eben nicht auf die Ausweitung des Dienstleistungssektors oder die Kreation neuer Jobs oder auf ein minimales Grundeinkommen reduziert werden, das der Kapitalisierung, dem Markt und dem Geld unterstellt bleibt. Reichtum ist Zeit und Zeit muss auch für Unterbrechungen zur Verfügung stehen, weil sie den Quanten-Sprung für psychische und soziale Individuationen liefert, die wiederum durch Transindividuationen formiert und metastabilisiert werden. Diese Zeit der Unterbrechungen ist wichtig, um eine neue Form der Arbeit zu erfinden, die sich von der Entropie unterscheidet und die Negentropie fördert, eine energeia, eine Passage hin zur Aktion, wobei Energien wie die fossile Energie immer nur eine Bedingung für die neotische Energie sein können, nicht diese selbst.

Spekulative Zeit, Verschuldung und Klassenpolitik

Viele der linken kritischen Soziologen, angefangen bei Richard Sennett bis hin zu Elena Esposito, behaupten übereinstimmend, dass die Zukunft sich immer in einer gewissen Distanz zur Gegenwart befände, sie damit eigentlich gegenüber dem Hier und Jetzt geschützt sei und deshalb in der Gegenwart als ökonomische Ressource nicht an den Märkten gehandelt werden sollte. So zerstöre der spekulativ ökonomische Gebrauch der Zukunft in der Gegenwart, den man gerne auch als De-Futurisierung bezeichnet, die Zukunft als ein offenes Potenzial und als einen Raum für Möglichkeiten. In der Tat hat die Kreditaufnahme etwas von einer Schließung der Zukunft. Schulden sind eine Forderung auf zukünftige Produktion und Leben, und da man in Zukunft also Schulden zu zahlen hat, ist die Zukunft in gewisser Weise abgeschlossen. Ein Student, der 200 000 Euro für ein Studentendarlehen zurückzahlen muss, weiß genau, dass seine Zukunft vorstrukturiert ist. Der konstante Bezug auf die Zukunft bringe zudem eine Gegenwart hervor, die zum einen von jedem narrativen Potenzial abgeschnitten sei und zum anderen auch keine Form von Sicherheit mehr bieten könne. Es gibt allerdings auch Soziologinnen, die widersprechen und behaupten, dass genau die exzessive Orientierung an der Zukunft, wenn sie als getrennt von der Gegenwart gedacht werde, die Gegenwart nicht zerstöre, sondern vielmehr eine nicht enden wollende Gegenwart und einen Verlust von Zeithorizonten erzeuge.

Lisa Adkins zieht in ihrem Buch Time of Money zur Eingrenzung des Problems der Zeit erstaunlicherweise die soziologischen Schriften von Pierre Bourdieu heran, der davon ausgeht, dass die Zukunft nicht durch Möglichkeiten charakterisiert wird, die eintreten mögen oder auch nicht und sich zudem durch eine Distanz zur Gegenwart auszeichnet, sondern dass vielmehr die Zukunft im Hier und Jetzt immer schon präsent ist, obgleich dies so nicht erfahren wird. Adkins verweist zur Illustration dieser These auf das Fußballspiel, bei dem eine kommende Spielsituation nicht einfach nur möglich ist, sondern in der Konfiguration des Spiels im Jetzt gewissermaßen schon anwesend ist.

Die Einschreibung der Zukunft in die unmittelbare Präsenz ist aber nicht einfach durch die aktuelle Praxis gegeben, sondern wird für Bourdieu in der Beziehung zwischen Habitus und Welt konstituiert. Die sozialen Felder sind in ihrer Logik nur dann erkennbar und dauerhaft, wenn es Agenten gibt, die mit ihren prä-reflexiven Dispositionen und Habiti in ihnen operieren. Diese Dispositionen beinhalten Routinen und Gewohnheiten, die die Gegenwart aufrechterhalten, aber auch praktische Antizipationen der Zukunft vornehmen, womit diese schon als objektives Potenzial oder als Spur in das unmittelbar Gegebene eingeschrieben sind. So zeigt auch schon das gegenwärtige ökonomische Feld eine kalkulierbare Zukunft an, weil die Agenten in ihm mit ihren Routinen agieren und diese eben auch eine Basis für praktische Antizipationen bilden. Für Bourdieu impliziert diese Erkenntnis aber keinen positiven Bezug auf das rationale Kalkül des Risikomanagements der Neoklassik, weil die praktischen Antizipationen der Zukunft eher unbewusste und zugleich kollektive Habiti und Strukturen voraussetzen, die den rationalen Agenten immer wieder out of line stürzen können. Für Bourdieu ist die Praxis nicht etwas, was in der Zeit stattfindet, sondern sie (wie eben auch die Ereignisse) erzeugt Zeit, i. e. Praxis ist Temporalisierung.

Im industriellen Kapitalismus – und hier ist laut Adkins nicht Bourdieu, sondern Thompson heranzuziehen – war die abstrakte Arbeitszeit die Einheit, auf die sich der Tausch stützte, und deshalb galt: Zeit ist Geld. Die Profitraten waren auf die Geschwindigkeiten innerhalb der Produktionsprozesse bezogen und ökonomische Ereignisse (abstrakte Arbeitszeit) wurden in den Einheiten der Uhrzeit gemessen, das heißt in quantitativen, homogenen und umkehrbaren Einheiten der Zeit, deren äußeres Maß das Geld war. Als Zeitform verläuft die Uhrzeit exogen zu den Praktiken und Ereignissen, sie ist eine externe Messung von ökonomischen Ereignissen, die als Produktionsraten, Profitraten, Arbeitszeiten etc. definiert werden. Die ökonomischen Ereignisse produzierten keine Zeit, sondern fanden in der Zeit statt. An dieser Stelle verfehlt Bourdieu die spezifischen Charakteristika einer exogenen Uhrzeit, allerdings werden seine Aussagen zur Zeit bei der Analyse des heutigen Finanzsystems wieder interessant, insofern die gegenwärtigen finanziellen Praktiken auf die Diffusion des hegemonialen Status der Uhrzeit als eine Form der Zeit verweisen, mit der Ereignisse in einem Fluss fortlaufen, in dem der lineare Verlauf von der Vergangenheit über die Gegenwart hin zur Zukunft fließt. Diese Diffusion betrifft auch die Frage des Kredits.

