Die Nacht der Unruhen bei der Raffinerie von Donges

Wir haben die Erfahrung der Gemeinschaft gemacht. Und ich werde mich bemühen, die mir zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um darüber zu berichten. Das ist eine Notwendigkeit. Wir sind nicht alle von der “historischen Zeit” abgeschnitten, wir erleben nicht alle die Ereignisse durch das Prisma eines Narrativs, das uns von einem wirklich gelebten Leben fernhalten würde. Was hier geschrieben wird, ist nicht von dem abgespalten, was direkt erlebt wurde. Die individuelle Geschichte ist manchmal das Spiegelbild einer gemeinsamen Geschichte, für die die Worte fehlen, damit sie weitergegeben werden kann und die Zeit so wieder zu unserer wird.

Dieses Wir ist das Wir einer kleinen, informellen, aber sehr konkreten Gruppe. Wir sind weder Arbeiter noch Gewerkschaftsmitglieder, wir gehören keiner Zunft an, wir sind keine Raffineriearbeiter, keine Seeleute, keine Hafenarbeiter, wir wohnen in Saint-Nazaire und Umgebung oder waren zu diesem Zeitpunkt dort. Wir erhielten am 21. März 2023 spät in der Nacht ein Signal, das uns dazu aufforderte, uns einem strategischen Streikposten an der Raffinerie in Donges anzuschließen. Es ging darum, die Anlandung eines mit Öl beladenen Frachters zu verhindern – eine Streikgeste, die eine Logik der Blockade der Warenwirtschaft verfolgte, gegen eine Reform, die niemand wollte und immer noch niemand will. Wir waren darüber informiert worden, dass es möglicherweise Polizeipräsenz geben würde, aber niemand schien mehr zu wissen, weder wie noch wann dieser hypothetische Polizeieinsatz stattfinden würde. Wir machen uns auf den Weg, ohne eine Ahnung davon zu haben, was stattfindet. Wir überqueren Straßen, auf denen noch haufenweise Glut glimmt, um in die eisige, industriell geprägte Kälte der Gegebenheiten zu gelangen, die sehr schnell von einer riesigen, einladenden Feuerstelle erwärmt wird.

Wir teilten diese Nacht des Aufruhrs inmitten der dystopischen Industrielandschaft; erst gegen ein Uhr nachts wurde uns mitgeteilt, dass etwa zweihundert mobile Gendarmen in Begleitung der PSIG ( Pelotons de Surveillance et d’Intervention de la Gendarmerie, d.Ü.) ankommen und dass sie gut ausgerüstet scheinen, um diesen Streik und die Leiber, die ihn tragen, also etwa zweihundert Menschen, zu brechen. Der Schauplatz der verwüsteten Szenerie eines Landes, dessen demokratisches Gesetzesarsenal nunmehr im Dienste der autoritären Sackgasse steht. Es schwelt seit fast zwanzig Jahren, und es genügt ein etwas sensibler, aufmerksamer und kluger Blick, um nicht allzu erstaunt über die Wendung zu sein, die die genannten Ereignisse nehmen. Aber kommen wir auf die Ereignisse zurück.

