Erneut zur Frage der Staatsfaschisierung.

Wie die Verhaftungen in Berlin zeigen, hat der Staat in Sachen technologischer Aufrüstung und Überwachung weiter zugelegt. Agamben war einer der ersten, der vor den Gefahren der biometrischen Gesichtserkennung gewarnt hat. Unter Millionen von Gesichtsfotos filtern die Algorithmen zielsicher das gesuchte Objekt heraus.

Wenn von Regierungs- und Machttechniken die Rede ist, die einen Prozess der Faschisierung des Staates votantreiben, dann sind darin sicherlich auch “biopolitische Techniken” eingeschlossen, die zur Kontrolle und Stabilisierung der Bevölkerung gehören. Foucault hat auf die verschiedenen rechtlichen, disziplinarischen und sicherheitspolitischen Technologien und Rationalitäten der Regierung aufmerkdam gemacht, die unter anderem unterschiedliche Techniken und Arten des Umgangs mitepidemiologischen Phänomenen (Ausschluss, Quarantäne, Impfung) entsprechen. Ansteckung und Epidemien sind immer auch kulturelle Kategorien, deren Management und Verwaltung das Ergebnis einer bestimmten, wenn auch vorübergehenden, politischen Rationalität ist. Mit Covid wurde die biologisch-demographisch-medizinischen Kontrolle der Bevölkerung und damit jedes einzelnen Individuums als Lebewesen verschärft und zwar über eine absehbare – wenn auch von der westlichen Welt weitgehend verdrängte – Begegnung unserer Körper mit einer gefährlichen tierischen Materialität.

In einem Text aus dem Jahr 1973, der im Kursbuch erschien, hat Manfred Clemenz den Begriff des strukturellen Staatsfaschismus eingeführt, wobei der Autor voraussetzt, dass es keine grundlegenden funktionalen Unterschiede zwischen den Formen der parlamentarischen Demokratie und den faschistischen Ausnahmestaaten gibt, sondern nur phänomenologische Veränderungen konstatiert werden können, die drastische Formen annehmen können bis hin zu Brüchen. Diese Fragestellung hat sich verschoben. Es
handelt sich hinsichtlich des neuen Phänomens der Staatsfaschisierung zwar tatsächlich nicht um eine neuartige Staatsform, aber auch nicht bloß um Phänomen, deren Summe dann so etwas den Staatsfaschismus ausmachen. Der Begriff der Staatsfaschisierung, der
von vornherein das prozessuale Moment betont, inkludiert einen konjunkturellen oder situativen Wandel des Regierens, eine Verschiebung und schließlich Neuordnung von Staatsapparaten und Governance/Regierungsformen, die noch keine endgültige Gestalt
gefunden haben, sodass zum einen der gewöhnliche Kapital-Staat nicht ganz aufgehoben ist, zum anderen aber auch nicht entschieden ist, ob der Prozess der Faschisierung in einem faschistischen Ausnahmestaat münden wird. Das den Staat heute auszeichnende „institutionelle Präventiv-Dispositiv“ (Poulantzas), das für Poulantzas allerdings auchschon den autoritären Etatismus in den 1980er Jahren kennzeichnete, ist heute dermaßenin staatliche und nichtstaatliche Apparate und Institutionen eingeschliffen und hat sich zu einem grundlegenden Dispositiv neben dem offiziellen Staat der parlamentarischen Demokratie entwickelt, dass man nicht nur von einer permanenten Überlagerung dieses Dispositivs mit dem offiziellen Staat oder von einer gegenseitigen Osmose sprechen kann, wie Poulantzas es noch tut, sondern von der Dominanz eines durch die Präventivlogik gekennzeichneten Faschisierungsprozesses, der in seiner Struktur vollkommen neu istund keiner bisherigen historischen Periode der Staatlichkeit entspricht. Aufgrund eines spezifisch codierten Krisenszenarios (Terrorismusbekämpfung) und insbesondere aufgrund der Durchsetzung der Präventivlogik ergreift der Sicherheitsstaat heute politische und rechtliche Maßnahmen, die die Struktur des normalen kapitalistischen Staates und nachhaltig verändern und seine Rechtsstaatlichkeit soweit transformieren, dass sie mit der Verfassung in Teilen nicht mehr in Einklang gebracht werden können, ohne dass man aber diese selbst verleugnen muss. (In der liberalen Staatskonzeption ist das Parlament Ausdruck des allgemeinen Willens, der Nation und des Volkes, und die Institutionalisierung des Gesetzes erfolgt als ein Modell universaler, allgemeiner und formaler Normen. Rechtsstaatlichkeit impliziert hier die Kontrolle der Regierung und Verwaltung durch das Parlament. Heute ist eine vor allem im Parlament inkarnierte Legitimität längst ausgesetzt und wird durch andauernde und angebliche alternativlose Zuschreibungen ersetzt, die sich auf Fragen der Effizienz kaprizieren und von einer neuen technischen Rationalität geleitet sind und sich organisatorisch in der Exekutive und Verwaltung verdichten.)

