Die Elemente von Foucault (5)

Gegenüber den deutschen Ordoliberalen hat der amerikanische Neoliberalismus die Tendenz, neue Formen des Wettbewerbs im gesamten sozialen Körper zu etablieren, sodass die Differenz zwischen ökonomischem Wettbewerb und individueller Freiheit als einer Form des sozialen Interesses aufgehoben zu sein scheint. Das Unternehmen wird in jeden Teil der sozialen Fabrik eingepflanzt. Foucault räumt jedoch der Analyse des deutschen Ordoliberalismus größeren Raum in seinen Vorlesungen ein, insbesondere interessiert er sich für das Problem des homo economicus, für den neue Techniken der Gouvernance erfunden werden müssen. Auf der Ebene der Ökonomie gibt es für Foucault keinen Souverän, und dies zeigen auch die vielfältigen Diskussionen um den Neoliberalismus an. In der Tat ist es die Ökonomie, welche die Welt formt. Seit Beginn des 17. Jahrhundert trennt sich das ökonomische vom juridischen Subjekt, obgleich es nach wir vor eine Korrespondenz zwischen beiden Subjekten gibt. Die Frage ist, ob beide Subjekte jemals in ein harmonisches Verhältnis gebracht werden können. Es gilt zudem für beide Subjekte eine neue Ebene der Referenz zu finden, um das nue komplexe Ganze außerhalb der Staatsapparate zu denken. In seinem Rückgriff auf den Term Zivilgesellschaft als Idee und zugleich als ein Element des biopolitischen Dispositivs führt Foucault erneut eine Art von Geometrie ein, das dazu dient, die neue Gouvermentalität des Neoliberalismus genauer zu untersuchen.

Wenn man akzeptiert, dass die primäre Sozialisation ökonomisch ist, da längst nicht alle Subjekte an der politischen Sphäre partizipieren, so wird noch jedes Leben in die Ökonomie hineingezogen, oder, um es mit marxistische Termini zu sagen, die Ökonomie regiert in der letzten Instanz. Dabei wird die Zivilgesellschaft ständig von Machtrelationen durchzogen, das heißt, die Macht erscheint spontan im sozio-ökonomischen Feld, in dem sich sie sich multipliziert und neue Formen der Ungleichheit sowie konkrete Differenzen zwischen öffentlich und privat erschafft.

Während für die deutschen Ordoliberalen der Kapitalismus eine degenerierte Marktform ist, insofern der Markt nie rein existiert und durch Monopole und den Staat korrigiert wird, wendet Hayek diese Diskussion in Richtung starker versus schwacher Staat und schreibt, dass das Gegenteil des Liberalismus der Totalitarismus sei, während das Gegenteil der Demokratie der Authoritatismus sei. So könne die Demokratie durchaus totalitäre Formen annehmen, während eine autoritäre Regierung mit liberalen Mitteln regieren könne. Es gab, so wiederum Rüstow, bisher keine Staatsform, die stark genug war, sich vor Interessen, die im Staat selbst in der Form der Bürokratie oder von außen durch die Ökonomie auftauchen, zu schützen. Was sich als starker Staat darstellt, ist oft ein schwacher Staat. Totalisierung, die Foucault Etatismus nennt, kann zu einer schwachen Staatsform führen, wenn der Staat alle sozialen Relationen zu totalisieren versucht, was dann aber oft sogar zu einer Art Pluralismus führt, bei dem machtvolle politische Interessen bestimmte Segmente der Staatsmacht besetzen, sodass die Demokratie ständig in Gefahr ist, in den Authoritatismus zurückzufallen. Foucault versucht die durchaus heterogenen Ansätze der neoliberalen Theorien innerhalb eines post-dirigistischen Kontextes, die vom klassischen Liberalismus abweichen, eingehend zu untersuchen. Auf jeden Dall zeigt der Versuch des Staates. das gesamte soziale Feld zu okkupieren, eher seine Schwäche als seine Stärke an, insofern er sich jetzt gerade nicht länger gegen die Einflüsse der verschiedenen Interessengruppen zur Wehr setzen kann, womit es erst möglich wird, dass diese bestimmte Teile des Staatsapparats erobern und für ihr eigenen Interessen ausnutzen. In diesem Kontext interessiert sich Foucault dann stärker für die Zivilgesellschaft als eine historische Konstante, als das Prinzip einer spontanen Synthesis, als permanente Matrix der politischen Macht und als der Motor des sozialen Körpers. In diesem Kontext funktioniert dann auch der Markt für Hayek weiterhin als eine transzendente und posthumane Entität, als eine kollektiver Prozessor von Informationen.

