Paul B. Preciado und das pharmapornographische Regime

Dieser Artikel beansprucht keine umfassende Darstellung (und Kritik) des gerade in deutscher Sprache erschienenen Buchs „Testo Junkie“ von Paul B. Preciado, sondern beschreibt lediglich die basic facts des sog. pharmapornographischen Regimes. Auf NON hat Alexander Galloway zu den Fragen des Widerstandspotenzials einer queeren Ontologie und Differenzphilosophie, in deren Umfeld sich auch Preciado bewegt, Stellung genommen. Gender bleibt für Galloway eine Idee, die auf einem naiven Universalismus basiert und ein imaginäres Zentrum besitzt. McKenzie Wark hat wiederum in seiner umfassenden Besprechung von “Testo Junkie” darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Text um etwas handele, das Lyotard „Libidinöse Ökonomie“ genannt habe, eine Ökonomie, die heute auf der digitalen und molekularen Ebene funktioniere, um Sex, Geschlecht und Subjektivität postindustriell zu produzieren. Dabei stehen Pharma- und Pornoindustrie innerhalb der postfordistischen Kapital-Ökonomie in Opposition zueinander wie sie auch zusammenarbeiten. Geschlecht und Sex mutieren laut Preciado zu Komponenten biopolitischer Regulationen und zu Produktionen des Technokapitalismus, der globalen Medien und des Internets. Einige Komponenten des sog. pharmapornokologischen Kapitalismus wollen wir hier zusammenfassen.

Die Zeit des kalten Krieges markiert laut Preciado eine intensive Phase der endokrinologischen Experimente, die in der Antibabypille als dem bis heute am meisten verwendeten Molekül in der menschlichen Geschichte münden, und dies darf als ein wichtiger Ausgangspunkt der postindustriellen Regulierung von Pornographie und Prostitution durch Staat und Ökonomie gelten. In den 1960er Jahren wurde die Pille von weißen amerikanischen Medizinern, deren eugenisches Interesse nicht zu unterschätzen war, bestimmten proletarischen Frauen in Puerto Rico verabreicht, um die Geburtenraten der rassifizierten Anderen zu kontrollieren. Die Geburtenrate fiel dann tatsächlich auch in rekordverdächtiger Zeit. Ein paar Jahre später war die Pille in den USA verfügbar und wurde als ein Instrument vermarktet, dass es Frauen ermöglichen sollte, ihre eigenen Körper zu kontrollieren, ja sogar zu befreien. Preciado sieht hier aber eher (mit Foucault) das biopolitische Versprechen einer Governance von freien Körpern realisiert. In der Pille sieht sie ein neues Paradigma der Subjektkonstitution der Frau, deren Körper durch die Einnahme biologisch rekonfiguriert und einem strikt zeitlich durchgeführten hormonellen Management unterstellt wird, eine spezifische Form des Körperdesigns, das wiederum sexuelle und kosmetische Aktivitäten der Frauen programmiert. Die Pille fungiert als ein Kontrollinstrument zur Regulierung der Bevölkerung als auch zur Normalisierung der weiblichen Sexualität.

