China versus USA in Zeiten der (De) Globalisierung

Die Beziehungen zwischen den USA und China haben sich im Jahr 2023 auf den tiefsten Punkt seit ihrer Annäherung in den 1970er Jahren verschlechtert. Man spricht inzwischen von einem Zweiten Kalten Krieg. Sowohl die USA als auch China haben in Folge der Finanzkrise von 2008 „restaurative“ politische Projekte installiert. Diese Projekte schließen sich gegenseitig aus und beleben die heutige Geopolitik. Im Gegensatz zum ersten Kalten Krieg, in dem die Großmächte versuchten, ihr Territorium in Blöcken zusammenzufassen, konkurrieren die USA und China heute auf globaler Ebene um die Vorherrschaft in miteinander verflochtenen und verbundenen globalen Netzwerken.

Die Raumlogik des Zweiten Kalten Krieges ist heute auf die Kontrolle von Netzwerken und deren Strukturen ausgerichtet. Faktoren wie Interkonnektivität und Interdependenz gehören zu den Schlüsselprinzipien der Netzwerkstrukturen, wobei die geopolitische Rivalität auf die Kontrolle nichtlinearer und nicht notwendigerweise hierarchischer Knoten in topologischen Netzwerken ausgerichtet ist, die nicht offenkundig territorial sein müssen. Die USA und China agieren insofern auf dem demselben Territorium und ihre Volkswirtschaften sind in bestimmten Bereichen eng miteinander verflochten. Daher ist es für die USA nicht möglich, China „einzudämmen“, und ebenso wenig kann Peking darauf hoffen, auf einen Block von Staaten außerhalb der Reichweite von Washingtons Einfluss zu nehmen. Die USA und China versuchen also, sich in Netzwerken zu etablieren, über die sie geopolitische und geoökonomische Macht ausüben können. In der Praxis geschieht dies durch eine Reihe von Strategien, wie z.B. die Festlegung von Regeln, die bestimmen, wie Netzwerke integriert werden oder wer an ihnen teilnehmen kann.

Die Kontrolle der Ströme von Kapital, Waren, Geld, Arbeitskraft, Wissen, Daten, technischen Standards etc. war schon immer eine Strategie der geopolitischen Machtkorodination, aber diese Aufgaben haben angesichts der netzwerkbasierten Struktur der heutigen kapitalistischen Weltwirtschaft an strategischer Dringlichkeit gewonnen. Infolge der globalen Finanzintegration, der Transnationalisierung von Produktionstätigkeiten, der zunehmenden Komplexität der internationalen Arbeitsteilung und der Entwicklung an der Technologie- und Produktivitätsgrenze ist die Weltwirtschaft zunehmend als eine Reihe hoch strukturierter Netzwerke organisiert, die sich über territoriale Grenzen hinweg erstrecken. Durch die Erlangung und Nutzung von Netzwerkzentralität – insbesondere durch die Kontrolle und Verbindung von Schlüsselknoten – können Akteure einen privilegierten Zugang zu strategischen Inputs erlangen, die Zirkulation von Informationen steuern, Kontrolle über die Arbeitsteilung ausüben, Standards festlegen und Konkurrenten ein- oder ausschließen.

Risiken werden durch den umfassenden Einsatz von Technologien der Vierten Industriellen Revolution (künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, das Internet der Dinge, fortgeschrittene Robotik und Quantencomputer) zur Organisation und Verwaltung wirtschaftlicher Netze durch Unternehmen und Staaten verstärkt, was diese anfällig für Eingriffe von Konkurrenten macht. Daher setzen Staaten und Unternehmen eine Reihe von Mittel ein, um die Anfälligkeit für Bedrohungen und Schwachstellen zu verringern, angefangen von der Abkopplung über die Verlagerung kritischer Wertschöpfungsketten in andere Länder und der Integration von Tech-Giganten im Verteidigungssektor.

Eine neue gefährliche Entwicklung zeigt sich heute schon im Ukraine Krieg an. Es wird bald möglich sein, dass Hunderte Drohnen an einem Frontabschnitt gleichzeitig gestartet werden, selbstständig Ziele aufklären und bekämpfen können. Damit wird jegliche Truppenbewegung an der Front schwierig. Dabei sind die USA und die Nato in der Drohnen-Kriegsführung dem Iran, China und auch Russland unterlegen. Man hat bisher keine FPV-Waffe auf operativer Ebene, noch kann man den Shahed oder Lancet-Drohnen etwas entgegenzusetzen. Silicon Valley hat jetzt den Nachholbedarf für die USA erkannt und fordert ein großskaliertes Engagement in Sachen Kriegsführung.