Die Expansion der ökonomischen Kapazitäten von Unternehmen, Haushalten und Staaten, mit denen all diese heute ihre Kreditschulden zu schultern vermögen, bedarf des Ausbaus einer Reihe von institutionellen Arrangements. Insbesondere die sozialdemokratischen Regierungen unterstützten in den 1990er Jahren unter dem Label »Kreativität und Eigenverantwortlichkeit« die Transformation von weiten Teilen der Bevölkerung in Schuldner, denen über das Kreditkartensystem und den leichteren Zugang zu Krediten die Möglichkeit gegeben wurde, sich in das Finanzsystem zu integrieren, um Surplus für das finanzielle Kapital zu erzeugen, womit nicht nur das Potenzial zu weiterer Beschäftigung, sondern auch die eigene Solvenz ständig berücksichtigt werden musste, wollte man ein einigermaßen »normales« Leben leben. Egal, ob es sich um einen kurzfristigen Job, einen Hypothekenkredit oder um die Teilnahme an irgendeiner Start-up-Initiative handelte, es ging um die Kreation eines neuen »Investees«, der rund um die Uhr damit beschäftigt ist, seine Vertrauens- und Kreditwürdigkeit für Investoren und Unternehmen herzustellen, das heißt, der ständig auf der Suche nach neuen Projekten ist. Von daher unterscheidet er sich vom typischen Lohnarbeiter im Fordismus, der von langfristigen Arbeitsverträgen und staatlichen Sozialleistungen lebte, aber er unterscheidet sich auch vom selbstverantwortlichen Unternehmer des kleinen Kapitals x. Wenn die Investees für die Steigerung ihrer finanziellen Attraktivität an den Märkten selbst verantwortlich sind und dabei ständig auf ihre Beschäftigungskapazität und Solvenz getestet werden, dann müssen die Regierungen darum bemüht sein, in die Ausbildung und Weiterbildung ihrer Bürger zu investieren, sodass diese zumindest die Rückzahlungen ihrer Kredite leisten können, darüber hinaus sollten sie auch noch für zukünftige Zahlungsmodalitäten trainiert werden. Gleichzeitig müssen Arbeitslosenversicherungen dahingehend transformiert werden, dass die Empfänger von Sozialleistungen permanent in »return-to-work« Programme getrieben und für die Aufnahme von Krediten fit gemacht werden. Um ein staatliches Territorium für finanzielle Investoren attraktiv zu halten, so tönten die sozialdemokratischen Regierungen in den 2000er Jahren, bedürfe es nicht nur der Reduzierung der Kapital- und Unternehmenssteuern, der Deregulierung der Arbeitsmärkte und der Sicherstellung der intellektuellen Eigentumsrechte, sondern es gelte ständig auch den finanziellen Wert (das Kreditierungspotenzial) der eigenen Bevölkerung einzuschätzen. Dies alles gilt es für Territorien zu leisten, die politische Gebiete sind und sich seit den römischen Rechtsgrundsätzen aus terra und terror zusammensetzen.

Nach der Finanzkrise von 2008 wurden die Infrastrukturen des Finanzsystems weiter ausgebaut. Das Floaten der Zinsraten und des US-Dollars hatte längst die Beziehung zwischen Zeit und Geld, präziser zwischen der Zeit und den Profitaussichten auf Staatsanleihen erneuert. Die Zeit wird nun selbst Teil der neuen Finanzinstrumente und ihren Operationen und ist damit ein Ereignis in sich selbst. Und die digitalisierte Kalkulation bietet heute zudem die Möglichkeit, die Relationen zwischen zukünftigen Zeitpunkten in der Zeit zu kalkulieren. Sie generiert neue Profitmöglichkeiten hinsichtlich der Kalkulation zeitlicher Beziehungen und erhöht damit die Profitabilität der finanziellen Sicherheiten und anderer Finanzinstrumente.

Damit ist auch eine Transformation in der Materialität der verschiedenen Assets und Derivate angezeigt. Insofern diese als diskrete ökonomische Objekte in der Zeit miteinander verbunden und durch die Zeit gemessen und damit neue Profitpotenziale geschaffen werden können, lassen sie sich als ein Kontinuum der Momente verstehen. Das Floaten der Preise und die Volatilität der Assets erfordert den Handel mit temporalisierten Sicherheiten, die sich nicht in der Zeit bewegen, sondern selbst temporale Formen sind und gerade deshalb kapitalisiert werden können. Die Zeit wird nun selbst zum »Objekt« der Innovation und der Imagination und dieser Sachverhalt verdichtet sich in der Feststellung: Geld ist Zeit. Es geht hier für nicht nur um die Kapitalisierung der Zukunft, sondern auch um die Transformation der Zeit selbst. An den Derivatmärkten mutieren die finanziellen Objekte selbst zu Formen der Zeit, wobei die Zeit dieser Objekte durch die Techniken und Praktiken der Finanzmärkte konstituiert wird, Praktiken, welche die Zeit der Derivate für innovative Strategien, die der Kreation von Profiten dienen, öffnen. Somit haben Derivate ihre eigenen zeitlichen Profile, Gegenwarten und Zukünfte, die offen für ständige Rekalibrierung sind. Um es kurz zu sagen, Derivate und Sicherheiten sind selbst als Formen der Zeit zu verstehen. Und Derivate zeigen auch an, dass die lineare Zeit, bei der auf die Vergangenheit die Gegenwart, und auf diese die Zukunft folgt, an Bedeutung verliert, vielmehr ereignet sich die Zukunft, wenn auf sie mittels Derivaten spekuliert wird, in gewisser Weise sogar vor der Gegenwart.

Eine aufschlussreiche Manifestation des operationalisierten spekulativen Zeitkomplexes sind also die Derivate. Sie sind zentral für die finanzielle Spekulation, und sie sind spekulativ in dem Sinne, dass sie den unbekannten künftigen Preis einer Kapitalanlage und die damit verbundenen Risiken nutzen, um Gewinne im Verhältnis zum gegenwärtigen Preis zu erzielen. Wie Elena Esposito anhand der Derivate aufzeigt, werden die Ungewissheiten der Zukunft dazu benutzt, um Preise in der Gegenwart zu bilden, und so wird die übliche Zeitstruktur von Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft außer Kraft gesetzt. Der Derivatehandel ist ein klares Beispiel dafür, dass Profite nicht nur auf der Grundlage der Produktion und der Ausbeutung der Arbeitskraft mittels Maschinen, welche einer Geschichte der Investition folgen, produziert werden. Diese Methoden gehören zu den traditionellen industriellen Akkumulationsmodellen, in denen eine Fabrik gebaut, Arbeiter eingestellt und bezahlt werden, Maschinen gekauft und Rohstoffe zu einem bestimmten Preis verarbeitet werden, ein Produkt hergestellt wird und dann zu einem Preis, der höher als die Kosten ist, verkauft und somit ein Profit erwirtschaftet wird. All dies bedeutet, dass Profite durch die Produktion zustande kommen, die in der Vergangenheit stattgefunden hat und deren Produkte dann auf dem Markt verkauft werden. Der Tausch des Produkts stellt den Abschluss einer Produktionskette dar, die schon geschehen sein muss. Beim Derivatmodell wird dagegen ein Preis in der Zukunft, die erst noch stattfinden muss, antizipiert, und diese zukünftige Eventualität, die unbekannt ist, wird operationalisiert, um Profite in der Gegenwart zu erzielen – auf der Grundlage, das sei wiederholt, einer Zukunft, die unbekannt und noch keine Wirklichkeit ist. Derivate sind eine Art von future-mining, ein Vorgriff auf die Zukunft aus der Gegenwart, und diese Ausbeutung der Zukunft verändert wiederum die Gegenwart, die nun nicht mehr diejenige ist, von der man ausgegangen ist. Die Konstruktion einer spekulativ konstruierten Gegenwart macht die Gegenwart sozusagen aktiv zu einer Vergangenheit. Dies muss nicht unbedingt präemptiv in dem Sinne sein, dass man etwas eliminiert, um dem vorzubeugen, was geschehen könnte, vielmehr werden die Operationen der Preisbildung der Derivate selbst modifiziert, insofern die nahe Zukunft als Bedingung der Operation berücksichtigt wird. Die Zukunft verändert damit auch die Gegenwart, noch bevor sie stattgefunden hat. Damit erodiert das lineare Schema der Zeit, während zugleich die Öffnung der Gegenwart auf die Zukunft einer Transformation unterliegt.

