Turbulenzen auf den Märkten für US-Staatsanleihen

Der Markt für US-Schatzpapiere ist mit einigem Abstand der wichtigste Finanzmarkt der Welt. Die ausstehenden US-Schulden begründen Forderungen in Höhe von 26,6 Billionen Dollar, gegenüber 12,2 Billionen Dollar vor zehn Jahren. Von Oktober 2022 bis 2023 emittierte das US-Finanzministerium netto 2,2 Billionen Dollar an Wechseln und Anleihen im Wert von 8 % des BIP.

Die Jahre 2014, 2019, 2020 und 2023 wiesen for diesen Markt ein besorgniserregendes und zuweilen wirklich kritisches Maß an Instabilität auf. Man spricht in in solchen Fällen gerne von einer “Nervosität” des Finanzmarktes. Nervosität ist aber ein seltsam untertriebener Ausdruck zur Beschreibung eines Schocks, der nach dem Urteil der meisten Experten das Potenzial hat, dem globalen Finanzwesen mehr Schaden zuzufügen als jeder andere.

Im Jahr 2023 waren die Preise von Vermögenswerten, die normalerweise als Fundament des Finanzsystems gelten, waren bemerkenswert volatil. Eine der größten Befürchtungen ist, dass sich diese Unruhe selbst verstärken und zu strukturellem Versagen und Zusammenbruch führen könnte. Insbesondere besteht die Befürchtung, dass es zu einem toxischen Kreislauf zwischen Volatilität und Liquidität kommen könnte, in dem plötzliche Preisschwankungen dazu führen, dass sich wichtige Akteure auf dem Markt für Staatsanleihen aus dem Handel zurückziehen (hier könnten Algorithmen eine Rolle spielen), oder, was noch schlimmer ist, zu einem selbstsichernden Verhalten der Kreditgeber (Nachschussforderungen), das die Kreditvergabe einschränkt und die Spekulanten zwingt, ihre Bestände abzustoßen. Beides würde die Liquidität verringern, was wiederum den Markt verengt und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Preise erratisch schwanken, was den Druck verstärkt, sich aus dem Handel zurückzuziehen oder Nachschussforderungen zu stellen und Notverkäufe auszulösen.

In meinem Buch “Ekstase der Spekulation. Kapitalismus um Zeitalter der Katastrophe” habe ich die Relation von Volatilität und Liquidität ausführlich behandelt. Die Möglichkeit Volatilität auszunutzen, ist unbedingt von der zur Verfügung stehenden Liquidität an den Finanzmärkten abhängig. Generell müssen die Derivate einem schwierigen Pfad folgen, nämlich die Volatilität zu steigern, ohne dass sie so exzessiv und unkontrollierbar wird, dass sie zu einem Verlust der Liquidität führt. Das kollektive Vertrauen der Marktteilnehmer auf die zukünftige Liquidität des Marktes ist hier essenziell. Daher inhärieren Derivate die performative Macht eines Rituals, um genau das kollektiv in Gang zu setzen, was jeder einzelne Agent unbewusst voraussetzt. Aber die Liquidität an den Märkten verdampft auch immer wieder, weil die Akteure sich nicht an ihre früheren Fehler erinnern können. In einem auf dichten Netzwerken beruhenden Finanzsystem lauern immer wieder neue Ansteckungsgefahren. In einer Zeit, in der zum Beispiel die Dollar-Schulden aufgrund steigender Zinssätze teurer werden, sind der Ausfall einer weltweit vernetzten Bank oder ein Notverkauf von Finanzanlagen konkrete Ereignisse, die zu Zusammenbrüchen an den Märkten führen können.

Derzeit sind die Aufsichtsbehörden besonders besorgt überden spekulativen Handel, der vor allem von von Hedge-Fonds betrieben wird und als “Basis-Trade” bekannt ist. Sie sind besorgt, weil es sich dabei um einen Handel mit einer so geringen Marge handelt, dass er nur mit einer großen Hebelwirkung rentabel ist, d. h. wenn der Hedge-Fonds ein Minimum an eigenem Geld und ein Maximum an Fremdkapital einsetzen kann. Einer Schätzung vom Dezember 2022 zufolge waren die Hedge-Fonds mit 553 Mrd. $ an Krediten für Basisgeschäfte verschuldet und hatten eine Hebelwirkung von 56 zu 1. Dies birgt das Potenzial für weitreichende Verluste im Kreditsystem oder den Zusammenbruch eines großen Hedge-Fonds.