In die Zeit des kalten Krieges fällt auch die Erfindung des Begriffs „Cyborg“, der im Kontext von Weltraumprogrammen einen technisch ausgerüsteten Organismus beschreibt, der in einem Milieu außerhalb der Erde als ein gleichgewichtiges homöostatisches System überleben kann. In dieser Zeit wurde die Entwicklung des Kunststoffs und des Plastiks (Polymerisation von Kohlenstoffketten) vorangetrieben, was zu einer neuen ökologischen Transformation der Erde mit einem bis heute ansteigenden Vergiftungsgrad führt. Die aus all diesen Prozessen resultierende Subjektivität ist das Resultat bio-molekularer Kontrolle und technisch-statistischer Protokollierung. Preciado fasst zusammen: “Unsere globale Ökonomie ist von der Produktion und Zirkulation riesiger Mengen synthetischer Stereoide abhängig, von technisch transformierten Organen, Flüssigkeiten, Zellen (techno-Blut, techno-Sperma, techno-Ovarien, etc.), von der globalen Verbreitung pornographischer Bilder, der Entwicklung und Verbreitung neuer legaler und illegaler synthetischer psychotroper Substanzen (Lexomil, Special K., Viagra, Speed, Ecstasy, Poppers, Heroin, Omeprazol…), von Zeichenströmen und digitalen Informationskreisläufen, der totalen Ausweitung diffuser urbaner planetarischer Architektur, in denen die Ghettos der Megacities an Knotenpunkte hochkonzentrierten Sex-Kapitals grenzen.“ (Preciado 2016: 35) Diesen global-medialen und postindustriellen Komplex nennt Preciado das „pharmapornographische Regime“, das im Zuge von molekularen und semiotechnischen Modulationen ein differenziertes technoides Subjekt generiert. Dieses Regime ist ein Designer-Regime, insofern mittels des Designs spezifische Körpertechnologien und technoide Relationen zwischen Körpern, Raum und Zeit hergestellt werden. Die Körper und das Leben werden zunehmend durch Drogen, Hormone und Moleküle reguliert: Sex und Fortpflanzung; Arbeit, Freizeit und Schlaf; das äußere kosmetische Design und die psychischen Stimmungen. Das semiotechnische Regime ist hingegen pornographisch; es umfasst die Sexualität, installiert ein hegemoniales Bildregime und okkupiert heute die gesamte Kulturindustrie. Während die Pharmaindustrie die Produktion der Pille, Prozac und Viagra betreibt, produziert die Pornoindustrie eine korrespondierende Liste der Blowjobs, der Penetrationen und der Stellungen. Die Bio-Wissenschaften verkoppeln in einer Art performativen Bio-Feedback synthetische Produkte mit psychischen Zuständen (Depression und Prozac; ADHS und Ritalin) und mit Geschlechtsdynamiken (Testesteron, Viagra und Maskulinität; Fruchtbarkeit, Kosmetik und Pille). Zwar produziert das Pharma-Porn-Kapital ständig neue Objekte, aber sie dienen nur als Stützen für das Subjekt. Die Produktion der Dinge und Ideen, der Organe und Zeichen, der Hormone und der Seele befördern die Kreation des postindustriellen Subjekts. Die Psyche und der Sex werden technologisch designt; es entsteht keineswegs ein kohärentes Subjekt, sondern ein durchlöchertes System, dem man Pillen und Schwänze in den Mund steckt, Dildos steckt man in die Vaginas, Silikon setzt man in die Brüste ein oder man entnimmt Haut und Fett, um neue Organe und Prothesen herzustellen. Zwar können mit diesen Technologien Geschlechtsbinaritäten in Frage gestellt werden, aber zugleich werden diese Binaritäten auch wieder festgeschrieben. Das Pharma-Porn-Kapital produziert geradezu einen Naturalismus des Sexes und des Geschlechts, indem man Technologien entwickelt, die dieser Idee näher rücken. Preciado spricht sich nicht prinzipiell gegen einen solchen Techno-Körper aus, dem vielleicht ja ungeahnte Potenziale innewohnen, sondern sie polemisiert gegen die eigenartige Kapitalisierung und gegen die spezifische Kontrolle und Produktion dieses Körpers. Das Signum der biopolitischen Produktion, wie Foucault sie bezeichnet hat, ist das der Zeichen, der Symbole und der Information sowie der Affekte, und zwar nicht der persönlichen Affekte, sondern der systematischen Effekte, welche sie produzieren.

Eine wichtige Komponente der heutigen Informationsökonomie stellt für Preciado die pornographische Industrie dar (ca. 1,5 Millionen Webseiten im Internet, die für den Umsatz von ca. 14 Milliarden Dollar pro Jahr mitverantwortlich sind). Das Internet und die pharmapornologische Industrie produzieren heute im Verbund eine differenzierte Kontrolle des weiblichen Körpers, während die ejakulatorische Funktion des männlichen Körpers zunehmend ins Blickfeld der Techno-Ökonomie gerät. Das ökonomische Modell der Pornoindustrie beinhaltet für Preciado die masturbatorische Logik des Konsums, das heißt minimale Investition, Echtzeit-Verkauf und Echtzeit-Konsum des Produkts, möglichst hoher Profit. Angetrieben werden Porno- und Pharmaindustrie durch eine Arbeit, die im Kreislauf Erregung-Frustration-Erregung permanent moduliert wird, i.e. durch Erektion, Ejakulation, Lust, Masturbation, Kontrolle und Destruktion. Die Produkte sind TechnoSex Körper, wobei der Sex selbst und die semiotechnischen Informationen wichtige Ressourcen und Waren für das postfordistische Kapital darstellen. Es geht hier immer auch um das Mapping der Kapitalökonomie, das auf dem Management der Körper, des Sexes und der Identitäten beruht, oder dem, was Preciado das Somatico-Politischenennt – das Sex-Geschlecht des industriellen Komplexes, dessen wichtigste Objekte synthetische Steroide, Porno und Internet sind. Dies generiert eine ubiquitäre pharma-porno-punk Hypermodernität.