Hier suchten unsere Blicke einander in der Dunkelheit, in der Nacht erkannten wir uns mit ausgestreckten Händen, im Angesicht des Feuers, aufrecht, entschlossen, gegen Waffen und Schilde. Die Hand zu erheben bedeutete, zu wählen, zu sagen, dass wir unsere Position halten, es bedeutete, gegen sie anzugehen, sich ihnen zu stellen, ein Pakt der fast aufopferungsvollen Präsenz gegen diejenigen, die auf uns zukamen. Unsere Körper standen zusammen, wir hielten die Nacht durch, obwohl wir beschossen wurden und zurückweichen mussten. Kurz nach unserer Ankunft kam einer der Arbeiter und legte ein komplettes kleines Boot auf die brennende Barrikade, die die Straße blockierte. Uns gegenüber standen behelmte, seelenlose Wesen, die hier waren, um uns zu zerstören. Die Gräben, die Zäune, die Bolzen, die Reifen, die leeren Rümpfe der angezündeten, trunkenen Boote, die leeren Flaschen, die Wurfgeschosse. Auf diese Weise werden unsere Körper zu Schilden, unsere Körper zu Werkzeugen. Die Undurchsichtigkeit der Tränengaswolken, durch die angeblich nicht tödliche Kugeln dringen. Die Gruben, die schwarzen Grasflächen, die Anlegestelle, das Methan-Terminal, das Warten, das hier alles andere als ein Style ist, das Ausharren, die Kälte, die Nacht. Die Sprengladungen, unsere Konterladungen, unsere Schreie. Die dünne Stimme des Unterpräfekten hinter seinem Megaphon, der seine Parolen und Aufforderungen ausspuckt, gegen unsere Signalraketen, unsere herausgebrochenen Stöcke, die Verwirrung unseres Zorns, der sich bald in Hass verwandeln wird, durch das Nichts einer hohlen, bewaffneten Regierung, die bereit ist, uns zu das Schlechteste anzutun.

Wir verteilten uns auf den Gleisen, die für sie noch immer der Schauplatz ihrer Operationen waren, der Ort ihrer Manöver, der aber nach wie vor auch unser Treffpunkt und der Spielplatz der Kinder der Raffineriearbeiter war. Unter der Kuppel von Tränengas und Offensivgranatengranaten funktionierte ihre Panikfabrik. Viele – feige, könnte man meinen – stiegen in ihre Autos, um inmitten des Gedränges schnell zu fliehen. Wir waren nur noch verängstigtes Wild, das in geringer Zahl ein wenig Verteidigung im Rückzug suchte. Der Weg schien immer schmaler zu werden, die Sackgasse zeichnete sich ab. Wir schoben große Gitter auf der Straße zusammen, um das Vorrücken der Ordnungskräfte zu verlangsamen, und kümmerten uns gleichzeitig um die anwesenden Leiber, um Dramen zu vermeiden. Wir wurden bis an die Ränder des Schauplatzes ihres Krieges zurückgedrängt. Der Tanker bewegte sich zugleich vorwärts, während wir uns zurückzogen, immer noch unter Gasbeschuß. Der Regen würde bald einsetzen. Einige eifrige Polizisten versteckten sich noch im Schilf und zielten auf uns. Für sie war es ein bisschen wie in Vietnam, hörte man später. Wir waren keine Arbeiter, aber wir waren da. Mehr oder weniger schmächtig, mehr oder weniger gewichtig, mehr oder weniger vorbereitet. Wir wurden zurückgedrängt, aber keiner von uns fiel. Und während mehrerer chaotischer Stunden machten wir aus der Erfahrung der Gemeinschaft die Skizze einer Freundschaft. Eine Gemeinschaft der Situation, des Ortes und der Zeit. Dieser Ort war zur Gemeinsamkeit geworden, zur Gemeinsamkeit der Stadtzentren unter Polizeibesatzung, zur Gemeinsamkeit der Vorplätze der Wohnsiedlungen, zur Gemeinsamkeit aller Arten von bewohnten Hainen, deren Kolonialisierung sich der Staat zur Aufgabe gemacht hat. Dann brachen wir auf und gingen, ich ging im Regen ohne Licht mit ihnen, diesen Freunden, wir suchten auf den Straßen in der Mitte von Nirgendwo nach jemandem, der uns an einen sicheren Ort zurückbringen könnte. Ein sicherer Ort, den wir wenige Minuten vor dem Tau erreichten, an dem es unmöglich sein würde, bis zum Morgengrauen auszuruhen, so viele Explosionen im Körper, so viel Schmerz im Hals, so viel Geschmack nach Pfeffer und Zyanid und eine brennende Zunge, während das Herz schneller schlug als der Lärm der Stiefel und der Mehrzweckwerfer. Wir haben nichts verpasst, außer vielleicht den Mut derjenigen, die über jene materielle Stärke verfügen, die die einzige Möglichkeit gewesen wäre, unsere Positionen und diesen strategischen Blockadepunkt standhaft zu halten.

