Zwischen Bonapartismus und Digitalindustrie

Am 5. Januar wurde schmerzlich klar, dass es keine politische Organisation gibt, die abgehängte Weiße und Black Lives Matter-Aktivist*innen in einer Aktion vereinen kann.

Am 20. Januar konnte man weder Fernseher noch Radio einschalten, so penetrant schalten die Floskeln aus den Machtzentralen der USA und EU. In Brüssel und Washington freute man sich, dass mit Biden/Harris die USA endlich wieder zur kapitalistischen Normalität zurückkehren. Vergessen sein sollen die 4 Jahre eines bonapartistischen Präsidenten, der sich nicht, wie es im Normalbetrieb des Kapitalismus üblich, als ideeller Gesamtkapitalist gerierte. Trump spielte, wie Wolfgang Michal im Freitag 2/2021 gut analysierte, die Geschichte von Louis Napoleon als Farce nach. Der Riot am 5. Januar war dann der letzte Akt, dann fiel der Vorhang. Denn der Trumpismus hat weder Pläne noch Visionen, nicht einmal faschistische. Das wurde spätestens dann deutlich, als die Rioter*innen mit großen Augen durch das Kapitol tapsten, sich mal auf einen der Sessel der Politikdarsteller*innen niederließen. Das erinnerte an Berichte über die Besetzungen der Zwingburgen der Macht, beispielsweise 1789 in Frankreich, 1917 in Russland, 1918 in Deutschland. Auch die damaligen Besetzer*innen müssten nach dem Urteil der heutigen Linken verurteilt werden. So spielte bei der Französischen Revolution die sogenannte Schwarze Furcht gegen herumreisende Banden eine nicht unwichtige Rolle. Doch damals gab es Organisationen, die diese Besetzungen als Teile einer emanzipatorischen Erzählung verstanden und so einen geschichtsmächtigen Mythos formulierten. Das war nicht der einzige Unterschied zum Riot am Kapitol. Auch Smartphones gab es damals nicht, so dass die Besetzer*innen damals nicht so blöd waren, den Repressionsorganen noch selber die Beweise zu liefern. Darin zeigt sich auch die Naivität der Rioter*innen. Schon hat die große Repressionswelle begonnen, das beginnt bei Ausschlüssen von US-Inlandsfliegen bis zu Terroranklagen. Unter den Applaus fast aller Linker wollen die repressiven Staatsorgane Rache üben, weil es Menschen, die dort nicht hingehörten, gewagt haben, in die Zwingburgen der Macht einzudringen. Sie hatten keine emanzipatorischen Ziele, sie wollten nicht die Macht abschaffen, sondern im Sinne des Bonapartismus, ihrem Idol Trump zu einer längeren Macht verhelfen. Sie haben nicht verstanden, dass die führenden Kapitalfraktionen schon längst den Daumen gesenkt haben. Obwohl die Trump-Administration durchaus Politik in deren Interesse machten und die Steuern für die Reichen massiv senkte, wollten auch sie zurück zur kapitalistischen Normalität. Eine Figur wie Biden, der in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit in der US-Politik bei allen Schweinereien dabei war, ist da aus der Sicht des ideellen Gesamtkapitalisten der geeignete Kandidat. Was ist eigentlich aus der Anklage eines ehemailgen ukrainischen Staatsanwalts geworden, der Biden einen Mordversuch vorwirft? Beim Bonapartisten Trump hätte das die Empörungskanäle gesteigert, beim ideellen Gesamtkapitalisten Biden wird darüber geschwiegen.