Analog zur Automobilindustrie im Fordismus müsse man heute, so Preciado, von der Pharmapornographie als dem wichtigsten Element der postfordistischen Ökonomie sprechen. Entscheidend für diese Dominanz seien aber nicht die quantitativen Umsätze, sondern der Fakt, dass die Pharma-Porn Modelle, die sich aus masturbatorischer Logik und dem Kreislauf von Erregung und Frustration zusammensetzen, grundlegend für alle anderen Arten der Produktion gälten. Die Arbeitskraft der klassischen Ökonomie sei in eine (aktuelle und virtuelle) orgasmische Kraft, die „potentia gaudendi“, umgewandelt worden. Ganz spinozistisch definiert Preciado jenseits der Frage der Geschlechts- und Organzugehörigkeit diese psychische und somatische Kraft als ein unendliches Vermögen, das die gesamte Welt in Genuss übersetzen wolle, oder, um es anders zusagen, in die Kapazität, erregt zu sein oder zu erregen, erregend zu sein und mit jemandem erregt zu sein. Das Kapital verdient und verführt, indem es die sexuellen Ressourcen dieser Kraft in Arbeit verwandelt. Damit versucht das Kapital die potentia guadendi zu privatisieren und sie in Form der Produktion von Molekülen (Pharma) und von pornographischen Zeichen und Sexdiensten produktiv zu machen. Preciado behauptet weiter, dass diese Kraft – Ereignis, Werden oder Praxis, fleischlich und doch digital flüssig – nicht angeeignet oder als Eigentum festgeschrieben werden könne, obgleich sie doch im kontrollierten Körper (bioport) massiv wirke, einem umfassend diskursivierten und technologisch hergestellten Körper. Donna Haraway hatte diesen Körper schon früh als ein „flüssiges, verstreutes, vernetztes technisch-organisches-textuell-mythisches System“ bezeichnet. Der sexuelle Körper ist das Produkt einer sexuellen Teilung des Fleisches, wobei jedes Organ durch seine Funktionalität gekennzeichnet ist. Mit Haraway schreibt Preciado (in leichter Absetzung von Foucault) von einer Techno-Biomacht, die das gesamte Leben technologisch reguliere, statistisch protokolliere und höchst produktiv verwalte. Viren, Hormone, Stimmen, Bilder, Internet, Medikamente und Pille werden als Werte in die globale bio-elektronische Erregungsmaschinerie integriert. Die diesen jenseits von Leben und Tod existierenden Techno-Körper antreibende Kraft ist die potentia gaudendi, die das Kapital bio- oder thanatopolitisch verwaltet, kontrolliert und produktiv macht, das letztere im Rahmen eines durchaus profitablen Managements der diversen Industrien bis hin zur Finanzindustrie. Der orgasmischen Kraft schreibt allerdings Preciado ein Potenzial zu, molekulare Freude zu produzieren, die nicht verbraucht werden könne, also unendlich sei, auch wenn mit dem technisch supplementierten pharmapornographischen Körper alles daran gesetzt werde, die orgasmische Kraft auf nacktes Techno-Leben zu reduzieren.

Die Pharma-Porno-Industrie sei zum paradigmatischen Modell der Kapitalakkumulation geworden, einerseits mit ihrem Modell des minimalen Einsatzes, der direkten Verkäufe und der unmittelbaren Konsumbefriedigung, basierend auf der niemals endenden somatischen Kette von Erregung–Frustration–Erregung, andererseits angetrieben von neuen Materialien wie Sperma, Blut, Testosteron, Adrenalin, Östrogene etc. sowie Zahlen, Semiotypen und Zeichen. Die darin fungierende, pornofizierte Arbeit ziele einzig auf Erregung (und frustrierende Befriedigung), während das globalisierte Kapital diese Prozesse nur noch produktiv verwalte, wie es auch die Körper,  Patente und Copyright kontrolliere. Alle werden zu Arbeitern einer globalen Pornofabrik, die mit körperlichen Flüssigkeiten, synthetischen Hormonen, Silikon, Stimulanzien und Stimmungs-Regulatoren und digitalen Zeichen gefüllt ist. Sexuelle Arbeit transformiert die potentia gaudendi in Waren. Préciado spricht hier ausdrücklich von einer Pornifizierung und nicht von einer Feminisierung der Arbeit.

