Thomas Nails “Theory of the OBject” (1)

Einleitung

Das neue Buch von Thomas Nail „Theory of the Object“ bringt zum einen mehr Klarheit in der Frage des Verhältnisses zwischen kontinuierlichem Materiestrom, wie er ihn seinem Buch “Being and Motion” konzipiert, und diskreten Objekten/Partikeln, andererseits wirft Nail auch wichtige Fragen hinsichtlich des Status der Quantentheorie auf. Ich werde das Buch vor allem auch in Relation zu den Quantentheorien von Rovelli, Görnitz, Barad und Laruelle besprechen.

Die Indeterminiertheit der Quanten-Fluktuation zeigt, dass es keine statischen Essenzen, Formen oder Substanzen in der Natur gibt. Ähnlich wie Karen Barad spricht Nail von einer beobachterabhängigen Wissenschaft, die die verborgenen Prozesse, die bei der Kreation von Objekten im Spiel sind, sichtbar macht. Für Barad sind materielle Phänomene nicht nur das Ergebnis von Laborübungen, sondern sie werden durch komplexe Intraktionen mehrerer materiell-diskursiver Praktiken erzeugt, das heißt komplexe agentielle Intraaktionen einer Vielzahl von materiell-diskursiven Apparaten der körperlichen Produktion, wobei Apparate nicht nur Beobachtungsinstrumente sind, sondern grenzziehende Praktiken bzw. spezielle materielle (Re)konfigurationen der Welt, die zur Materie werden.

Für Nails historische Ontologie sind alle Arten von Objekten, seien es lebendige oder anorganische, metastabile Formationen der Materie in Bewegung, und zwar im Gegensatz zur westlichen Wissenschaft und zur Mathematik, die dazu tendieren, Objekte als diskret und stabil zu konzipieren.

Die statiachen Theorien stellen sich entweder als Theorien des Objektivismus oder des Konstruktivismus vor. Im Objektivismus wird ein stabiles, statisches und in sich geschlossenes Objekt vorgestellt, das vor jeder Entdeckung durch den Menschen existiert. In einer extremen Form nimmt diese Theorie an, dass die Natur aus geometrischen und nicht veränderbaren mathematischen Formen besteht, die sich auch dann nicht verändern, wenn der Mensch sie entdeckt.

Der Konstuktivismus wiederum stellt das Objekt als das fixierte mentale Stadium eines Beobachters dar. Was immer das Objekt auch sein mag, wir haben zu ihm nur Zugang durch unsere Denken, Sprache und Aktionen.

Sowohl die Realisten als auch die Konstruktivisten nehmen an, dass das wissenschaftliche Wissen in all seinen repräsentationalen Formen als Konzepte, Bilder etc. unseren Zugang zur materiellen Welt bestimmt. Sie unterscheiden sich nur in der Frage des Referenten, darin, ob das Wissen die Dinge in der Welt repräsentiert, wie sich wirklich sind, oder ob die Objekte das Produkt sozialer Konstruktionen sind; beide Gruppen verbleiben im Modus der Repräsentation.

Derzeit gibt es zwei Alternativen zu den eher statischen Theorien des Subjekts oder dwa Objekts, nämlich die Unterscheidung zwischen Relationen und Objekten.

Die erste Theorie ist die der relationalen Ontologie, für die das Objekt nichts weiter als das Set seiner Relationen zu anderen Objekten ist. Nail erwähnt hier vor allem die Actor-Network Theorie von Bruno Latour, für die die Relation primär ist und die Objekte als Noden von prä-existierenden Netzwerken emergieren. Nail hätte aber auch den Quantenphysiker Carlo Rovelli erwähnen können, für den die Eigenschaften der Objekte nichts weiter als die Wechselwirkungen mit anderen Objekten sind. Rovelli spricht hier im Anklang an den Buddhisten Nagaryuna von einer leeren Struktur, deren Leere wiederum leer ist – sie hat nichts Substanzielles an sich, sondern zeichnet sich durch eine Fülle von Relationen aus. Die Objekte besitzen keine autonome Realität, vielmehr existieren sie nur dank, abhängig und aus der Sicht anderer Objekte, mit denen sie wechselwirken. Relationale Strukturen gehen weder den Objekten voraus noch gehen sie ihnen nicht voraus, weder beides noch weder das eine oder das andere, so Nagaryuna. Für ihn muss man autonome Substanzen oder Objekte vergessen.

Eine weitere Richtung stellt der neue vitalistische Materialismus dar, der die Relationen als vitale und virtuelle Kräfte zeigt, die Veränderungen in den Relationen ermöglichen, ohne das es zu materiellen Veränderungen in den Objekten kommt.

Dem steht die objektorientierte Ontologie gegenüber, die zwar auch davon ausgeht, dass Objekte sich in sich verändernden Relationen von Netzwerken verbinden, aber hier können die Objekte nicht auf ihre Relationen reduziert werden, vielmehr sind sie diskrete und stabile Dinge-in-sich-selbst mit definitiven Grenzen. Bei Harman ist jedes Ding abgeschlossen und vakuum-verpackt. Es gibt eine verborgene Reserve in den Objekten, die dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt zu Verbindungen kommt.

Nails kinetische Theorie des Objekts geht hingegen davon aus, dass es sich bei Objekten um metastabile Formationen handelt. Während kleine Bewegungen es erlauben, dass Objekte einigermaßen stabil bleiben, können große Bewegungen zu dramatischen Veränderungen oder Turbulenzen der Objekte führen. Es gilt die Vorstellung zu überwinden, dass es sich bei den Objekten um passive Entitäten handeln könnte, wobei die Relationen, Agenten und ihre Historie ignoriert werden, womit die Objekte eben nicht zu Verbindungen fähig sind. Ebenso gilt es abzuweisen, dass sie rein von menschlichen Eingriffen abhängen, weil sie dann sie nicht zur Emergenz und Veränderung fähig wären. Während die relationalen Theorien das Objekt durch ihre Präexistenz vollkommen determinieren, sodass es keine Bewegung der Objekte selbst gibt, macht die OOO die Essenz der Objekte zur Quelle der Veränderung und ist damit als eine Theorie der Immobilität und der statischen Transformation zu verstehen. Nails Theorie des kinetischen Materialismus startet hingegen mit der historischen These, dass alles in Bewegung ist: Materie oder Energie sind auf der kleinsten Ebene eine indeterminierte Fluktuation, die keinesfalls als Partikel, Objekt oder Substanz zu verstehen ist.  Bewegung und Relation sind nicht-determiniert. Bei einer Messung an einem unbekannten Atom zum Beispiel kann man vor der Messung höchstens Wahrscheinlichkeiten dafür angeben, welchen Wert man mit welcher Wahrscheinlichkeit finden kann. Dies bezeichnet man als die „quantentheoretische Unbestimmtheit“: Das Ergebnis der Messung ist jetzt noch nicht festgelegt. (Siehe Görnitz)

Mit Karen Barad geht Nail davon aus, dass Objekte innerhalb fluktuierender Felder existieren, insofern sie selbst metastabile Felder sind. Energie und Materie sind keine Substanzen und besitzen keine fixen Eigenschaften. Nail beginnt mit der historischen Entdeckung, dass es einen Quantum flux gibt und sich daraus eine Theorie der metastabilen Objekte entwickeln lässt. Das Objekt selbst ist ein kinetischer Prozess, es wird in die Bewegung geworfen und entsteht, wenn es sich in sich selbst loopt. Es ist die Falte eines  kontinuierlichen Prozesses, in/dem es sich immer wieder in sich selbst loopt.

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