Scheindebatten über Wahlbetrug

Das hatten Trump und seine Claqueur*innen genau sowenig begriffen, wie ein Großteil der Linken, die sich in den Kampf zwischen zwei Kapitalfraktionen auf eine Seite positionierten. Beide Seiten inszenierten den Zirkus um den angeblichen Wahlbetrug, der auch auf beiden Seiten mit Heuchelei geführt wurde. Dazu gehören die Fakenews des Trumlagers über den Betrug, wie die auch in linken Kreisen so mit Verve verteidigte Überzeugung, dass es keinen Wahlbetrug gegeben habe. Dabei müsste eine Linke nur konstatieren,, dass es einen Riss im herrschenden Block gegeben hat. Das beste Zeichen für einen solchen Riss ist die Tatasche, dass die Legitimität der Wahlen bestritten wird, und der Verlierer seine Niederlage nicht anerkennt. Das ist ein Symptom für die Krise des Spätkapitalismus in den USA. Eigentlich müsste das ein erfreuliches Zeichen für eine Linke sein, die den Anspruch hat, endlich den Kapitalismus Geschichte werden zu lassen. “Make Capitalism History” lautete eine Parole vor bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Heilgendamm 2007. Doch die letzten Wochen in den USA zeigten, dass ein Großteil der Linken diese tiefe Krise des Kapitalismus und seiner Institutionen als große Gefahr sieht und sich sogar nicht entblödete, angesichts der Riots um das Kapitol von einen Angriff auf das Herz der Demokratie zu reden. Sie haben alles vergessen, was eine staatsantagonistische Linke in den letzten 100 Jahren wußte. Das Kapitol ist, wie alle Institution der bürgerlichen Welt, ein Zentrum der kapitalistischen Macht. Hier werden die Kriege gegen die Armen in den USA ebenso beschlossen, wie die Kriege in der Welt. Deswegen war auch bei den herrschenden Eliten in aller Welt der Schockmoment so groß, als am 5. Janaur die Bilder vom bonapartistischen Riot um die Welt gingen. Es war klar, dass emanzipatorische Kräfte dabei nichts verloren haben, wenn Rechte und Rassisten an vorderster Front dabei sind. Doch die Häme und der Hass auf die „Hinterwälder“ im Kapitol war entlarvend. Es ist die Fortsetzung des Geredes vom White Trash, der schon lange in liberalen Kreisen in aller Welt gegen Teile der weißen abgehängten Arbeiter*innenklasse verbreitet ist. In Großbritannien wurde er gegen Brexit-Befürworter*innen, in Frankreich gegen die Bewegung der Gelbwesten in Stellung gebracht. Damit aber wird die verhängnisvolle Spaltung der ausgebeuteten Klassen nur vertieft. Am 5. Januar wurde schmerzlich klar, dass es keine politische Organisation gibt, der es gelingt, die afroamerikanischen Massen, die im Sommer unter der Parole „Black Lives Matter“ auf die Straße gegangen sind und die abgehängten Weißen in einer praktischen Aktion zu vereinen. Eine solche Bewegung hätte den Machtapparat gefährlich werden kennen.

Eine Organisation, die die Unterdrückten und Ausgebeuteten verbündet, fehlt

Deswegen setzt er auch die Vertiefung der Spaltung der Unterdrückten und Ausgebeuteten, der auch auf unterschiedliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen basiert, die nicht einfach voluntaristisch wegdiskutiert werden können. Die Spaltung hat zudem eine jahrzehntelange Geschichte, so dass die Erinnerung verblasst sind, an eine Zeit, als die Basisgewerkschaft IWW, auch Wooblies genannt, Ausgebeutete, unterschiedlicher Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse auf gemeinsame Zeile vereinigen konnte. In den späten 1920er Jahren gelang es der Kommunistischen Partei in den USA zeitweise, den antirassistischen Kampf der Black Americans mit den Kampf der Arbeiterklasse des Landes zu verbinden. In seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch „Riot.Strike.Rot“ hat der US-Soziologe Joshua Clover in einen kleinen Absatz an diese Zeit erinnert. Auch die Black Panther Party propagierte, nach dem sie sich von ethnonationationalistischen Geburtsfehlern emanzipiert hatte, den Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten. Deswegen geriet sie besonders ins Visier der Repressionsorgane, die sie schließlich zerschlugen. Das schuf erste den Boden für eine linksliberale Bewegung wie Black Lives Matters, die Diversität als Ziel hat. Doch genau gegen die Vorstellung, dass das multinationale Proletariat und die Surplusbevölkerung jetzt auch von noch mehr Polizist*innen und Richter*innen mit nichtweißer Hautfarbe (die gibt es ja schon längst) geschlagen und verurteilt werden, wandten sich in den 1960er Jahren die Black-Panther-Bewegung und Malcolm X, der sich in seinen letzten Monaten vor seiner Ermordung von seiner islamistisch-ethnonationalistischen Vorstellungen in Teilen abgewandt hat. Der ideologische Kampf gegen den Ethnonationalismus wäre die zentrale Aufgabe einer linken Organisation, die die Kämpfe der afroamerikanischen Massen und die der weißen Proletarier*innen gemeinsam auf die Tagesordnung setzt. Es geht daher auch nicht darum, Black Lives Matter-Aktivist*innen und der Bewegung nahestehende Künstler*innen wie Natasha Lennard, die im Freitag 2/2021 publiziert, zu kritisieren, dass sie ihre unmittelbaren Interessen in den Kämpfen ausdrücken und mit keinen Wort den Kapitalismus überhaut nur erwähnen. Doch es sollten auch den weißen Proletarier*innen nicht als White Trash stigmatisiert werden, weil sie nicht als linke Univeralist*innen auftreten, sondern ihre vermeintlichen Interessen artikulieren. Es wäre gerade die Aufgabe einer linken Organisation, diese disperaten Kämpfe zu vereinen. Das würde für das Weiße Proletariat bedeuten, den Kampf gegen den Rassismus und Chauvinismus in den eigenen Reihen zu führen. Für die afroamerikanischen Organisationen würde das die Auseinandersetzung mit den schwarzen Ethnonationalismus bedeuten. Es ist völlig legitim, wenn Black Lives Matter-Aktivist*innen unter dieser Parole gegen Polizeigewalt in ihren Communities mobilisieren. Doch für eine landesweite Kampagne, die auch andere Ausgebeutete und Unterdrückte ansprechen soll, müsste es “All Lives Matter” heißen. Denn damit wird ausgedrückt, dass jedes Leben, egal welche Hauptfarbe, Klasse und Geschlecht verteidigt werden gegen Staatsgewalt ebenso wie gegen die stumme Gewalt des Kapitalismus. Wer ein solches Bündnis zwischen unterschiedlich von Ausbeutung und Unterdrückung Betroffenen für unrealistisch hält, sie an die Geschichte der Russichen Revolution 1917 erinnert. Die Kluft zwischen der städtichen Bevölkerung beispielsweise im damaligen Petersburg und der Masse der russsischen Landbevölkerng war größer als die Kluft heute zwischen den Ausgebeuteten und Unterdrückten in den USA. Die russischen Bäuer*innen galten auch für große Teile der städtischen Linken als hinterwälderisch und barbarisch. Eine Strömung der städtischen Intellektuellen, die Narodniki, gingen darauf selber aufs Land und wollten an der Befreiung der Bäuer*innen teilnehmen, was meistens scheiterte. Die frühen Bolschewiki in ihrer revolutionären Phase orientierten auf einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter*innen in den Städten und der Masse der Landlosen. Das Bündnis dieser so disparaten Gruppen gelang für eine kurze Zeit und machte die Oktoberrevolution möglich. Das Bündnis wurde später vor allem durch die Bolschewiki gesprengt, als sie sich von einer revolutionären Kraft des Aufstands allmählich in eine Partei der Macht verwandelte, was bereits in den Jahren 1920-21 passierte und die Vorstufe zur Stalinisierung wurde. Es ist hier nicht der Raum auf diese komplexe Geschichte einzugehen. Doch das Beispiel zeigte, dass es historisch möglich war, so vollkommend unterschiedliche Gruppen von Unterdrückten in einem Kampfbündnis zusammenzubringen. Es gelang natürlich auch in jüngerer Zeit in realen Kämpfen, wie bei der Hafenbesetzung von Occupy Oakland oder bei der Besetzung des Landesparlaments von Wisconsin im Jahre 2011, einem Kampf von Menschen mit unterschiedlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen. Dieser Aktion war ein Generalstreik vorausgegangen.