Lambert wendet sich nun dem Begriff der Kontrollgesellschaft zu. Deleuze, der den Begriff in seinem berühmten Postscript verwendet, definiert hier eine neue Form der Biomacht als kontinuierlich und nicht-segmentarisch, als soft oder fluid. Wenn die Macht ihren gewalttätigen Charakter verliert und ein neues Set von Technologien annimmt, das in den Händen der Unterdrückten selbst liegt, dann wird es für den Widerstand noch schwieriger. Ja die Mechanismen der Kontrolle wirken sogar befreiend, i.e. Subjektivierung als Befreiung, Einschließung als offen und konstantes Training als Möglichkeit. Wie kann man die Elemente der Multiplizität in einem offenen, endlosen und glatten Raum identifizieren? Diese Frage stellt sich in Kontrast zu einem disziplinarischen Diagramm, in dem eine relative Anzahl von Elementen einer endlichen Multiplizität in einem geschlossenen Raum lokalisiert ist (Schule, Fabrik, Gefängnis, Krankenhaus). Es geht hier also um das Problem der Lokalisierung in raumzeitlichen Formen bzw. in stratifizierten und in glatten Räumen. Im disziplinarischen Diagramm sind die Populationen und Klassen homogene Elemente einer endlichen Multiplizität, lokalisiert innerhalb von Einschließungen (Ghettos in der Stadt oder gar Kontinente innerhalb der Globalisierung), während es in Kontrollgesellschaften um unlimitierte Endlichkeiten geht, die über einen nicht-stratifizierten und offenen Raum verteilt sind (Märkte, Datenbanken, Unternehmen). Es geht schließlich um den Riemanschen Raum, der kontinuierlich und ohne Homogenität ist, wobei mit jeder Veränderung eines Elements sich der gesamte Raum verändert. Deleuze/Guaatari erwähnen an dieser Stelle den Gefangenen, der nicht länger eingeschlossen wird, sondern der frei bleibt, aber ständig durch elektronisches Monitoring erfasst wird, wobei man hier fast schon im Sinne von Science Fiction von einer Macht sprechen kann, die aus der Zukunft kommt. In diesem Kontext sind auch die Texte zur Subjektivierung und maschinellen Unterwerfung angesiedelt. Wir haben das an anderer Stelle ausführlich behandelt. Das Dividuum kann auf neurologischer Ebene nicht länger zwischen Botschaften, die von einem Sender kommen, und die spontan sind, unterscheiden. Das neue Diagramm kommt von außen (es ist virtuell) und stammt zugleich von anderen Diagrammen ab, insofern jedes Diagramm eine Mutation ist. Das ideale Modell der Kontrolle realisiert sich schließlich als maschinelle Form der Unterwerfung, indem es in den gesamten sozialen Raum eindringt, wobei das Außen jeweils schon im Innen vorhanden ist (Virtuell gleich aktuell) und somit jede Möglichkeit des Widerstands erschwert. Diese Unterscheidung von disziplinarischen Diagrammen und Kontrolltechniken findet man bei Foucault nicht. Für ihn resultiert die Unterscheidung eines Gesellschaftskörpers, der vom Unternehmen dominiert wird, und einem disziplinarischen Gesellschaftskörper aus dem Umbaus seines Konzepts der Biomacht.

Dabei adressieren seine Vorlesungen zur Gouvernementalität weder die Kontrolltechniken noch die Macht selbst, die ja keine Essenz besitzt, sondern sie interessieren sich insbesondere für das Problem der Staatsphobie bzw. einer inflatorischen Theorie des Staates, die Foucault sowohl bei Hayek als auch bei der Frankfurter Schule am Werk sieht. Dies zeigt sich noch darin an, wenn Linke heute die Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat als die einzige Lösung aller Probleme begreifen. Dagegen beschreibt Foucault die Staatsform als das Profil einer mobilen Figur, die ständig in Bewegung ist; sie ist der mobile Effekt eines Regimes von multiplen Gouvernementalitäten. Diese axiomatisierte Methode steht im Gegensatz zu vielen marxistischen Analysen des Neoliberalismus, in denen der Staat für alles verantwortlich gemacht wird. Laut Lambert setzt Foucault hier an 4 Punkten an:

1) Foucault wendet sich gegen das Modell des Staates, der schon immer als ein axiomatisches Modell der Realisierung existiert hat.