Preciado stellt sich eine ähnliche Frage wie Lyotard: Inwiefern ist das Libidinöse ein Konstituens des heutigen Kapitals und wie ist das Kapital am Libidinösen interessiert? Preciado spricht von einer toxi-pharma-pornographischen Ökonomie, und diesen Term benutzt sie als einen Panoramabegriff, der insofern eine Scharnierfunktion erfüllt, als er auf die Analyse der Bedingungen einer sozio-ökonomischen Gesamtheit verweist, und damit zumindest einen symptomalen Status besitzt, wenn er die Bedingungen für die Konstitution dieser Gesamtheit nicht selbst setzt. Bruno Latour hat auf solche Panoramen hingewiesen, sog. 360-Grad-Darstellungen des sozialen Raums. Und diese Panoramabegriffe bleiben fragwürdig, egal ob man nun von Risikogesellschaft, Prekarisierungsgesellschaft oder dem pharmapornokologischen Regime spricht. Der Wille zur Totalität ersetzt an dieser Stelle die kritische Analyse der Ökonomie.

Wenn Preciado weiterhin mit McLuhan annimmt, dass die globalen Informationstechnologien eine Ausdehnung eines monströsen Techno-Körpers seien, dann bleibt sie doch einem sehr alten Technodiskurs verhaftet, nämlich dem der Technik als einer Erweiterung der menschlichen Organe und Kognitionen. Noch weniger nachvollziehbar ist dann die Aussage, dieser Körper sei heute als eine Ausdehnung der Informationstechnologien zu verstehen. In dem von Preciado übernommenen Technikdiskurs muss man den Leib, damit er als abbildendes Projektionszentrum für die Technik irgendwann überhaupt noch gelten kann, als Triebzentrum beschreiben. Infolgedessen wird es unmöglich, die technischen Objekte weiterhin als rein gestaltähnliche Abbildungen oder quantitative Erweiterungen des Leibes zu imaginieren, vielmehr muss man in ihnen das Resultat generativer Projektionen sehen, eben des Triebes oder des Techno-Körpers und letztendlich des menschlichen Hirns, womit es dann allein auf Funktionsähnlichkeiten zwischen der Maschine und dem Techno-Körper/Hirn ankommt. Wenn Produktivität nur als die Transformation von Energien Bestand hat und nicht das Resultat eines leiblichen Triebüberschusses ist (Einwirkung leiblicher Organe und ihrer Funktionen auf die äußere Natur), so kann man endlich die meta-physische Energie eines Techno-Körpers und/oder Verstandes voraussetzen, die die Fähigkeit besitzt, Verdopplungen, Axiomatiken und Kompliziertheiten der Maschinen neu zu erzeugen. So erst kann die Philosophie voll in den Technikdiskurs einsteigen!

Pornographie ist für Preciado die zum Spektakel, zur Virtualität und zur digitalen Information mutierte Sexualität. Sie ist das neue Paradigma der Kulturindustrie, obgleich sie ihren Underground-Status nicht überwinden kann; ihre Kennzeichen sind Performance, Virtuosität, Theatralisierung, technische Reproduzierbarkeit, Digitalität und audiovisuelle Verbreitung. Porno beinhaltet das Management des Erregungs-Frustrations-Zirkels. Und die Kulturindustrie will exakt denselben physiologischen Effekt erzeugen, sei es etwa die Popmusikindustrie oder der Fußball. Pornographie ist Sex-Performance, Fußball ist Sport-Performance, Pop ist Kunst-Performance – zusammen bilden sie die hegemoniale Kette der öffentlichen Darstellung regulierter und zugleich kapitalisierter Wiederholung bzw. der öffentlichen Exerzitien regulierter Wiederholungen, die dem globalen Regelkreis von Erregung-Frustration-Erregung folgen. Porno mag hier eher mit Freak Shows und Zirkus zu tun haben als mit dem Kinematographischen des Fußballs und des Pop. (Die letzte Woche stattgefundenen Razzien in Berlin, im speziellen im Multimedia-Bordell Artemis, könnte man auf den Panama-Papers-Druck zurückführen. Woran sich heute kaum jemand mehr erinnert und worauf Preciado dankenswerter Weise hinweist – das Artemis wurde von der deutschen Regierung anlässlich der WM 2006 zum Bau freigegeben. Das Multimedia-Bordell, Teil der Kette aus Fußball-Porno-Pop, bleibt im öffentlichen Raum ein Ausnahmeort. Wenn die Politik nun aktuell wieder massiv versucht, die Sexindustrie aus der Stadt zu drängen, dann ist das auch Teil einer Säuberungsaktion, die den durch die Veröffentlichung der Panama Papers wieder etwas erhöhten miesen Geruch von Korruption, der auch das Kapital erfasst, ob es will oder nicht, leicht ins Reine parfürmieren will. Korruption, das ist der Stallgeruch von Fußball, Sexindustrie, Drogenhandel etc., mit dem zwar die Finanzindustrie etwas anfangen kann, wenn er sich denn kapitalisieren lässt, aber der Staat als moralisierende Instanz muss regulieren und Sicherheiten injizieren (indem er bspw. Delinquenz erzeugt). Dabei spielt er sich auch gerne einmal als Staatsfeminist auf, der gerade entdeckt hat, dass Werbung sexistisch ist, worauf die Verbotsfeministinnen freudig einstimmen, dass dieser Schmuddelkram von der öffentlichen Bildfläche endgültig zu verschwinden habe. Es soll nur ja keiner auf die Idee kommen, die Pornoindustrie als Teil einer Werbe– und Kinoindustrie bzw. der Kulturindustrie zu betrachten, zudem von Migrantinnen durchsetzt, und auch deswegen soll die Pornoindustrie im Zuge eines rassistischen Diskurses der Mittelklassen und des Kapitals wieder stärker reguliert werden.)