In diesem Kontext gilt die Spekulation als ein produktiver, regulierender »Impuls«, der das Problem der Unsicherheit in die Logik der Governance des Risikos einführt. Während der klassische Liberalismus daran interessiert war, die Unsicherheit der Zukunft zu diskontieren, lotet der Neoliberalismus die Grenzen des Kalkulierbaren, des Unkalkulierbaren und des Unvorhersehbaren aus, um nun auch noch diese »chaotischen« Zeitverläufe zu monetarisieren. So interessiert sich der Neoliberalismus wesentlich stärker für die Finanzialisierung/Kapitalisierung als für die Kommodifizierung, beschäftigt sich intensiver mit den Projekten und Aussichten eines Investments als mit dem unmittelbaren Nutzen der Konsumtion; er ist mehr der ungleichgewichtigen Spekulation als der Stasis des Gleichgewichts zugeneigt. Diese Art der Beschäftigung mit der Zeit findet man in der klassisch liberalen Ökonomie und der Neoklassik nicht.

Adkins behandelt schließlich auch die Austeritätspolitik unter Gesichtspunkten, die bisher meistens außer Acht gelassen wurden, nämlich als eine polit-ökonomische Strategie, mit der die Schuldenökonomie ausgedehnt und erweitert wird, und daraus folgend die Produktivität der Bevölkerung zur Generierung von Mehrwert inmitten der Bewegungen und Ströme des Geldes gesteigert werden kann. Im Konkreten bedeutet dies auch eine Senkung der Staatsausgaben, die zu Lasten der einkommensschwachen Bevölkerungsteile und derjenigen führt, die keinen Zugang zu finanziellen Assets haben und sich auch deswegen verschulden müssen. Die Austeritätspolitik inkludiert also eine klassenspezifische Put-Option, welche inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung gerade auch in den kapitalistischen Kernländern auszuüben hat. Diese Politik bevorzugt nicht einfach nur die Reichen und die Finanzeliten, sondern im speziellen diejenigen, die im großen Stil Zugang zu den Finanzmärkten und den Assets haben oder über letztere als Eigentum verfügen, seien es Hypothekenverträge, Kredite und Derivate.

Um dies zu verstehen, kommt Adkins auf die Genealogie der Expansion des Finanzsystems seit den 1970er Jahren zurück, das a) die finanziellen Institutionen und deren Instrumente explodieren ließ, b) nicht beschäftigungsintensiv war, und c) in steigendem Maß und in nachhaltigen Dosen in das alltägliche Leben der Bevölkerungen integriert wurde. Nicht nur die Banken, Hedgefonds und finanziellen Eliten operieren nun in den finanziellen Feldern, um spekulative Gewinne mit dem Handel von Assets zu erzielen, sondern zunehmend sind die Mittelklasse und selbst die einkommensschwachen Schichten zu Zwecken des reinen Überlebens in ihrem Alltag gezwungen, sich in die finanziellen Felder zu integrieren. Somit müssen sie das Alltagsleben als einen Raum für finanzielle Investments gestalten und konfigurieren, womit die spekulative Rationalität nach und nach in das finanzielle Alltagsleben einwandert.

Und damit wird auch das Geld als Zirkulationsmittel und Wertmaß transformiert, indem es selbst als eine spezifische Ware (Kapital als Ware) mit sich selbst vermittelt ist und in dieser spezifischen Bewegung finanziellen Surplus generiert, beispielsweise in der Form der Versicherung von Einkommensströmen, die aus Konsumentenkrediten, Hypotheken und anderen Schulden bestehen (und den Verträgen zwischen Haushalten und den finanziellen Institutionen, die sie versichern) und damit indirekt die Haushalte mit den Operationen an den globalen Finanzmärkten »verlinken«. Wenn das Geld als eine Kapital-Ware fungiert, dann verliert es seine Funktion als Wertmaß bzw. als allgemeines Äquivalent und transformiert zum Wert in sich selbst, der neue Kapazitäten und Attribute besitzt, man denke etwa an die Zuschreibung von Preisen und Zinsraten an Kredite und Anleihen, wobei jene Attribute in eine Vielzahl von Variationen gebündelt und daraufhin gehandelt werden können, wobei die Möglichkeiten zur Bündelung zumindest virtuell endlos sind. So ist der Wert nicht gegeben, bevor er nicht signifiziert ist, und diese Signifikation ist nicht passiv und repräsentativ, sondern sie ist performativ – sie wird getrieben von der Projektion und Aktivierung des Möglichen. Wenn die Kreation von fiktiven Formen eine temporale Dynamik erzeugt, in der es möglich wird, virtuelle Forderungen zu aktualisieren, dann funktioniert die Aussicht auf Aktualisierung als ein immer wieder zurücktretender (virtueller) Horizont, der per se nicht eingeholt werden kann (Lacans object a).

Adkins schreibt, dass Derivate etwas in Bewegung setzen würden und dies auch gerade im Bezug auf Konsumentenkredite und Hypothekenverträge so zu sehen sei. Und selbst noch Einkommensströme, die von anderen Aspekten des alltäglichen Leben herrühren, wie etwa Studentendarlehen, Rechnungen für Mobiltelefone, Rechnungen der Haushalte für Wasser und Elektrizität etc. würden als Inputs in neue Finanzinstrumente eingespeist und somit seien selbst noch ahnungslose Haushalte mit ihren kleinen Einkommen inzwischen über Kettenreaktionen vermittelt vom Handel der Derivate an den globalen Finanzmärkten abhängig. Randy Martin hat dies als die »Finanzialisierung des alltäglichen Lebens« bezeichnet. Dabei werden die verschiedenen Formen alltäglicher Kreditierung zu neuen Finanzinstrumenten wie CDOs (Verbriefung; Bündelung verschiedener Kreditformen) gebündelt, dann auf einige wenige Attribute (Preise) heruntergebrochen, um in vielfältigen Kombinationen an den Finanzmärkten gehandelt zu werden.

Heute, insbesondere in den USA, sind Zinsen, Gebühren auf Hypotheken, Kreditkarten, Studenten-Darlehen etc. eine Komponente des Profits der finanziellen Unternehmen und zählen für deren Anstieg mit verantwortlich. Dabei ist die Kreditvergabe an Haushalte jedoch qualitativ verschieden zu der an industrielle und kommerzielle Unternehmen: Die Haushalte leihen Geld aus der Perspektive des Gebrauchswerts, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, wie Wohnen, Erziehung, Gesundheit und Konsumartikel, während die Unternehmen aus der Perspektive der Kapitalzirkulation und der Extraktion von Mehrwert Kredite aufnehmen. Kommt es hier also tatsächlich zu einer doppelten Ausbeutung der Haushalte? Die Zinsen, die die Lohnabhängigen an die Banken zahlen, repräsentieren ein Sinken des Werts der Arbeitskraft. Das Argument gegen die These, dass die finanziellen Unternehmen die Arbeiterklasse finanziell ausbeuten, indem sie einen Teil des Lohns entwenden, kann folgendermaßen expliziert werden: Wenn eine Quelle des finanziellen Profits der Schnitt in die Löhne ist, dann gibt es zwei gegensätzliche Implikationen. Entweder erhalten die Arbeiter ein Nettoeinkommen unter dem Wert der Arbeitskraft, wenn die Zinsen gezahlt werden oder die Abzüge sind Teil des Werts der Arbeitskraft, die benötigt werden, um die sozial notwendigen Güter und Dienstleistungen zu kaufen, wozu es eben der Kreditaufnahme bedarf. Im ersten Fall würden die Abzüge ein niedrigeren Wert der Arbeitskraft mit der Zeit zur Norm machen, Im anderen Fall, wenn die Arbeiter nicht unter dem Wert der Arbeitskraft bezahlt würden, würden die Kosten der Konsumentenkredite und Hypotheken ein Teil der regulären Löhne sein, welche die Arbeiter bezahlt bekommen. Wir werden sehen, dass es noch eine dritte Möglichkeit gibt.