2) Wenn man in Bezug auf den Staat eine genetische Position einnimmt, dann kann er als ewiges Modell ständig in verschiedenen Formen reaktualisiert werden, ein evolutionärer Aspekt.

3) Oft wird die Entwicklung des Staates als die der schlimmst möglichen begriffen.

4) Explizit wird das Modell vom Urstaat angegriffen.

Wenn Foucault in seinen Vorlesungen wieder den Disziplinarapparat des Panopticons verwendet, dann als das klassische Modell der Staatsform im Liberalismus, einer Staatsform, die auf die Überwachung, konzentriert ist, wobei der Staat vom Markt weit entfernt ist. Für Foucault gibt es laut Lambert keinen Bruch zwischen den Dispositiven der Disziplin und denen der Kontrolle, vielmehr gibt es lediglich eine graduelle Evolution von neuen Techniken und Technologien gemäß einer Ökonomie von Marktrelationen, wobei die Wirtschaftswissenschaften selbst eine Technologie des Regierens darstellen, ohne dass die Souveränität der Staatsmacht benötigt wird. Die neoliberale Politik platziert sich aber nicht in einen leeren Raum jenseits des Staates, um dann die Mechanismen des Marktes von einem archimedischen Punkt anzugehen, als ökonomische Planung oder staatliche Kontrolle, sie muss als eine neue Ideologie auch innerhalb des Staates agieren. Dabei hat der Neoliberalismus niemals eine kohärente Ideologie hervorgebracht. Mit Foucault gilt es dann festzuhalten, und das ist eine der wichtigen Erkenntnisse seiner Vorlesungen, dass nur durch die Teilnahme an der Ökonomie der reale Wert jeden Lebens determiniert wird, und dies nicht nur in Form des Humankapitals, sondern als der biopolitische Wert jeder Spezies. Für Lambert haben wir es heute mit einer Multiplizierung von neuen Subjekten zu tun, die ökonomische Rechte haben können, ja sogar juridische Rechte, aber eben keine politischen Rechte, oder um es anders zu sagen, deren politische Recht nur dann aktiviert sind, wenn sie am globalen Markt partizipieren.

Die verschiedenen Modelle des Neoliberalismus, die Foucault untersucht hat, mögen inzwischen veraltet sein und vieles konnte Foucault 1979 noch nicht sehen. Nichtsdestotrotz erweisen sich die Veränderungen seines biopolitischen Konzepts dahingehend erhellend, dass die politische Macht ihr raison d’être stets in der Ökonomie findet. Die neue Macht der Normalisierung benötigt Machttechniken, die einen multiplen Körper von Bevölkerungen als statistische und zugleich biologische Zuordnungen hervorbringen. Und die Norm als positive Technik der Intervention erfordert konstante Investitionen, Korrekturen und Adaptionen, neue Techniken und Taktiken, sie ist aber auch für Brüche und Unterbrechungen offen. Hier findet man auch die duale Analyse der biopolitischen Ordnung wieder, nämlich die der Strategien, die auf die Bevölkerung abzielen, und die der Taktiken, die auf einer granularen Ebene auf die individuellen Subjektivitäten abzielen. Vom Zeitalter der Biomacht lässt sich nur sprechen, wenn die zwei Theorien der Macht, die am Endes des 18.Jahrhundert immer noch separiert waren, im 19. Jahrhundert in Richtung der Ausarbeitung konkreter Assemblagen zielen und damit gewissermaßen konvergieren.

Um das weiter zu spinnen, müssen die verschiedenen Bedeutungen von Element und Technik ins Spiel gebracht werden; so ist die Sexualität ab dem 19. Jahrhundert eine komplexe Idee, die in verschiedenen Strategien der Macht auftaucht, welche die subjektive Rolle der Sexualität determinieren, sei es, dass sie Element einer Assemblage bzw. eines Dispositivs ist, sei es, dass sie die abstrakte Figur des Designs der Macht ist.