Diese Entwicklung verweist wiederum auf wichtige Veränderungen im Verhältnis zwischen den internationalen Kapitalbewegungen und den Operationen der Staaten, die aber nicht nur seine ökonomischen Funktionen und Handlungsweisen, sondern auch seine politischen und organisatorischen Bereiche selbst betreffen. Der gegenwärtige Staat versucht nicht nur andauernd effektive Antworten auf ökonomische und politischeKrisenprozesse zu finden, sondern er transportiert spezifische Präventionslogiken in die Regierungstechniken, die zweifelsohne ihre letzte Bedingung in längst einer auf die Zukunft umgestellten Kapitalisierung haben. Und dies bedeutet auch, dass sich die Transformationen des Staates keineswegs eindeutig als eine Stärkung oder Schwächung
seiner Machtpotenziale ausmachen lassen, sondern eine ungleichmäßige Entwicklung anzeigen, die in Relation zur Kapitalökonomie eine Schwächung, bezüglich der Formen des autoritären Managements eine Stärkung vermuten lässt (wobei letztere wiederum
durch den zunehmenden Einfluss von privaten Sicherheitsdiensten auf das polizeiliche Management von Konflikten und Situationen gefährdet ist. Der Staat verlöre damit immer stärker das Gewaltmonopol, gerade insofern die Mittel des Zwangs diversifiziert werden müssen: diplomatisch, ökonomisch, sozial und kulturell, was zur Multiplizierung der Apparate führt, in denen die finanzielle Gewalt sicherlich die effektivste ist, insofern ihre Effekte den gesamten Gesellschaftskörper destabilisieren können, während die Effekte differenziert werden.)

Dabei gehen die Spezifika des gegenwärtigen Staates in Begrifflichkeiten wie etwa autoritärer Neoliberalismus nicht mehr auf. Auch andere Begriffe wie Totalitarismus, autoritäre Demokratie oder autoritärer Etatismus erscheinen zunehmend ungeeignet, um das Charakteristische und Neuartige der staatlichen Transformationen zu bezeichnen, weshalb wir, zugleich auch um das Moment der Entwicklung darin stärker hervorzuheben, den Begriff strukturelle Staatsfaschisierung vorschlagen, der zudem auf die Transformationen der Globalisierung, wie wir sie skizziert haben, sowie auf neue nationale und internationale Klassen- und Kräfteverhältnisse hinweist, welche die heutige historische Phase der weltlage kennzeichnen. Der kommende Faschismus, der als „Faschismus« in Anführungszeichen gesetzt werden muss, nimmt heute nicht unbedingt jene Gestalt an, nach der vielleicht in den 1970er Jahren noch gefragt wurde. Dabei gilt es auch zu beachten, dass der Faschismusbegriff vor allem im linken Feld oft genug dort einspringt, wo Transformationen,Ausnahmen und Frakturen adressiert werden sollen, für die Begriffe allerdings noch fehlen.