Die materielle Prekarisierung der Beschäftigung macht es für größere Teile der Bevölkerung notwendig, Kredite aufzunehmen, um beispielsweise Zugang zu Häusern zu erlangen, das Studium fortzusetzen und bestimmten Konsumwünschen nachzukommen oder einfach zu überleben. Und für Kreditaufnahmen muss man Sicherheiten nachweisen. Wenn dies nicht der Fall ist, dann müssen, um die Solvenz nachzuweisen, zumindest Perspektiven (steigender Marktwert des Hauses) oder Reputation, die darin besteht, dass bspw. durch den Lohn der Kredit zurückbezahlt werden kann, nachgewiesen werden. Die neoliberalen Reformen trugen dazu bei, die Individuen, die vom utilitaristischen Kalkül den eigenen Nutzen bzw. das Einkommen zu maximieren, besessen sind, in finanzialisierte Subjekte zu überführen, die ihre eigene Wertigkeit auf die kontinuierlich zu bewertenden Assets verschieben, um das kleine Kapital x zu maximieren.

Die Verschuldung bestimmter Bevölkerungsteile durch »alltägliche Kredite« steht in einem speziellen Verhältnis zum Lohn, der in seinen verschiedenen Ausformungen zunehmend kontingent wird und sich den durch die Gewerkschaften erkämpften Standardisierungen entzieht. So wird also die Lohnarbeit per se unsicher, sporadisch und unvorhersehbar (und damit auch der Wert der Arbeitskraft). Zudem stagnieren die Reallöhne in den letzten dreißig Jahren. Damit können viele Haushalte nur noch durch die Erhöhung der Schulden ihre ökonomische Reproduktion sichern. Unter den Bedingungen provisorischer und zeitlich befristeter Arbeitsverträge, der Austeritätspolitik und stagnierender Löhne müssen die Haushalte niedriger und mittlerer Einkommen ihre Schulden heute einfach erhöhen, womit sie durch die Zahlung von Zinsen zur Expansion und Multiplikation der Extraktion eines Surplus, der durch Geld und Finance generiert wird, beitragen. Im Januar 2019 kommt es laut einer repräsentativen Umfrage des Kreditvergleichsportals Smava bei 18 Millionen Deutschen zu finanziellen Schwierigkeiten und deswegen zur Aufnahme von Dispokrediten, deren durchschnittliche Zinsen laut Bundesbank bei 8,29 Prozent liegen.

Die Verstärkung der Kritik an der selektiven Macht der finanziellen Investoren gegenüber der der ausbeutenden Kapitalisten heißt nicht, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft zurückgegangen wäre, im Gegenteil, in Unternehmen, die insbesondere für die Shareholder aufgestellt werden, müssen die Manager weiterhin strengstens darum bemüht sein, die Arbeitskosten zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen. Aber es sind nicht die neuen Formen des Unternehmensmanagements, die zum Großteil für den Transfer der Einkommen von der Arbeit hin zum Kapital verantwortlich zu machen sind, im Gegenteil, für die Stagnation der Reallöhne und den Abbau des Sozialstaats ist die »Rating power« der finanziellen Investoren verantwortlich zu machen. Der Wegfall legaler und administrativer Bestimmungen, welche die Zirkulation des Kapitals über nationale Grenzen hinweg (als auch die der finanziellen Aktivitäten) befreiten und die Kreation neuer Formen der Assets, Derivate, ermöglichten, führte dazu, dass hauptsächlich die Händler der finanziellen Liquidität die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die ökonomische Attraktivität nationaler Territorien beurteilen und bewerten. Die Akkreditierung als Form der Bewertung des Kapitals ist nun zu bestimmen.

In typisch neoliberaler Manier wird argumentiert, dass man damit die Bürger dazu anhielte, die Disziplin und das Management des eigenen Lebens als das eines Projekts autonom und selbstverantwortlich zu verstärken. Und die Frage der Kreditwürdigkeit betrifft auch Individuen, die sich nicht mehr auf langfristige Jobs und staatlich garantierte Sozialleistungen verlassen können, da die Unternehmen und Staaten, die selbst von der Evaluation der Finanzinvestoren abhängig sind, keine langfristigen Arbeitsverträge und ausreichenden Sozialleistungen mehr anbieten können, sodass die jobsuchenden Individuen sich selbst bewertbar machen müssen, etwa durch gutbezahlte fachbezogene Kompetenzen, Flexibilität und ausreichendes Networking. Ihre Möglichkeit, einen Job zu finden, wird nun stärker durch den Kredit, der dem »Humankapital« zugeordnet wird, als durch kollektive Verträge beeinflusst.

Die Erhöhung der persönlichen Schulden und die daraus erfolgende Abhängigkeit von spezifischen finanziellen Risiken ist aber nur ein Teilaspekt des finanziellen Regimes der Akkumulation, darüber hinaus sind heute die Haushalte immer stärker auch von den Einkommen und Löhnen der Frauen abhängig, egal wie volatil oder prekär nun diese Einkommen sind. Frauen werden zunehmend in den postfordistischen Arbeitsmarkt gedrängt und integriert, sei es als Lohnarbeit im Bereich der sozialen Fürsorge und der Pflegedienste, sei es als prekär bezahlte Tätigkeiten im häuslichen Bereich. Ein neues institutionalisiertes Modell der Erwachsenen-Arbeit hat das alte fordistische Modell der Familie ersetzt, ersteres ist ein Modell, bei dem in der Tendenz alle Erwachsenen an die Beschäftigung gebunden oder zumindest in die konstante Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten integriert werden sollen. So sind gerade Frauen Mehrfachbelastungen ausgesetzt – kurzfristige Beschäftigung oder Lohnarbeit, Hausarbeit und Kindererziehung – und generieren, wenn die geringen Löhne die Verschuldung notwendig machen, selbst eine kleine Investitionstätigkeit im Bereich des Haushalts und der sozialen Reproduktion. Gerade durch diese Mechanismen wurde die Familie im Postfordismus wieder neu erfunden und zugleich reorganisiert, und zwar in Richtung einer Neuinszenierung der Eigenverantwortlichkeit und der damit einhergehenden Anbindung an das Finanzsystem. Während im Fordismus die heterosexuelle Familie als Ort der Reproduktion insbesondere der männlichen Arbeitskraft sowie der Erzeugung von Konsumnachfrage fungierte (plus den Zuwendungen des Sozialstaates), transformiert im Postfordismus die Familie in eine sich selbst genügende ökonomische Einheit und/oder in einen Bereich des kleinen Investments, wenn sich sich durch private Schulden reproduzieren und mittels eines Set von ökonomischen Verantwortlichkeiten, die stets an die Finanzmärkte gebunden sind, operieren muss. Somit mutiert selbst noch die Familie zu einem kleinen Unternehmen, in dem nun auch die Frauen im Zuge der Redefinition der sozialen Reproduktion den Imperativen der Beschäftigung unterworfen sind. Für den Postfordismus ist die Feminisierung des Überlebens essenziell. Und oft genug fungieren die Löhne der Frauen als eine Art Leveraging und der »Spekulation«, um dann als Familie bei den Banken und anderen Kreditinstitutionen Zugang zu versicherten Kreditformen zu finden, die das alltägliche Leben der Haushalte gewährleisten, und dies gerade auch hinsichtlich der Finanzierung von Leistungen, die bisher vom Staat oder von den Kapitalisten übernommen wurden.