In der Industrie und im Finanzwesen zeigen sich neue Tendenzen der Entkopplung an. In den 2010 Jahren ging ein Drittel aller chinesischen Exporte in die USA, die diese vor allem mit Konsumentenkrdieten und einer wachsenden Auslandsverschuldung durch China finanzierten.  Zeitweise hielt die chinesische Zentralbank 2011 US-Staatsanleihen im Wert von 1,3 Billionen US-Dollar.  2023 wurde nur noch ein Wert von 782 Milliarden US-Dollar erreicht. Chinas Währungsreserven belaufen sich insgesamt auf 3,24 Billionen US-Dollar, davon circa 60 Prozent in US-Dollar und der Rest in anderen Währungen wie dem Euro, dem Schweizer Franken oder dem japanischen Yen.

Auch auch wenn die internationale Arbeitsteilung und die Geografie der fortgeschrittenen industriellen Produktion von Großmächten geprägt wird, bedeutet dies nicht immer, dass die Kapitalakkumulation nationalen Sicherheitsimperativen untergeordnet wird. Gleichzeitig betrachten Beamte in Peking und Washington die Kontrolle über strategische Sektoren der Ökonomie als eine Voraussetzung, die nicht nur für die nationale Sicherheit unerlässlich ist, sondern auch die Grundlage für die Sicherung eines nachhaltigen langfristigen Wirtschaftswachstums bildet.

Neben der finanziellen Entkoppelung findet auch eine gewisse industrielle Abkopplung statt. Fonds haben in den letzten Jahren massiv Investitionen aus China abgezogen. Im dritten Quartal 2023 verlor China zum ersten Mal seit Beginn der Öffnungspolitik Anfang der 1980er-Jahre mehr ausländische Direktinvestitionen als zugleich ins Land flossen.

Gleichzeitig hat die USA ihre Schuldverschreibungen auf 26 Billionen erhöht. Das ist  das Fünffache des Standes vor dem Beginn der großen Immobilien- und Börsenkrise 2007. Staaten ziehen sich aber derzeit stärker aus US-Staatsanleihen zurück, wobei Privatpersonen und privaten Gesellschaften den größeren Anteil gehalten. Ausländische Zentralbanken haben in ihren Portfolios US-Staatsanleihen mit einem Wert von nur noch 3,8 Billionen US-Dollar. Weitere gut drei Billionen US-Dollar werden von Privaten im Ausland gehalten, und mit fast 20 Billionen US-Dollar ist der US-Staat im Inland verschuldet.

Betrachtet man nun die industrielle jährliche Wachstumsrate des realen BIP der USA, so lag sie in den 2010er-Jahren bei 2,25 Prozent; in den 2020er-Jahren liegt sie bisher bei durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr. Chinas Wachstumsrate liegt bei 5,2 Prozent, Japan wuchs im Jahr 2023 um 1,5 Prozent, Frankreich um 0,6 Prozent, Kanada um 0,4 Prozent, das Vereinigte Königreich um 0,3 Prozent, Italien um 0,1 Prozent und Deutschland schrumpfte um -0,4 Prozent. Brasiliens Wachstumsrate liegt derzeit bei zwei Prozent im Jahresvergleich, Mexiko bei 3,3 Prozent, Indonesien bei 4,9 Prozent, Taiwan bei 2,3 Prozent und Korea bei 1,4 Prozent.

Ein weiterer Maßstab für das Wachstum sind die Daten zur Industrieproduktion. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geh davon aus, dass China in diesem Jahr um 4,6 Prozent wachsen wird, während die kapitalistischen G7-Länder 1,5 Prozent erreichen werden.

China hat im staatlichen Sektor seine Investitionen erhöht und die Regierung hat die Entwicklung der Windanalagen und der Solarindustrie ausgebaut, um einen etwaigen Abschwung auf dem überschuldeten Immobilienmarkt zu kompensieren. Es ist der kapitalistische Sektor Chinas, der Probleme hat, während Chinas staatlicher Sektor wächst. Ein Gericht in Hongkong hat heute die Liquidation von China Evergrande angeordnet und damit eine neue und unvorhersehbare Phase des Zusammenbruchs des am höchsten verschuldeten Immobilienunternehmens der Welt eingeleitet. Die Liquidationsanordnung ergeht etwas mehr als zwei Jahre nach der offiziellen Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, die eine Liquiditätskrise für chinesische Bauträger auslöste, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt immer noch lähmt.