Wenn dann aber daraufhin der Begriff des Faschismus in den Kämpfen um die Hegemonie in den Theorien und Diskurse ganz ausgespart wird, dann entsteht eben längst auch kein diskursiv leerer Raum. Wir befinden uns also auf einem schwierigen Terrain. Der Begriff strukturelle Staatsfaschisierung, wir wir ihn vorläufig verwenden, basiert auf historischen Voraussetzungen, die in den 1970ern Jahren so noch nicht gegeben waren. Zu nennen sind vor allem die Prozesse der Scharfmachung der finanziellen Kriegsmaschinen und
der rein auf die Zukunft bezogenen Kapitalisierung, die sich transformierenden Krisen undRezessionsphasen insbesondere des industriellen Kapitals, die Implementierung neoliberaler Maßnahmen und Projekte wie die Deregulierung, Austeritätspolitik, Privatisierung vonöffentlichen Einrichtungen, die globale Fragmentierung der Produktionsprozesse und die gleichzeitige Herstellung eines fragmentierten globalen Proletariats. Die daraus entspringenden Wirkungen kommen heute global einem ökologischen und sozialen Katastrophenprogramm gleich: So nimmt der Klimawandel schärfere Konturen an und in denPeripherien sind immer mehr Menschen gezwungen, in den Slums der Großstädte oder in failed states dahinzuvegetieren.

Wir gehen davon aus, dass diese Krisenentwicklung in Frequenz und Intensität weiter zunehmen wird, und damit einhergehend auch die soziale Polarisierung nicht nur im Süden, sondern auch in den Metropolen des Nordens sich verschärfen wird, zugleich aber eine
Rückkehr zum national-sozialstaatlichen Kompromiss des Fordismus, d. h. einer historischen Sonderperiode, die durch Systemkonkurrenz, Klassenkompromiss, Korporatismus und keynesianische Wirtschaftspolitik gekennzeichnet war, heute nicht mehr möglich erscheint. Aus den genannten Gründen wird die Regulation gesellschaftlicher Fragmentierung zunehmend auch polizeilich statt durch materielle Gratifikationen gelöst. In dem Maße, in dem der Staat soziale Leistungen abbaut, muss er in seiner Funktion als soziale Polizei aufrüsten, indem er etwa die Arbeitspolitik am verstärkten Einsatz repressiver Methoden ausrichtet (restriktive Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Armut durch die Bundesagentur für Arbeit undHartz4). Austerität und Autoritarismusgehören zusammen. Oder, um es anders zu sagen, der Markt und starker Staat schließen sich zwar in der neoliberalen Doktrin, nicht aber in der Praxis gegenseitig aus. Das widerspricht sich also überhaupt nicht.

Die neuartige strukturelle Staatsfaschisierung entsteht aber nicht ausschließlich als eine Reaktion auf regressive Entwicklungstendenzen und Krisenprozesse, sondern sie antizipiert die kommenden Trends, die ökonomischen, sozialen und politischen Krisen und
Konfliktpotentiale, was in entsprechenden offiziellen Verlautbarungen auch klar benannt wird. Dazu entwickelt der Staat eine Reihe von Techniken, wie etwa neue Kontroll- und Überwachungsinstrumente, die Daten aufzeichnen, akkumulieren und auswerten, Techniken
zur weiteren Quantifizierung und Vermessung der Bevölkerung und solche polizeilicher und militärischer Art. Die Transformation des gewöhnlichen Kapital-Staates zu einem faschisierten Staat ergibt sich heute daher nicht unbedingt durch einen spektakulären Bruch, sondern durch die schleichende, aber beständig vorangetriebene Akkumulation, Verschiebung und Verdichtung und Verschärfung restriktiver Operationen, durch Umbauten und Maßnahmen, die nicht zwangsläufig zu einem faschistischen Staat führen müssen, aber einen Bruch auch nicht ausschließen. Es erfolgt die Integration einer ganz spezifischen Kriegsmaschine in den Staat.Dazu zählt umfassende Militarisierung und Zugriffserweiterung der Polizei im Rahmen eines sich immer weiter entfaltenden Sicherheitsstaates bei gleichzeitiger Einschränkung derGrundrechte. Vor allem der Repressionsapparat erhält dafür immer weitere technische Mittel,
rechtliche Möglichkeiten und exekutive Kompetenzen. Zu den weiteren Maßnahmen gehören die Verschmelzung von Polizei und Militärsowie von Polizei undGeheimdiensten (und auch von zivilen und bewaffneten Behörden); darauf aufbauend die flächendeckende Überwachung, Datensammlung und -speicherung durch die staatlichen Dienste;außerdem die zunehmende Integration der Massenmedien in die ideologischen Staatsapparate, die Schaffung und gleichzeitige Kriminalisierung der Armut bei gleichzeitiger Senkung des Reproduktionsniveaus der subalternen Bevölkerungsanteile, die Kooperation von »Sicherheitsbehörden« mit faschistischen und terroristischen Netzwerken im Inland (und ebensolchen Milizen im Ausland) und eine zunehmend aggressiver und kriegerischer werdende Außenpolitik. Evident sind die Verschärfungen von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien bis hin zur Etablierung eines Feindstrafrechts und rechtlich verankerten Zugriffsbefugnissen weit im Vorfeld konkreter Straftaten – bis zur Vorbeugehaft. Anderseits aber eilt die Exekutive dieser Entwicklung stetig voran und antizipiert sie: So forschen beispielsweise Pentagon und CIA seit Jahrzehnten an der Verwissenschaftlichung der Folter, und die sogenannte »weiße Folter« und andere Methoden wurden exzessivbereits in den 1970er Jahren umfassend erprobt, während das Folterverbot weiterhin nochexistiert. In den USA ist seit 2001 eine exorbitante Zunahme extralegaler Hinrichtungen imAusland, meist durch Drohnenangriffe, aber auch durch Spezialtruppen bekannt geworden, denen keinerlei Gerichtsverfahren vorausgeht. Wird eine rechtswidrige Praxis bekannt, führt das meist nicht zu ihrer Einstellung, sondern zu ihrer nachträglichen Legalisierung oder ihrer stillschweigenden Duldung. Zunehmend verschwimmen dabei die Grenzen von Krieg, Polizeioperation und verdeckter Tätigkeit. Es kommt zu einer legislativen, und, wo dies noch nicht durchsetzbar ist, operativen Aushöhlung der Schutzrechte der Bevölkerung gegenüber dem Staat unter Beibehaltung des formaldemokratischen Überbaus.