So sind heute die Löhne dermaßen volatil, dass sie als variable Ausgangsbasis für den Zugang zu Krediten und Hypotheken dienen, für die dann regelmäßige Zahlungen und Zinsen zu leisten sind. Die Löhne korrelieren nun mit der Verschuldung der Haushalte, die mit der Kreditaufnahme und in wenigen Fällen mit dem Kauf von Wertpapieren auch ein kleines Kapital x generieren können. Oder, um es anders zu sagen, die Arbeiter und Angestellten müssen selbst – wenn auch in sehr beschränktem Maß – mit ihrem alltäglichen Geld spekulieren, um monetär etwas in Bewegung zu setzen. So sind die Haushalte dann nicht nur von den Löhnen abhängig, sondern auch davon, was diese Löhne als Bedingung der Kreditaufnahme leisten können. Das Finanzsystem treibt damit die Haushalte regelrecht in die neoliberale Risikoproduktion hinein und dies betrifft heute eben auch die Haushalte niedriger und mittlerer Einkommen. Damit werden die Haushalte in spezifisch asymmetrischer Weise abhängig von den Fluktuationen der Preise an den Finanzmärkten. Wohnung, Regeneration, Erziehung und Gesundheit – Bereiche der sozialen Reproduktion, für die der Sozialstaat im Fordismus noch seinen Beitrag geleistet hatte – sind nun finanzialisiert, wobei die Haushalte, indem sie ihre soziale Reproduktion durch Kreditaufnahme sichern, weitere Risiken eingehen müssen. Damit ist eine neue Topologie der Anbindung der Bevölkerung an das finanzielle Risiko in Szene gesetzt. Wenn es an dieser Stelle um Fragen der Gerechtigkeit geht, dann sollte man sich nicht länger nur auf die Umverteilung der Einkommen konzentrieren, sondern eben auch auf die Frage der Verteilung der finanziellen Risiken.

Das Problem der Zeit der vertraglich geregelten Schulden von Haushalten und Personen muss ausführlich analysiert werden, wenn man die Integration der Bevölkerung in die Schuldenökonomie und die Erweiterung der Potenziale der Bevölkerung, ein positives Risikomanagement leisten zu können, verstehen will. Dies bedarf wiederum des Verständnisses der Logik der Spekulation als ein spezifisch historischer Modus der Kapitalakkumulation und der sozialen Organisation. Dabei geht es zum einen um den quantitativen Anstieg der privaten Schulden in den kapitalistischen Kernländern, zum anderen um die zukünftigen Einkommensströme, die aus den vertraglich geregelten Schulden resultieren, sowie um ihre Anbindung an gegenwärtige Akkumulationsstrategien des Kapitals, das heißt an die Produktivität der Schulden bezüglich der Generierung des Surplus via Geld und Finance. Potente Kreditgeber wie die Banken inkorporieren heute ein strukturelles Machtverhältnis, gerade wenn es um ihre Position innerhalb der Verschuldungskreisläufe der Haushalte geht, die wiederum als Kreditnehmer oft keine andere Wahl haben als sich zu verschulden. Wenn Marx die Arbeiter als Lohnsklaven bezeichnet hat, dann muss die Verschuldung als eine asymmetrische Relation verstanden werden, in der die kleinen Schuldner nichts weiter als Schuldensklaven sind.

Gewöhnlich wird die zeitliche Dimension der Verschuldung auf das Versprechen der Kreditnehmer bis zur Tilgung des Kredits Zahlungen (inklusive Zinsen) zu leisten und damit auf die Schließung einer offenen Zukunft für die Kreditnehmer reduziert, die dann keine Möglichkeiten mehr besitzen, bestimmte Potenziale der Zeit zu nutzen. Entgegen die darin angelegte Vorstellung, dass Schulden eine Destruktion der Zeit, die Vernichtung der Möglichkeiten in der Gegenwart und der Zukunft nach sich ziehen, will Adkins darauf hinaus, dass die Schulden heute eher auf ein generatives Moment in der Zeit verweisen. Damit wird die Logik der Rückzahlung der Schulden auf die Logik der möglichen Zahlungen verschoben, und die Bewegung der Zahlungstermine und -fristen, die einer Logik der Wahrscheinlichkeit entspricht, verschiebt sich hin zu einer Logik des Möglichen. Diese Logik bindet das verschuldete Subjekt an eine Zeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich nicht mehr in einer linearen Relation zueinander befinden, vielmehr sind die Zeiten nun offen für jede Art der Mischung und der Revision. Diese Form der Zeit nennt Adkins »spekulative Zeit«, und diese ist an die Logiken des Geldes und der Finance gebunden und im Speziellen an den Prozess der Verbriefung von Krediten (CDO), der für das finanzielle Kapital neue Möglichkeiten der Extraktion von Profiten geschaffen hat, wobei dies eben nun auch mittels der Kapitalisierung der Einkommensströme der Haushalte geschieht. So gesehen inhäriert die Verschuldung der einkommensschwachen Bevölkerung auch eine neue Ordnung der Zeit, in der die Produktivität der Bevölkerung bezüglich der Generierung von Mehrwert – aus den Strömen des alltäglichen Geldes – maximiert werden soll. Diese Reorganisierung des Sozialen bedarf spezifischer Modi und Praktiken, wobei die Architektur der Schulden wiederum bestimmte zeitliche Rhythmen, Sequenzen, Patterns und Sensationen verlangt.

Schulden enthalten also eine temporale Relation, sie werden durch die Zeit mit definiert: Sie erfordern das Versprechen, zu einer Zeit zu zahlen, die noch nicht erreicht ist, nämlich in der Zukunft, und damit erfolgt zugleich auch die Zurückstellung der Gegenwart zugunsten einer vertraglich geregelten Zukunft, die bekannt ist, noch bevor sie eintritt. Bezüglich der Zeit operieren Schulden also mit einer doppelten Bewegung: Das Versprechen zu zahlen, inkludiert Aufschub und Antizipation. Es ist davon auszugehen, dass das ökonomische Überleben der Mehrheit der Bevölkerung in den kapitalistischen Kernländern heute von der Schuldenökonomie abhängig ist. Maurizio Lazzarato hat schon vor einigen Jahren angemerkt, dass zunehmend größere Anteile des Lebens in die Schuldenökonomie hinein gesogen werden, sodass finanzielle Risiken und finanzielle Kosten letztendlich das ganze Leben durchqueren. Gegen Lazzarato wendet Adkins allerdings ein, dass Schulden eine Komplexität besäßen, die nicht auf den Verlust an (offener) Zeit und Aneignung zu reduzieren sei, das heißt auf eine datierte Zeit der Rückzahlungen, die ein punktiertes und gleichförmiges Subjekt einfordere, ein Subjekt, das Sanktionen vermeide, indem es pünktlich Rückzahlungen leiste.