Die Hedge-Fonds wiederum betonen, dass ihre Tätigkeit einen tiefen und liquiden Markt schafft, ohne den die Staatsanleihen nicht die grundlegende Funktion hätten, die sie erfüllen, was wiederum die Kreditaufnahme für den amerikanischen Steuerzahler billiger macht. Ihre Spekulationen dienen einem öffentlichen Zweck. Und wie die Zeitschrift Economist hervorhebt, können sie sich auf keine geringere Autorität als Alexander Hamilton berufen, um sie zu unterstützen.

Man kann die Geschichte des US-Schatzmarktes als eine Geschichte erzählen, in der hochgradig fremdfinanzierte Akteure am Rande eines Abgrunds der finanziellen Katastrophe schlittern und über die Feinheiten des Repo-Marktes ausnutzen. Auch dazu habe ich in meinem Buch ausgeführt:

Repo-Geschäfte haben in den letzten Jahren immens zugenommen und an Bedeutung gewonnen. Der Repo-Markt bietet eine breite Palette von günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für private und staatliche Finanzakteure an. So ermöglicht es die hohe Nachfrage nach Sicherheiten für Repo-Geschäfte den Regierungen, ihre Anleihen auf den Finanzmärkten in noch größeren Dimensionen zu platzieren. Die Zentralbanken wiederum nutzen den Repo-Markt als Instrument für ihre Geldpolitik, wobei eine höhere Repo-Aktivität zu mehr Liquidität an den Märkten führt. Dies wiederum erfordert mehr Sicherheiten für Repo-Geschäfte, was zu einem Anstieg ihrer Preise führt. Es gibt einerseits Investoren, die Geldmittel benötigen, um durch den Handel von Assets mit unterschiedlichen Risikoprofilen kurzfristige Profite zu erzielen oder auch um die Kapitalreserven aufzufrischen, wie Hedgefonds, Geschäftsbanken und andere Finanzunternehmen. Anderseits gibt es Geldmarktfonds, Vermögensverwalter, Pensionsfonds und andere institutionelle Investoren, die überschüssiges Kapital mit verhältnismäßig geringen Risiken anlegen wollen. Diese unterschiedlichen Akteure können nun über Repos außerhalb des privaten Bankensystems miteinander verbunden werden.

Die Politik der Zentralbanken stimuliert über Repos das gesamte Finanzsystem und kann zugleich neue Spiralen von Vermögenspreiserhöhungen in Gang setzen. Der Repo-Markt bedarf heute des täglichen Eingreifens der Zentralbanken, denn es besteht nach wie vor kein Vertrauen zwischen den Finanzakteuren. Allein die Fed führt an jedem Arbeitstag Repo-Transaktionen im Umfang von bis zu 500 Milliarden US-Dollar durch, um das reibungslose Funktionieren der kurzfristigen US-Dollar-Finanzierungsmärkte zu unterstützen. Der Markt für ungesicherte Interbankenkredite hat an Bedeutung verloren, während die Nachfrage nach besicherten Repo-Transaktionen weiter zunimmt.

Wenn der verzweifelte Wunsch nach Liquidität – ein so genannter “Dash for Cash” – auf den privaten Märkten nicht mehr befriedigt werden kann, gibt es immer eine sehr gute Antwort. Alles, was passieren muss, ist, dass die Zentralbank, die unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellt (es sei denn, sie wird durch selbst auferlegte gesetzliche Regeln eingeschränkt, wie im Fall der EZB), einspringt und die Staatsanleihen gegen Bargeld aufkauft. Genau das haben die Fed und alle anderen Zentralbanken im März 2020 getan. Im Vereinigten Königreich war die Bank of England während der Krise auf dem Goldmarkt im September 2022 widerstrebend dazu gezwungen.

.Dort, wo die Aktivitäten der Zentralbanken am intensivsten waren (im Repo-Segment), wuchs auch die Marktliquidität am stärksten. Den Zentralbanken gelang es für eine bestimmte Zeit, das Kreditwachstum zu fördern und die Preise von Assets und Derivaten in Krisenzeiten zu stabilisieren, während sie in Verbindung mit breiteren institutionellen Konfigurationen sicherstellten, dass es nicht zu Inflationsauswirkungen kam. Es gilt aber in diesem Kontext auf einen Krisenprozess zu verweisen, der auch in der Finanzkrise von 2008 wirksam war: Das Schattenbanksystem, das die Krise mit ausgelöst hat, hat Geld emittiert, indem es sichere Sicherheiten auf einer vorzeitig rückzahlbaren (repo-basierten) Basis leerverkauft hat, wobei diese Sicherheiten wiederum gesichert werden mussten. Die Fed tat dies mit Hilfe von Repo-Geschäften, womit sie Liquidität emittierte, indem sie ihre eigenen Schulden leer verkaufte und somit als Schattenbank für das Schattenbankensystem fungierte.