Den neuen Kriegsmaschinen des Kapitals entsprechen dem Zusammenspiel von ziviler und repressiver Macht im Staat und machen beide Komponenten tendenziell ununterscheidbar.Der Staat tendiert längst zur Privilegierung der Exekutivmacht, die mit dem Rückgang der legislativen Macht verbunden ist und zu einer tiefen Transformation seiner administrativen undg ouvernementalen und juridischen Funktionen führt, wobei letztere durch die fast tägliche stattfindende Produktion von Gesetzen, Dekreten und Direktiven redundant werden, während sie zugleich die Funktionen der sozialen Polizei perfektionieren, sich insgesamt als wesentlich flexibler und effektiver als die drastischen Interventionen des Ausnahmestaates darstellen. Carl Schmitt hat den Staat als einen motorisierten Gesetzgeber bezeichnet und einewachsende Motorisierung der exekutiven Maschinerie konstatiert. Die Transaktionen undKrisenschübe des finanziellen Kapitals gehen heute mit Geschwindigkeiten und Reaktionen einher, die es einfach erfordern, dass insbesondere Gesetze, die der parlamentarischen Untersuchung und Absegnung bedürfen, durch schnelle Dekrete ersetzt werden müssen. Diese Anforderungen werden durch die Beschleunigungen der „Marktgesetze“ produziert. Nach den Dekreten drücken die Direktiven die nächste Stufe der Anpassung bzw. der Zentralisation der politischen Repräsentation in der Exekutive aus. Während das Dekret als ein motorisiertes Gesetz gilt, wird das Direktiv nun ein motorisiertes Dekret. So wird die allgemeine Rationalität des Gesetzes durch die technische Rationalität der der Dekrete und Direktiven un ersetzt, womit auch der Raum für Rechtswillkür geöffnet wird, insofern das, was die politischen Fragmentierungsprozesse bisher zusammenhielt, nämlich das Recht, durch ein Vielzahl von Direktiven, Normen, Rechtsprechungen und Regeln überlagert wird. Das Wuchern der Regelungen, der Gesetze und ihrer vielfältigen Umschreibungen anlässlich jedes politisches Ereignisses, bestimmter Konjunkturen und Situationen ist Teil der Aufhebung des Rechts. Geltende Gesetze werden je nach aktuellen Erfordernissen angepasst oder geschleift, und bisher gültige Rechtsgarantien werden nivelliert oder so angepasst, dass sie den Zustand der Prekären nur noch weiter prekarisieren. Man denke Sondergesetze, die Zerschlagung von Rechten, Spezialisierung der Gerichte, Vorverlagerung des Strafrechts, neue Polizeigesetze, Techniken der Gesichtserkennung, der Datenüberwachung und Biometrik, Pathologisierungen etc.