Porno macht das als privat gedachte Szenario öffentlich, indem er andauernd Bilder mit stimulierenden Eigenschaften erzeugt, die sowohl beim Produzenten als auch beim Konsumenten biochemische und muskuläre Mechanismen der Lust freisetzen. Das Porn-Dispositiv privatisiert den öffentlichen Raum und lädt ihn mit masturbatorischem tele-medialen Wert auf. Die audiovisuelle Digitalisierung findet auf verschiedenen Plattformen statt (Fernsehen, Smartphone, Computer), die im Kontext des Erregungs-Frustrations-Kreislaufs eine Vervielfachung ermöglichen – in Los Angeles saugt ein Mund und in vielen Orten rund um die Welt kommt es zu Entladungen. Für Preciado zeigt sich der Zusammenhang zwischen Pornoindustrie und Kulturindustrie wie folgt. Im Zuge von Judith Butler begreift Preciado das Geschlecht und später mit Anni Sprinkle den Sex als performativen Akt, der zur Internalisierung von Normen, der Stilisierung und der Inszenierung der Körper im öffentlichen Raum führt. Porno inhäriert ein spezifisches Repräsentationssystem oder ein Darstellungsdispositiv, das in das Bild oder den Videofilm hinein wandert, dessen Konstitutien wiederum Theatralisierung, Inszenierung und Licht sind. Im Pornofilm wird die Lust einzig zum Zweck der Erregung der Konsumenten visualisiert, es handelt sich um ein sowohl optisches als auch pragmatisch-chemisches Dispositiv, das die dargestellten und darstellenden Lustmaschinenkörper mit Hilfe der technischen Möglichkeiten des Schnitts ins Irreale bzw. A-topische abgleiten lässt, denn die Lust kennt im pornografischen Set ja anscheinend keine Erschöpfung und auch kein Ende, vielmehr wird diese allein zum Zwecke der Erregung der Zuschauer visualisiert. Ganz im Gegensatz zur Orgie bei Sade, die einer Dramaturgie der zerstörenden Überschreitung folgt (welche das zu Überschreitende und damit das Verbotene voraussetzt), um die Erregung durch die (sprachliche) Kombination von Sex, Philosophie und Verbrechen einzufordern und sie bis hin zum Ziel der Orgie (meistens Mord und/oder Inzest) auch zu steigern, obwohl über die Stellungen (elementare Einheit in der Orgie) genauestens Buch zu führen ist -, ganz im Gegensatz dazu kennt bspw. der Gangbang weder bei den Beteiligten noch bei den Rezipienten die Idee/Praxis der Überschreitung. Der Gangbang negiert selbst die fantastischsten Turnerpyramiden de Sades, mit denen dieser die Orgie berechenbar macht, sie sozusagen normalisiert, und was von der Orgie im Pornofilm übrig bleibt, ist die spröde Vernunft des Profits, die neutrale Konstruktion des Addierens und Kopulierens. Die Teilnahme an einem Gangbang ist für den Newcomer im Pornobusiness ein Sprungbrett auf der Karriereleiter nach oben. Gangbangpartys versammeln in der Regel ein Minimum an Frauen, die ein Maximum an Männern befriedigen. Gangbangs addieren & optimieren, erhöhen fast fahrplanmäßig die Sexualfrequenz..  Dennoch, Lustmaschinen sind immer auch Frustmaschinen.