Dies ändert sich nämlich mit der Finanzialisierung der Schulden bzw. der Existenz des Kalküls der verbrieften Schulden (CDOs, die sich aus Konsumentenkrediten und Hypotheken zusammensetzen). Die Securitization/Verbriefung von Krediten besteht darin, verschiedene vertraglich abgesicherte Schulden zu sammeln, zu bündeln und in liquide Assets zu verwandeln, die dann an den Finanzmärkten gehandelt werden können. Dies hat nicht nur zu neuen Möglichkeiten in der Kreation des Surplus für das finanzielle Kapital geführt, sondern auch die Möglichkeiten der Realisierung von Renditen, die in Hypotheken und Konsumentenkrediten verborgen sind, erhöht. Damit werden die »alltäglichen« Kredite in die Kapitalmärkte hineingezogen. Und damit werden auch die Zahlungsfristen und -pläne der Schulden transformiert, die jetzt nicht mehr gleichförmig, regulär und sequentiell, sondern flexibel, variabel und anpassungsfähig sind. Es lassen sich die Schedules für Rückzahlungen dehnen, verlangsamen, beschleunigen, reorganisieren und zurücksetzen. Sowohl die variablen Zahlungsräume zur Rückzahlung als auch die Kalkulation der Kreditvergaben werden nicht mehr auf einen zukünftigen Endpunkt ausgerichtet, an dem die Schulden dann endgültig getilgt sind, sondern sie sind auf den laufenden und den möglichen Service von Schulden, also in Richtung von möglichen, zukünftigen Zahlungen anstatt von Rückzahlungen bezogen. Somit sind Kredite, Hypotheken und andere Schulden der permanenten Adaption ausgesetzt und zudem mit Optionen aufgefüllt, sodass beispielsweise einer Zeit der Zahlungen mit hohen Zinsen eine Befreiung der Zahlungen für eine bestimmte Periode folgen kann.

Auch die Vergabe von langfristigen Krediten ist nicht mehr allein an die Indexierung zukünftiger und wahrscheinlicher Lohnzahlungen gebunden (ausgehend von bekannten Löhnen in der Gegenwart), stattdessen untersucht man die Löhne und Einkommen stärker auf Potenziale und Möglichkeiten hinsichtlich einer generellen zukünftigen Bedienung von Schulden. Anstatt weiterhin von der Kalkulation des Wahrscheinlichen, die der möglichst exakten Projektion von der Gegenwart in die Zukunft dient, auszugehen, bezieht sich das Kalkül der versicherten Schulden auf die Kalkulation möglicher Zukünfte. So wird die Zukunft nicht von einer bekannten Gegenwart aus entfaltet, vielmehr wird die Gegenwart durch kommende Zukünfte saniert, die eintreten können oder auch nicht. Damit werden zugleich Ressourcen von der Zukunft in die Gegenwart transferiert, von Zukünften, die bisher noch nicht eingetreten sind oder nie eintreten werden. Man ersetzt die statistische Kalkulation der Wahrscheinlichkeit durch die algorithmische Anordnung des Möglichen, von der aus neue Praktiken in Gang gesetzt werden sollen. Rouvory und Stiegler haben im Kontext der Analyse einer neuen Form der algorithmischen Governance der post-aktuellen Realität schon früh darauf hingewiesen, dass es heute nicht mehr um die Kalkulation der Wahrscheinlichkeit gehe, sondern darum, im Voraus schon dasjenige zu berücksichtigen, was der Wahrscheinlichkeit entflieht und damit den Exzess des Möglichen erst möglich macht. Auch der Staat bedient sich der neuen Methoden und Techniken, das Mögliche zu modellieren, etwa mittels Software, Risikomanagement, biometrischer Verfahren und des privaten Consultings. Diese Techniken ermöglichen eine neue Form der algorithmischen Governance und der Macht, die ganz auf mögliche Zukünfte ausgerichtet ist und mittels präemptiver Maßnahmen agiert. Man liest nun Spuren, die von möglichen Zukünften hin zur Gegenwart führen.

Die Produktivität der Schulden basiert nicht nur auf der Akkumulation von Profiten, die auf Schulden bzw. Zinsen rekurriert und in fixierten Blöcken der zukünftigen Zeit bezahlt werden, sondern auf der Akkumulation von Profit, die durch den Handel mit Schulden in der Zeit funktioniert, wofür man vertraglich fixierte Einkommensströme, die Gewinne und Verluste der Schuldenaufnahme und die »Wetten« auf diese Gewinne und Verluste benötigt, das heißt bezüglich des letzteren das Herunterbrechen der Kredite auf wenige Attribute und daraufhin das Bündeln, Auspreisen und Handeln dieser Attribute innerhalb der durch das Risiko bewerteten Tranchen. Diese experimentelle Behandlung der Schulden wird nun selbst zur Profitquelle. Profite resultieren für das finanzielle Kapital unter anderem aus dem Handel mit Derivaten, der Restrukturierung von Schulden und der Auktionen mit Krediten, CDOs und CDS.

Die spekulative Zeit ist eine Zeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht in einer prä-determinierten Relation oder Linearität stehen, sondern die in einem Kontinuum von Bewegung, Transformation und Entfaltung prozessiert. Die Zukunft kann hier nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die Vergangenheit zugreifen. Die Gegenwart und ihre Relationen zur Vergangenheit und Zukunft können wiederum innerhalb einer Aktion einem ständigen Reset unterworfen werden. Vergangenheit und Gegenwart können in die Zukunft und Zukunft und Gegenwart in die Vergangenheit geschoben werden. Und die Flüsse dieser nicht-chronologischen Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte inklusive ihres Resettings und ihrer Reorganisation, ja sogar ihrer Suspension, können ohne Weiteres einer Vermehrung von Profiten dienen. Die Zeit der versicherten Schulden und Profite insistiert in einer nicht-chronologischen und indeterminierten Bewegung der spekulativen Zeit.

In dieser Zeit und im speziellen im Kontext der ökonomischen Produktivität muss die Akkumulation via Schulden (die wechselnden Schedules der Schulden von Personen und Haushalten, die sich verzögern, beschleunigen und reorganisieren lassen) erfolgen. Der am Kalender orientierten Zeit der Rückzahlung wird nun die kalendarische Zeit der Zahlung hinzugefügt, die das Subjekt an die nicht-determinierte Zeit der Spekulation bindet. In dieser Zeit werden finanzielle Aktivitäten mobilisiert und intensiviert; es ist eine Zeit, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem kontinuierlichen Fluss der Revision befinden. So jammert das finanzialisierte Subjekt jetzt nicht länger über die Leere der Zeit, den Verlust der Zukunft oder der zeitlichen Orientierung, sondern dieses Subjekt ist jederzeit bereit die Rekalibrierungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft freudig in Angriff zu nehmen. Und dieses Subjekt hat nicht zu wenig, sondern gewissermaßen zu viel Zeit übrig, nämlich die des Ereignisses und des nicht-chronologischen Flusses der Zeit.

Die Zeit des versicherten Schulden schreibt in die Gegenwart die spekulative Zeit ein. Dies inkludiert keine Praktik der Temporalisierung, wie Bourdieu noch annimmt, sondern eine Praxis der Spekulation, welche selbst noch die Kapazitäten der Bevölkerung bezüglich möglicher Zahlungen über ganze Lebenswelten hinweg maximieren soll. Denn der Prozess der Securitization inkludiert ein Rewriting des sozialen Lebens der Bevölkerungen, die nun unweigerlich in das Finanzsystem und seine Risikoproduktion integriert werden: Der Kreditwürdigkeit von Teilen der Bevölkerung wird die erweiterte Logik der Zahlung des Möglichen hinzugefügt.