Knapp zwei Stunden, um den Geist zu beruhigen oder wenigstens fast. Dann kommt die Zeit des Aufwachens für meine Kinder, und in Kürze wird der Schulweg wieder im Regen stattfinden, ein großes Kind vorneweg, das kleinste in meinen Armen. Und kein einziger Mensch, der sich bewusst war, was für ein Irrsinn diese kurze Nacht gewesen war.

Verstehen und hören Sie, wie sehr das Schreiben keine Metaphern und Formeln sein darf, nicht sein kann. Man schreibt nicht, man zeichnet nicht, und sei es auch nur die Umrisse einer Lebensform, sehr brav, geduldig, fromm, hinter oder vor den Schnittstellen eines Bildschirms, eines Bildes. Man webt kein Kostüm, keine Legitimität, vom kalten und makabren Fenster einer mörderischen Schicht von Flüssigkristallen aus. Manchmal lässt man die Zeit verstreichen; es ist unmöglich zu schreiben, wenn Körper und Geist ganz vom facettenreichen Glühen einer Situation der Revolte eingenommen sind, die in den Zeiten, die wir durchleben, andauert und sich ausbreitet. Es ist schwierig, Ruhe zu finden, das, was man sich frei wünscht, zu fixieren, mit Worten das zu beenden, was dennoch weitergeht. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen. In Worte fassen und behaupten, dass wir von nun an alle Erfahrungen der Gemeinschaft provozieren müssen. Wir müssen diese seltenen und intensiven Zeiträume schaffen, um unsere Entschlossenheit zu festigen, um Poesie zu verwirklichen, um unsere Taktiken zu verfeinern und unsere nächsten Ausbrüche vorzubereiten. Alle Mittel und Formen der Störung zu konspirieren. Und der Aufstand dauert an, ist nur ausgesetzt, ist eine einmal geöffnete Tür, die nie wieder geschlossen wird. Die uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Zeit nicht verstreichen zu lassen, wie die guten Leben, die uns vorenthalten werden.

Eine x-beliebige Präsenz, ein aufständischer Kanal.

Auf die Nacht des 21. März 2023, Donges, Montoir-de-Bretagne.

P.S. Heute Nacht haben die CRS und die PSIG in Donges zwischen 2 Uhr und 5 Uhr drei Stunden lang ihre schmutzige Arbeit getan, es war ein Tränengasregen, der auf die Streikenden niederging, durch den Rauch geworfene Offensivgranaten ohne jede Sicht auf das Ziel, Gummigeschoss-Salven im gleichen undurchsichtigen Raum. Es war ein bewaffneter Angriff auf das Streikrecht und die Streikenden, der durchgeführt wurde. 200 der Gendarmerie Mobiles und die PSIG, um eine würdige Bewegung zu zerschlagen, bestätigen, dass die Regierung ohne ihre Waffen nichts mehr ist, das ist nun eine Tatsache, und sie macht keinen Hehl mehr daraus. Am Morgen erfahren wir, dass es Verletzte gegeben hat. Gegen fünf Uhr und um sicherzugehen, dass sie – wenn auch nur für kurze Zeit – ihre Kontrolle über die Raffinerie behalten, lässt der Staat die Straßen mit Sperrgittern absperren. Wir nehmen das zur Kenntnis. Ich möchte hinzufügen, dass die Sprengladungen blindlings brutal angewandt wurden, bis zum Gehtnichtmehr entlang des Kais, an dem der Tanker ankam, bis hin zu den Straßen, auf denen Autos losbrausten, um den Schüssen zu entkommen; es war die Wendigkeit aller, die ein Drama verhindern konnte und nichts anderes. All dies geschah auf Befehl des Präfekten, in Anwesenheit des Generalstabs der Gendarmerie und des Unterpräfekten von Saint-Nazaire, der mit seiner kleinen Megaphonstimme die Anklage erhob. Es war bedauerlich. Sie sind verloren, sie sind alle endgültig verloren. Zu guter Letzt.

Erschienen im französischen Original am 22. Mai 2023 auf Entêtement, ins Deutsche übersetzt von Bonustracks.

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