Gonzo (die bloße Darstellung des Geschlechtsakts und der Verkettung von Partialobjekten im Pornofilm, ohne jeden Hauch einer den Akt umrahmenden Handlung) scheint deswegen so erregend und schal zugleich zu wirken, weil man schon so viele Filme gesehen hat. Die Lust will aber Wiederholung. (Zunächst wiederholt die Wiederholung nicht die Vergangenheit, so wie sie tatsächlich war, sondern deren Virtualität, die man eben nicht nur der Zukunft, sondern auch der Vergangenheit zugestehen muss.) Beim Pornofilm ist die Struktur der Wiederholung allerdings eher der Ähnlichkeit bzw. der bloßen Kopie zugeneigt, wobei der Film eine spontane Aktivität, so scheint es jedenfalls, jenseits des Triebaufschubs und der Sublimierung (die genau genommen auch wiederholbar, also verschiebbar ist) bis in das letzte Detail ausleuchtet und kodifiziert, um beim Zuschauer eine Erregung zu erzeugen. Körperdesign, Sprache & Geräusche, Stellungen & Szenen, Kameraeinstellungen & Licht unterliegen im Pornofilm einer strengen Kanonisierung. Darüber hinaus inszenieren die Filme und Clips (mit Hilfe der Schnitttechniken) das ewige Phantasma, dass es Sex so einfach gibt, überall, egal ob bei der Autopanne, beim Fernsehen oder am Strand. In ihrer Rolle als verkörperte Erregungsmaschinen können die Akteure immer und sie können alles. Diese Fiktion faket die Sexualität, vor allem im Film, der die Imagination des Zuschauers nicht, wie beispielsweise den Leser pornophiler Texte, in der Schwebe hält, sondern durch die Abbildung und Darstellung unmittelbar zuschlägt. Während Sade alles sagen will, will der Sexfilm alles zeigen. So substituiert der Pornofilm in Permanenz das Authentizitätswollen der Einbildungskräfte und der Subjekte, deren Begehren inmitten der Bilder/Filme, die vermeintlich nur ein Reales konnotieren, stabilisiert und zugleich destabilisiert wird. Die chemisch-elektronischen Bilder des Pornofilms evozieren eine sexuelle Stimulation, die durch Triebabfuhr einen Kreislauf in Gang setzt, der des Partners und des Realen nicht mehr bedarf. Der Imperativ eines Genießens, das in der normalisierten Variante der Werbeindustrie den Sex ohne Körper serviert, zieht die Produktion von Bildmaschinerien nach sich, die ein programmatisches Interesses an dem Konsum von Sexualität befriedigen.

Porno wird für Preciado durch eine Art “spermatischer Platonismus” reguliert, in dem vor allem Cumshot real ist. Porno produziert die Illusion der potentia gaudendi, wenn die Erregung und ihr Abbau eine mehr oder wenige unwillkürliche Antwort auf die Ejakulation, einem Akt der Desubjektivierung, ist, auf den man mit der eigenen Desubjektivierung antwortet. Pornographie erzählt die performative Wahrheit über die Sexualität, das heißt sie produziert Wiederholungen im öffentlichen Raum und bleibt immer in den Regelkreislauf Erregung-Frustration-Erregung integriert. Man kann nun zwar behaupten, das der Sex und die Körper im Porno unrealistisch seien, aber gerade das Fiktive beinhaltet die platonische normative Form, um die sich der industrielle Komplex von Geschlecht und Sex zirkuliert. Die Kulturindustrie versucht die Pornoindustrie zu moralisieren, ihren Praktiken, Organen und Zeichen einen nicht-kinematographischen Charakter zuzusprechen, das heißt sie zu denunzieren, um sie im selben Augenblick hinsichtlich der Sexualisierung der Produktion, der Informatisierung der Körper und der Aufrechterhaltung des Erregungs-Frustrations-Kapitals Kreislaufs anzuzapfen. Schließlich ist Porno ein Medien- wie ein Kunst- wie ein Pop-Produkt.

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