Um es zu rekapitulieren: Adkins macht die Transformationen im Finanzsystem seit den 1970er Jahren an der Entwicklung neuer Finanzinstrumente, der Verbriefung insbesondere von Krediten, der Austeritätspolitik und der Integration der Bevölkerung in die Finanzkreisläufe fest. Daraus zieht sie weitere Schlussfolgerungen: An den Finanzmärkten hat sich nach Bretton Woods das Verhältnis von Zeit und Geld verändert, es wurde eine radikale Temporalisierung der Securitization in Gang gesetzt, deren Profitmöglichkeiten eben auch in der Bewirtschaftung der Zeit liegen. Die Austeritätspolitik führt zum immer weiteren Ausbau der Schuldenökonomie, wodurch die Produktivität der Bevölkerung hinsichtlich der Generierung von Surplus via der Bewegungen und Ströme des Geldes gesteigert werden kann. Selbst die langfristigen Finanzierungsstrategien haben das »alltägliche Geld« in die Finanzkreisläufe integriert. Und die Aufnahme von Krediten wird auch für einkommensschwache Bevölkerungsanteile immer dringender notwendig, um überhaupt noch ökonomisch überleben zu können. Dies führt zu einer Restrukturierung der Klassenrelationen und des Sozialen insgesamt, bis hin zu der Einführung von neuen alltäglichen finanziellen Praktiken, die allesamt durch spekulative Mechanismen infiziert sind. Insbesondere die Reduzierung und Stagnation der Löhne treiben die Haushalte in die Schuldenökonomie hinein, in der sie gezwungen sind, auf ihre reduzierten Einkommen zu spekulieren.

Wenn Arbeiter und Angestellte wegen ihrer zu niedrigen Löhne (um ihre soziale Reproduktion zu sichern) Kredite aufnehmen müssen, dann handeln sie quasi ihre Löhne, um Zugang zu Geld zu bekommen, das etwas in Bewegung setzen kann, das heißt die Löhne beziehen sich auf Eigenschaften des Geldes, die noch nicht vorhanden sind, aber ungenutzte Potenziale frei setzen können. In der Tendenz kann nun selbst noch der Arbeiter ein kleines Investor-Subjekt werden, das vermittelt über Verbriefungen Zugänge zu Assets besitzt (bspw. über Versicherungen). Wie Derivate von den ihnen unterliegenden Basiswerten, so können Löhne bis zu einem gewissen Maß vom Wert der Arbeitskraft abgetrennt werden, um als Basis für Verschuldungsexzesse zu dienen. Um darauf eine Antwort zu geben, müsste eine neue linke spekulative Politik ins Auge gefasst werden, die sich auch um die Rechte und Bedingungen derjenigen Beschäftigten kümmert, die via Kredit Geld in Bewegung setzen müssen.

Wenn sowohl die Lohnarbeit als auch die Reproduktion des Lebens zunehmend prekär werden, dann besteht für viele Arbeiter und Angestellte die Gefahr, in subproletarische Bereiche der Reproduktion abzurutschen. Die tragende Rolle der Lohnarbeit, die in den produktiven industriellen Produktionsprozessen stattfindet, schwindet in den westlichen Kernländern zunehmend. Damit steigt der Anteil derjenigen, die ohne reguläre Lohnzahlungen im Kontext der Prekarisierung der Arbeit auskommen müssen. Für Adkins besitzen selbst ein Großteil der Löhne dieselbe Rationalität wie die neuen Formen der Finanzinstrumente. Die Stagnation und die Reduktion der Reallöhne sind ein kennzeichnender Faktor der Zeit des Postfordismus.

Im finanzialisierten Postfordismus sind die Löhne aber nicht ausschließlich durch ihre Stagnation, sondern auch, und dies eben in engen Grenzen, durch ihre Volatilität und weiterhin durch Unsicherheit gekennzeichnet. Der schleichende Abbau des Sozialstaates verschärft (Gesundheit, Pflege, Bildung, Wohnung etc.) die Krise der sozialen Reproduktion. All diese Faktoren haben im Zusammenspiel mit stagnierenden Reallöhnen die Lücke zwischen den real verfügbaren Einkommen und dem, was zum Leben benötigt wird, erweitert. Für unsichere Löhne sind heute die Nullstunden-Verträge beispielhaft, die keine spezifische Arbeitszeit und Lohnhöhe mehr ausweisen und eine permanente Bereitschaft zur Arbeit einfordern. Man denke des Weiteren an die vielen Formen von Verträgen, die außertariflich sind. Gleichzeitig hat sich der Schuldenservice der Haushalte erhöht: Hypotheken, Kredite und Studentendarlehen haben die Form besicherter Kredite angenommen, die durch spezifische Finanzinstrumente in Derivate(CDOs) transformiert und an den Finanzmärkten gehandelt werden. Damit wird die Produktivität der vertraglich geregelten Schulden für den Prozess der Akkumulation zentral. Zudem dient die Kreation des verschuldeten Konsumenten als »Lösung« für stagnierende Löhne und hat das Lohnarbeitsverhältnis selbst verändert. Dabei kommt es zur kontinuierlichen Messung der Verschuldung und ihr Anstieg wird durch die steigende Einkommen-Schulden-Relationen auch empirisch bestätigt, wobei das Augenmerk stärker auf die steigenden Schulden als auf die Entwicklung der Löhne gelegt wird. Unter den Bedingungen der expandierenden Verschuldung werden die Arbeiter also nicht nur durch das Lohnarbeitsverhältnis ausgebeutet, sondern auch durch ihre Anbindung an die Banken und andere Finanzinstitutionen via Kreditierung an die Surplusproduktion des finanziellen Kapitals gebunden.

Die Umstrukturierung des Steuerstaats hin zum Schuldenstaat hat zwei Konsequenzen: Einerseits sind institutionelle Investoren (Pensionsfonds, Versicherungen und Hedgefonds) immer auch darauf bedacht, in ihren Portfolios sichere Finanzanlagen wie Staatsanleihen zu halten, zum anderen ermöglichen die dadurch in die Staatskassen gespülten Gelder den Regierungen bestimmte staatliche Serviceleistungen aufrechtzuerhalten, obgleich die Bürger schon in den 190er Jahren gewarnt wurden, dass der Sozialstaat so nicht mehr aufrechtzuerhalten sei und transformiert werden müsse. Die Kombination einer wachsenden Kreditierung des Staates bei gleichzeitiger Senkung der Steuern führte in dieser Zeit schon schnell zu wachsenden Defiziten in den Staatshaushalten, was wiederum die Kreditgeber beunruhigte. Den Regierungen blieb damit keine Wahl, einen immer größeren Anteil ihrer Budgets für die Zurückzahlung von Schulden zu verwenden, womit die sozialen Serviceleistungen weiter eingeschränkt werden mussten. Da die wachsenden Defizite auch die Zinsraten auf Staatsanleihen ansteigen ließen, musste ein zusätzlicher Weg gefunden werden, um diesen Prozess zumindest zu verlangsamen. Dieser bestand darin, den privaten Haushalten nahezulegen, den Staaten in der Politik der Verschuldung zu folgen und immer größere Teile der Reproduktionskosten durch die Aufnahme von Krediten zu finanzieren. Die Bürger sollten sich also so weit wie möglich selbst verschulden. Die Bedingungen für die private Kreditaufnahme zu erleichtern, war damit zum einem Mittel geworden, um die Steuern niedrig zu halten, den Lebensstandard der Bürger abzusichern und den Weg in die Verschuldung der privaten Haushalte weiter zu öffnen.