Es ist eine politische Entscheidung, einen privaten Markt für öffentliche Schulden zu schaffen, öffentliche Verbindlichkeiten in private Vermögenswerte zu verwandeln, ein Finanzsystem darauf aufzubauen und es über die Finanzmärkte, Repo-Fazilitäten usw. zu verwalten. Wenn es scheitert, kann es im Extremfall wieder in den geschlossenen Kreislauf des Finanzministeriums und der Zentralbank aufgenommen werden, deren Beziehung nicht die einer privaten Bank zu einem privaten Kreditnehmer ist, es sei denn, wir haben uns entschieden, sie so zu gestalten.

Brandverkäufe, die eher durch finanzielle als durch fundamentale Faktoren verursacht werden, führen dazu, dass die Zentralbank Staatsanleihen zu einem günstigen Preis zurückkauft. Die Bank of England hat mit ihren Käufen einen Gewinn von 3,8 Mrd. £ (4,8 Mrd. $) erzielt, was einer Rendite von 20 % innerhalb weniger Monate entspricht. .Vorausgesetzt, dass die Zentralbanken schnell in den Markt ein- und wieder aussteigen, ist es nichts Ungewöhnliches, den Verkauf von Staatsanleihen zu stoppen. Die Gewissheit, dass die Zentralbanken handeln können, dürfte sogar zu einem liquideren Markt führen, was dazu beiträgt, die Anleiherenditen niedrigzu halten. Problematisch wird es, wenn es den Zentralbanken nicht gelingt, die Panik einzudämmen oder lange auf dem Markt zu bleiben, nachdem er sich stabilisiert hat. Nach dem Ansturm auf das Bargeld verlagerten sich die Ziele der Zentralbanken von der Finanzstabilität auf geldpolitische Anreize. Sie häuften riesige Bestände an langfristigen Anleihen an, die mit dem Anstieg der Zinsen an Wert verloren haben. Ende September beliefen sich die Mark-to-Market-Verluste der Fed aus ihrem Portfolio an Staatsanleihen auf fast 800 Mrd. Dollar. Diese Verluste gehen letztlich an das Finanzministerium.

Die Komplikationen auf dem Markt für Staatsanleihen ergeben sich aus der Geschichte – dem Schock der Mittelbeschaffung während großer Kriege – und der politischen Ökonomie – den mächtigen Finanzinteressen und ihren Verbündeten innerhalb der staatlichen Strukturen und des politischen Systems – und werden dann durch die Netzwerkeffekte des hochgradig anreizorientierten, komplexen und manchmal effizienten privaten Handels noch verzweigt.

Im Oktober 2023 waren weltweit 2,324 Billionen US-Dollar im Umlauf sein, während die Staatsverschuldung der USA 33 Billionen US-Dollar beträgt, Tendenz steigend. Das allein sollte schon intuitiv erklären, warum eine ausgewachsene Liquiditätskrise vor der Tür steht, was bedeutet, dass exponentiell mehr Schulden aufgenommen werden müssen, um zu existieren. Wenn man die Kosten der Schulden erhöht, ohne die Mittel zu haben, um sie zu bezahlen, muss man unweigerlich Gründe erfinden, um synthetische Liquidität durch die Zentralbank als “Kreditgeber der letzten Instanz” zu schaffen, zumindest um den Schuldendienst zu decken. Das ist also das Paradoxon unserer Zeit: eine auf Schulden basierende Wirtschaft braucht mehr Schulden (und Gründe, um sie zu erzeugen), um so zu tun, als könne sie auf ihren Füßen stehen. Das reale Wachstum heute niemals die Schulden aufholen, da es zunehmend von der technologischen Produktivität erdrückt wird, während die Steuereinnahmen nichts mit dem Wachstum zu tun haben. Gegenwärtig bringt kein anderes Ereignis auf dieser Welt mehr Geld für das System ein als ein Krieg (einschließlich der vorgetäuschten epidemiologischen Kriege). Für “humanitäre Konflikte” lassen sich immer Gelder als Pakete herbeizaubern. Das bedeutet übrigens, dass das Finanzmarktrisiko – besonders akut für die Anleihemärkte – nicht mehr nur in Fiatwährungen, sondern auch in Menschenleben gemessen werden kann. Ukraine und Gaza waren also willkommene Anlässe.

Das Buch “Ekstase der Spekulation. Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe” kann hier bestellt werden: https://forceincmilleplateaux.bandcamp.com/merch/achim-szepanski-die-ekstase-der-spekulation-kapitalismus-im-zeitalter-der-katatstropal

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