Diese neue Politische Ökonomie der Biopolitik ist verknüpft mit neoliberalen Regierungstechniken, obgleich es Foucault nicht gelingt das kohärente Gebäude einer neoliberalen Biopolitik zu zeichnen. Dennoch, so Lambert, gebe uns Foucault wichtige theoretische Instrumente in die Hand, i.e. epistemologische Aussagen und Analytiken, endliche genealogische Arrangements, die schnellen Transformationen unterworfen sein können, während später Foucault Schüler fälschlicherweise von den Dispositiven als ontologische Paradigmen ausgehen.

Am Ende seine Buchs kommt Lambert noch einmal auf die Texte von Agamben und Deleuze zurück, in denen sie sich mit dem Dispositiv auseinadersetzen. Deleuze beschäftigt sich mit einem Dispositiv, das gerade ankommt und dessen Außen von Kontrolltechniken bestimmt wird, Techniken, die rein virtuell und ungeformte Machtbeziehungen sind sowie die neuen Subjektivitäten inkludieren. Für Lambert ist Deleuzes Postcript inzwischen auch veraltet, insofern es sich auf die frühen Techniken des Neoliberalismus bezieht, die den 1980er Jahren in Frankreich eingeführt wurden. Lambert schlägt deshalb vor den Term Kontrollgesellschaft durch den der Unternehmensgesellschaft zu ersetzen, den Foucault benutzt, um zwischen Disziplinen und biopolitischen Dispositiven der Subjektivierung sowie konkreten Techniken zu unterscheiden. Dabei sind Unternehmensgesellschaft und juridische Gesellschaft zwei Seiten eines einzigen Phänomens, das einem zeitgemäßen Moment angehört. Heute sind wir Zeuge der Multiplizierung von neuen juridischen und normativen Mechanismen, welche die steigende Anzahl von Konflikten innerhalb der kapitalistischen Produktion und Reproduktion begrenzen sollen.

Agamben attestiert Foucault, dass die zwei Linien der Untersuchung (juridische und disziplinarische) sich des öfteren kreuzen und auf einen gemeinsamen Background hin referieren, aber was ist dieses gemeinsame Zentrum? Bei Descartes und Spinoza, deren Philosophien auf einer Art Geometrie gründen, ist die Funktion des Zentrums ein virtueller Punkt, an dem drei Linien konvergieren. Hingegen beseht Foucaults Diagramm aus zwei Linien, die in der Tat niemals in einem Zentrum konvergieren, das ein Blind Spot des Forschers selbst bleibt. Agamben findet letztlich nichts Neues in Foucaults Denken und sieht in den Disziplinartechniken nichts weiter als eine Säkularisierung des Machtwissens in der Moderne und betreibt damit die theologische Genealogisierung des biopolitischen Apparates. Für Agamben ist der Blindspot der Nukleus der souveränen Macht, die zwischen dem biopolitischen und dem institutionell-juridischen Modell vermittelt. Für Foucault hingegen zeichnet sich das biopolitische Zeitalter weiterhin durch zwei Linien aus, wenn Disziplinartechniken und die Politische Ökonomie auf der Ebene der Diskurse und graduell in konkreten Assemblagen sich verbinden, den Dispositiven der Sexualität und der Sicherheit. Es ist das Zentrum jeden Dispositivs selbst, aus dem das Subjekt der Macht als eine komplexe Idee emergiert, was nicht länger mit den traditionellen Formen der Souveränität oder einer Theorie des Staates rationalisiert werden kann. Allerdings verschwindet die Souveränität nicht ganz aus Foucaults Denken, sondern zeigt sich erneut mit aller Prägnanz, sodass sich schließlich für Foucault in seinen Vorlesungen eine Triangularität zu vermelden: Souveränität, Disziplin und gouvernementales Management, welches die Bevölkerungen zum Ziel nimmt und den Apparat des Sicherheit als zentralen Mechanismus besitzt. Nun gibt es also drei Linien und es stellt sich die Frage, wie sie zusammenwirken. Für Lambert wirken sie im Milieu zusammen, das Foucault mit Canguilhem zuerst in der Biologie findet, wobei er zeitgleich in der Bevölkerung das neue Objekt der Gouvernementalität entdeckt. Das Milieu ist nun das primäre Ziel für die Intervention der Macht, es ist das vierte Element in Foucaults biopolitischem Dispositiv, eine Intersektion zwischen der physikalische materiellen Natur und der Natur der Spezies. Der Souveränität steht es zu, diese beiden Naturen zu transformieren.

Die Teile 1-4 findet man hier auf NON.

Foto: Bernhard Weber

Nach oben scrollen