Selbst die Finanzkrise veränderte diese Politik der Staaten nicht wesentlich. Zusätzlich wurde durch ein massives Deficit Spending des Staates das Bankensystem gerettet und die Kosten wurden auf die Bevölkerungen abgeschoben, indem die Austeritätsmaßnahmen verstärkt und gleichzeitig die private Verschuldung nach wie vor gefördert wurde. Während die Emission von Staatsanleihen die sinkenden Steuereinnahmen kompensieren sollte, dienten die Konsumentenkredite dazu, das Wachstum des staatlichen Defizits zu limitieren. Wolfgang Streeck spricht an dieser Stelle von der Transformation des Schuldenstaats in den Konsolidierungsstaat, wobei die Konsolidierung bisher aber kaum gelingt, sodass zukünftige Generationen nicht ohne weiteres von den Systemen der Verschuldung befreit werden können. Die Bailouts der großen Banken hat das noch einmal eindrücklich bestätigt. Nach der Politik des »too big to fail« wird weiterhin intensiv nach privaten Investoren gesucht und dies führt zu drei Tendenzen: Senkung der Kapital- und Unternehmenssteuern, Schleifung der sozialen Programme und öffentlichen Dienstleistungen und eine weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärkte.

Aus Steuerzahlen wurden Kreditgeber für systemisch insolvente Gläubiger. Die die Bevölkerung treffenden Austeritätsmaßnahmen machten diese dann endgültig zum lender of last resort. Die Finanzinstitutionen gingen aber gleich in die Offensive und streuten ihre Furcht vor den schlechten Bedingungen der Accounts ihrer Retter in deren Ressorts hinein. Und da dies auch die Staaten betraf, hatten die Regierungen nichts besseres zu tun als, die Ressourcen für soziale Programme und Dienstleistungen dramatisch zu reduzieren. Indem nun die Regierungen die fiskalische Konsolidierung zu ihrer Hauptaufgabe machten, um das Vertrauen an der Finanzmärkte sicherzustellen, verlagerten sie eben nicht nur den Transfer von Geldern zur Rettung des Finanzsystems, sondern machten die Steuerzahler zu einem dritten Player, der auf alle Ewigkeit die Refinanzierung des Bankensystems im Krisenfall übernehmen soll. Für die Steuerzahler selbst hieß dies auf Grundlage der Kürzung der Sozialleistungen weitere Kredite aufzunehmen, und zwar genau bei denjenigen, die gerade von ihnen gerettet wurden. Nach der Krise gingen man also sehr schnell zu den »normalen« Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern zurück.

1Oft geht es um Bullshit-Jobs , die Graeber eher von der subjektiven Seite fasst, weil die Jobs von den Beschäftigten hauptsächlich als entfremdet und nutzlos wahrgenommen werden. »Eine erfolgreiche Revolution würde heute mehr Betriebe abschaffen als unter ›Arbeiterkontrolle‹ stellen.« (Loren Goldner

2 In den deindustrialisierten Kernzonen des Kapitals ist die industrielle Arbeitskraft zu einer Mangelware geworden. Die industrielle Arbeit wurde und wird bekanntlich vielfach durch Automation und informationelle Dienstleistung ersetzt, wobei letztere, wenn sie auch automatisiert wird, wieder verschwindet. Empirisch ablesen lässt sich dies daran, dass seit den 1980er-Jahren der stoffliche Produktionsausstoß – also die Masse an produzierten Waren – weltweit um ein Vielfaches gesteigert Gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitskräfte in den Kernsektoren der Weltmarktproduktion deutlich zurückgegangen ist. Daran änderte auch die Erschließung neuer Produktionssektoren für den Massenkonsum nichts, denn diese werden von vorneherein nach den Vorgaben der Prozessautomatisierung organisiert. In der Konsequenz wird die Welt in einer rasant wachsenden Flut an Waren ertränkt – mit der Folge einer beschleunigten Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen – Waren, die aber eine immer geringere Masse an Wert repräsentieren, weil sie mit immer weniger Arbeitskraft produziert werden können.

3 An den Universitäten ausgebildete Lohnabhängige, die über keine Produktionsmittel verfügen, bilden die privilegierte Lohnarbeitsklasse, die im Zuge der Digitalisierung noch anwachsen wird. Eine zweite Gruppe bilden Arbeiter und Angestellte mit mittlerer Qualifikation in überwiegend ausführenden Arbeitstätigkeiten. Diese Gurppe verteidigt defensiv das ihr verbliebene Sozialeigentum gegen die »da oben«, aber auch gegen Konkurrenz aus dem prekären Sektor. Am Ende der Hierarchie steht eine neue Unterklasse, die kaum die Mittel hat, ihre ökonomische Lage kollektiv zu verändern. Es handelt es sich um prekär und informell Beschäftigte, Langzeiterwerbslose, Migranten und Flüchtlinge, Obdachlose und total Ausgeschlossene. Sie leben entweder von Hartz4 und werden auf den Überlebenshabitus eingeschworenen oder sie leben ganz auf der Straße. Diese Gruppe bildet 15 Prozent der Bevölkerung. Sie ist nicht mit dem auf unsichere Beschäftigung angewiesenen Prekariat identisch. Das Prekariat wiederum rekrutiert sich aus den verschiedenen Klassenfraktionen und durchzieht diese auch,, bildt aber auch eine eigene Gruppe .

4 Eine voll automatisierte Gesellschaft, in der die Beschäftigung nicht mehr existiert und die Löhne nicht mehr Quelle der Kaufkraft sind, womit der Produzent/Konsument verschwindet, erfordert einen neuen Prozess der Redistribution, der jedoch nicht lediglich die effektive Nachfrage, sondern auch die Zeit betrifft, sodass der neue Formen des Wissens vom Sozialen geschaffen werden können. Die Produktion des Wissen benötigt Zeit, die Zeit des Schlafs und des Traums sowie die Tageszeit, um in und mit ihr zu agieren, zu reflektieren und die guten und schlechten Träume und Tagträume zu ordnen, um sie daraufhin zu materialisieren und zu übersteigen und um zu kämpfen. Wir müssen die Zeit befreien, um wieder zu entscheiden, indem wir uns selbst in neue Zyklen der Transindividuation einbringen, die durch Träume geformt werden, und indem wir ihren Bifurkationen folgen, welche die Automation de-automatisieren. In einer Ökonomie, in der die Beschäftigung dramatisch zurückgeht (Zizek spricht davon, dass heute schon 80% der Weltbevölkerung für das Kapital nutzlos sind) und der »wesentliche Wert« das Wissen ist, muss man über das Recht zu wissen und das Gesetz des Wissens nachdenken, und zwar als Funktion der Konzeption jeder produktiven Funktion, die der Macht der De-Automatisierung sui generis innewohnt. Dies führt zur Frage nach der Beziehung von Gesetz und Arbeit, wobei das Problem der Arbeit als Frage nach der Interpretation neu gestellt werden muss, weil es ansonsten der Unterschied zwischen Fakt und Gesetz verschwindet.

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