 China bleibt aber in den produktiven Sektoren der Welt, so im im verarbeitenden Gewerbe, weiterhin führend. Seine Produktion übertrifft die der neun nächstgrößeren weltweiten Hersteller zusammen.  Im Jahr 1995 betrug der Anteil Chinas an den weltweiten Exporten des verarbeitenden Gewerbes drei Prozent. 2020 war sein Anteil auf 20 Prozent gestiegen.

China wird nicht dadurch in die Enge getrieben, dass sich die USA bei Investitionen in und ihre Nachfrage von chinesischen Waren abkoppeln, vielmehr sind die USA stärker von chinesischen Exporten abhängig als umgekehrt. Chinas Konzentration auf die verarbeitende Produktion und Investitionen in Infrastruktur und Technologie gegenüber der Steigerung des Konsums der privaten Haushalte wird aber weiterhin als Problem angesehen. Nach der neoklassischen und keynesianischen Theorie ist es angeblich der Konsum, der das Wachstum antreibt, nicht die Investitionen. Allerdings ist es so, dass der Kredit, die Finance und die auf die Produktion ausgerichteten Investitionen das Wirtschaftswachstum stärker antreiben und damit auch die Beschäftigung und die Löhne. Dabei spilet der Konsum, seit jahren auch durch die Konsumentenkredite, eine bestimmte Rolle.

Wir haben es nun mit der Gleichzeitigkeit von Globalisierungs- und Deglobalisierungstendenzen zu tun. Rodrik meint, dass die Ära der Hyperglobalisierung nach den 1990er Jahren als beendet gilt. Aber er fügt auch hinzu, dass das Gerede über die Deglobalisierung uns nicht über die Möglichkeit hinwegtäuschen sollte, dass die gegenwärtige Krise in der Tat eine weitere Globalisierung hervorbringen kann. Im besten Fall einen Green New Deal, über den es viele Hoffnungen und Illusionen gibt.

Die globale Finanz- und Währungsarchitektur hat sich parallel zur Konsolidierung der amerikanischen Hegemonie entwickelt. Infolgedessen sind die zentrale Stellung der USA in diesen Netzwerken und ihre Fähigkeit, sie zu gestalten, beispiellos. Die USA hat einige der mächtigsten Finanzinstitute und Weltfinanzzentren, die die Kontrolle über das globale Finanzsystem zentralisieren und die tiefsten und liquidesten Finanzmärkte beherbergen. Der US-Dollar steht immer noch an der Spitze des globalen Währungssystems. Die meisten globalen Finanz- und Handelstransaktionen und die wichtigsten Rohstoffmärkte werden in Dollar abgewickelt. US-Staatsanleihen sind die wichtigsten Währungsreserven der Welt und der Dreh- und Angelpunkt des globalen Finanzsystems. Im Gegensatz dazu ist Chinas untergeordnete Position innerhalb des globalen Finanz- und Währungssystems wirtschaftlich kostspielig. Ein Haupthindernis für die Internationalisierung der chinesischen Wirtschaft und die Bemühungen um eine zentrale Stellung in anderen Netzwerken besteht darin, dass viele der international tätigen chinesischen Unternehmen für ihre Handels- und Geschäftstätigkeiten US-Dollar verwenden.

Es überrascht daher nicht, dass das Finanzwesen der wichtigste Faktor der neuen Weltordnung bleibt. China hat eine mehrgleisige Strategie verfolgt, um seine Position in den globalen Finanznetzwerken zu verbessern und sie gleichzeitig neu zu gestalten. Seine Politik der kontrollierten Liberalisierung der Finanzmärkte und der begrenzten Öffnung des Kapitalverkehrs (mit Kapitalverkehrskontrollen für Zu- und Abflüsse und einem aktiven Wechselkursmanagement) zielt darauf ab, die Risiken und Kosten der Integration in die US-zentrierten globalen Finanzmärkte zu mindern. Die Politik der Internationalisierung des Renminbi will die Abhängigkeit vom Dollarverringern, während andere Initiativen ausdrücklich darauf abzielen, Chinas Position in Finanznetzwerken zu verbessern.

Weitere Analyse hier: https://non.copyriot.com/multiploaritaet-weltwirtschaft-und-zweiter-kalter-krieg/

Nach oben scrollen