Wie kamen die 5 Menschen beim Kapitol um?

Heute scheint es, als wären solche Aktionen Dekaden entfernt. Aber die Erinnerung daran, kann auch dazu führen, dass eine neue Generation von Linken diese Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten nicht als naturgegeben hinzunehmen bereit ist. Sie rufen nach dem Riot am Kapitol nicht nach mehr Staatsgewalt. Eine solche Bewegung muss sich wieder die Parole „Alle Menschenleben zählen“ auf die Fahne schreiben. Dann würde genau so nach den Umständen des Todes der 5 Menschen gefragt, die den bonapartistischen Riot am 5. Januar in Washington nicht überlebt haben, wie auch die Umstände von Black Americans oder anderer Minderheiten durch Polizeigewalt ständig thematisiert werden müssen. Ist es nicht auffallend, dass nur bei einer unbewaffneten Frau, die sich am Riot im Kapital beteiligt hat und von einen Wachmann aus nächster Nähe erschossen wurde, die Todesumstände bekannt sind? Auch hier fällt auf, dass es auch in linken Medien in Deutschland kaum kritische Nachfragen dazu gibt. Noch offensichtlicher ist das Schweigen zu den vier weiteren Toten. Da wird behauptet, sie wären an einen Herzinfarkt umgekommen. Es ist völlig klar, dass eine solche Erklärung bei einem Riot in einer afroamerikanischen Comunity zumindest von kritischeren Teilen der liberalen und linken Bevölkerung nicht akzeptiert würde. Es ist auch nicht einzusehen, warum nicht auch eine linke Bewegung Aufklärung verlangt, wie die Menschen am 5. Januar umgekommen sind, auch wenn man ihre Beweggründe verurteilt. Neben rassistischer Staatsgewalt gibt es auch die Repression, gegen Menschen, die den Zitadellen der Macht, dazu gehört das Kapitol, zu nahe kommen. Selbst dann, wenn sie es mit den falschen Motiven tun. Eine Linke, die von Todesumständen am 5. Januar nichts wissen will oder sich sogar darüber freut und mehr Staatsgewalt fordert, hat den Anspruch aufgegeben, dass es noch einmal eine Bewegung geben könnte, in der sich Menschen aus disparaten Zusammenhängen mit unterschiedlichen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen gegen den Staatsapparat vereinen. Wenn das nicht gelingt, bleiben sie Spielball unterschiedlicher Kapitalfraktionen. Die einen werden gefördert von der Digitalindustrie und der Demokratischen Parteien, die anderen laufen bonapartistischen Figuren a la Trump hinterher.

taken from here

Nach oben scrollen