Die Marx`sche Werttheorie (3)

3. Allgemeine Wertform

Um aus der entfalteten Wertform die allgemeine Wertform zu gewinnen, bedarf es nur der einfachen Operation der Umkehrung, was impliziert, dass wir es virtuell mit einem Zugleich von zweiter und dritter Wertform zu tun haben. Die Ware A drückt nun ihren Wert nicht mehr (wie in der entfalteten Wertform) in allen möglichen Waren aus, sondern umgekehrt drücken alle Waren ihren Wert in einer von ihnen verschiedenen Ware X aus. Marx schreibt dazu: »Die Waren stellen ihre Werte jetzt 1. einfach dar, weil in einer einzigen Ware und 2. einheitlich, weil in derselben Ware.« (MEW 23: 79) Diese Exklusion einer einzigen Ware innerhalb einer Vielzahl von Waren bedeutet, dass x-beliebige Waren wie Nudeln, Röcke, Bücher, Computer oder Hemden ihren Wert in einer einzigen Ware ausdrücken, die sich in der allgemeinen Äquivalentform befindet. Ruben schreibt: »Indem wir diesen Umstand in Rechnung stellen, kehren wir die Stellung der Objekte im Wertausdruck so um, daß a nunmehr zum einzigen Reflexionsmittel wird, während die Objekte b, c, d, … zu den vielen Gegenständen werden, deren Werte durch a widerzuspiegeln sind. Wir gewinnen also ›b/ = a ∧ c/ = a ∧ d/ = a ∧ … e‹ als den sprachlichen Ausdruck der universellen oder allgemeinen Wertform. An die Stelle der Totalität der Wertungsmittel tritt ein bestimmtes Universum von bewerteten Gegenständen, die alle auf genau ein Wertungsmittel bezogen sind. Dieses Universum bildet ein Beispiel für den Sinn des Mengenbegriffs der Mathematik. Es ist also der zweite Evolutionsschritt in der Entwicklung der Wertform, der die protomathematische Voraussetzung für die Realisation des deskriptiven Denkens liefert.« (Ruben 2008: 95) Dieses Universum wäre im weiteren Sinne mit Günther Anders als doch ungenügender Teil eines kohäsiven, fensterlosen, naht- und lückenlosen Systems zu verstehen. (Anders 1980: 195) Es lässt sich als Verkettung von Konjunktionen lesen, die sich in verschiedene Disjunktionen der Aktualisierung verwandeln können, aber nicht müssen (Produkte realisieren sich als Waren im Verkauf, der stattfinden kann, aber nicht stattfinden muss.) (Vgl. Strauß 2013: 162)

Wenn eine Ware die Position des allgemeinen Äquivalents besetzt, dann ist sie gegen alle anderen Waren austauschbar, aber diese Position können virtuell alle Waren einnehmen. Und wir stoßen sofort auf die vierte Wertform, in der jede Ware die Form des allgemeinen Äquivalents annehmen kann, sodass bei Realisierung dieser Position alle Waren alle von der allgemeinen Äquivalentform ausschließen. (Vgl. die Übersicht bei Strauß 2013: 232f.) Um die fehlende Stabilität ökonomischer Formkonstitution zu demonstrieren, greift Marx in der Erstauflage des Kapitals zur Darstellung einer vierten Wertform: »Die allgemeine Aequivalentform kommt immer nur einer Waare zu im Gegensatz zu allen andern Waaren; aber sie kommt jeder Waare im Gegensatz zu allen andern zu. Stellt aber jede Waare ihre eigne Naturalform allen andern Waaren gegenüber als allgemeine Aequivalentform, so schließen alle Waaren alle von der allgemeinen Aequivalentform aus und daher sich selbst von der gesellschaftlich gültigen Darstellung ihrer Werthgrößen.« (MEGA II/5: 43) Die vierte Wertform verbleibt damit begrifflich ebenso unterbestimmt (sie »löst« keine Problematik) wie die einfache, die entfaltete und die allgemeine Wertform, weil es bei ihr schließlich möglich ist, dass innerhalb dieser spezifischen Syntax der Warenverkettungen prinzipiell jede Ware die Stelle des allgemeinen Äquivalents besetzt, womit alle Waren alle von der allgemeinen Äquivalentform ausschließen.

Es zeigt sich nun, dass die Darstellung einer (logischen) Genese der Wertformen, die schließlich zur Geldform führen soll, wobei die Geldform in der marxistischen Diskussion häufig missverständlich mit der allgemeinen Äquivalentform gleichgesetzt wird, dieses Ziel offensichtlich nicht erreicht. Und damit gelangt man an dieser Stelle auch an die Grenze der logisch-begrifflichen Darstellung, denn diese vermag weder die Stabilitätsbedingungen bzw. das regelnde »Gesetz« (vgl. Strauß 2013: 164) für eine Ökonomie aufzuzeigen noch den Aufschub des Ausdrücklichen, der dem identifizierenden Denken einfach entgehen muss, zu bändigen oder stillzulegen. Der Schluss ist an dieser Stelle selbst aufgeschoben, er wird infrage gestellt und verweist wiederum auf die Fragwürdigkeit seiner eigenen Prämissen und gibt sich dadurch je schon eine virtuelle Evidenz. Das Verfahren der selbstähnlichen Reflexivität, das die Wertformanalyse anleitet, führt also aufgrund der Unbestimmtheit oder Widersprüchlichkeit der vierten Wertform, die dann Marx nicht ohne Konsequenzen für den Geldbegriff aus der Zweitausgabe des Kapitals streicht, keineswegs zur Geldform bzw. zu einem stringenten Geldbegriff. Somit heißt das schlagende Argument im Kontext der vierten Wertform, dass aus der Perspektive eines voll entwickelten Kapitals betrachtet die Darstellung der Herausbildung der Geldform aus prämonetären Wertformen scheitern muss. Es zeigt sich, dass es potenziell unendlich viele Formen des allgemeinen Äuivalents gibt, was allerdings überhaupt nicht zu dem Umkehrschluss führen darf, die Existenz der allgemeinen Wertform ausschließlich als eine Frage historischer Eventualitäten zu behandeln, wobei es aber tatsächlich auch historische Tendenzen gibt, die so etwas wie eventuelle historische Situationen formen. Unter dem Impuls ganz bestimmter Tendenzen, die zugleich etwas erfordern, was über sie hinausweist, gilt es nun zu zeigen, wie diese Tendenzen in eine kapitalistischen Struktur integriert werden.

Im Kapital beschäftigt Marx sich in den ersten drei Kapiteln mit dem Problem Geld nur als einer begrifflichen Hilfskonstruktion, die es ihm schließlich erlaubt, den Begriff der kapitalistischen Produktionsweise zu entwickeln. Schließlich bewegt sich Geld als die allgemeinste Form des Kapitals nur in dessen eigenem Selbstverwertungsprozess, in dem es als eine monetäre Gutschrift erzeugt wird, dem alle anderen Geldformen wie z. B. staatlich beglaubigtes Papiergeld unterstellt sind. Somit gilt die Geldzirkulation als eine abhängige Variable der Kapitalakkumulation, die auf dem typischen Geld des Kapitals basiert, nämlich dem Kreditgeld. Dafür braucht das Kapital aber ökonomische Matheme. Und die Folgerung sollte in dieser Hinsicht wiederum lauten, dass es eine symbolische »Kraft« gibt, die dafür verantwortlich zeichnet, dass im Kapitalismus das Geld u. a. die Stelle eines »homogenen Numéraire« besetzt.

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