Diese Art der Technologisierung der Staatsapparate erfolgt durch den Einsatz von privaten,informellen und staatlichen Expertenregimen, die über den Einsatz von Techniken, die sich in Serien von Projekten, Praktiken, Kanäle und Stützungen ausdrücken, zudem einen statistischen Volkskörper erschaffen, der ständig überwacht, bewertet und zugleich mobilisiert werden muss, gerade indem auf ihn Macht ausgeübt wird. Es werden ständig neue Codes, Ranking- und Ratingverfahren installiert und variiert, mit denen sich das Funktionieren der Macht in eine Matrix der molekularen Segregationen der Bevölkerung einschreibt. Die Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive, der Bedeutungsverlust der Parteien,die Ausdehnung der Bürokratie und die Verlagerung der Entscheidungsfindung zu informellen und neben dem offiziellen Staat parallel operierenden Machtnetzen hat schon Poulantzas zur Kennzeichnung des autoritären Etatismus herangezogen – für ihn ein Begleitspiel der Intensivierung der ökonomischen Intervention des Staates, der nun nicht nur im Rahmen einer kurzfristigen Wirtschaftspolitik und der technischen Rationalität andauernd Regeln, Direktiven und Verordnungen gemäß den Konjunkturen, Frakturen und Zyklen der Kapitalbewegungen erlassen muss, sondern selbst als Unternehmen agieren muss. Die Exekutive operiert gerade im Sinne ihrer ökonomischen Interventionen mit einem sich permanent wandelnden Set vonRegelungen und Normalisierungen, das auf spezielle Konjunkturen, Situationen und Kräfteverhältnisse ausgerichtet und fein justiert ist. Die Rationalität dieser Praktiken betreffen jegliche Gesetzesinitiativen und -verfahren, die in den Gremien der Exekutive aus- und umgearbeitet, regional und lokal weiter gereicht, durch Erlasse, Direktiven, Verordnungen ergänzt, welche in die Finanz-, Geld-, Sozial- und Wirtschaftspolitiken eingeschrieben werdenund zunehmend den partikularen Interessen des großen Kapitals dienen anstatt noch eine durch das Gesetz garantierte Allgemeinheit und Universalität zu markieren.

Die Regierungen und die Staatlichen Apparate müssen sich nun um ihre eigenen Outputs kümmern, die durch staatliche Evaluationen gefördert und von den Finanzmärkten monetär bewertet werden, sodass der Staat zu einer Fabrik der Gesetze, der Dekrete und Regulationen transformiert, ja er transformiert zu einer Maschine, um Regeln zu produzieren und exekutive Macht herzustellen. Der Staat selbst wird zu einem Unternehmen. Der Taylorismus kann dafür, wenn er als ein Modus der Kommandostrukturen und der Gestaltung einer homogenen, kontinuierlichen und geteilten Raumzeit, in der jede Einheit ihren funktionalen Platz hat, und Raum und Zeit in der gegenseitigen Durchdringung auf ein fertiges Produkt ausgerichtet werden, bis zu einem gewissen Maß als Vorbild dienen. Der wahre Impact ist hier aber nicht allein technisch in der Organisation der Netzwerke und Dispositive der Verwaltung zu sehen, sondern liegt in der spezifischen Organisation der Macht, was auch heißt, dass die Arbeitsteilungen, die in der Ökonomie vorzufinden sind, nicht einfach nur abgebildet werden, sondern in den Verwaltungen und Bürokratien eigene Formen annehmen. Staatsfaschisierung zielt deshalb nicht einfach nur auf die Ausweitung der Repression und der autoritären, rassistischen und nationalistischen Diskurse und Meinungssysteme, sondern erfordert vielmehr den Einsatz hochtechnologisierter Machttechniken, welche nicht mehr auf die Kontrolle freier Individuen-Bürger abzielen, sondern die Bevölkerung zum potenziellen Gefahrenherd umdeuten und transformieren und schließlich auf einer nachhaltigen Veränderung der Materialität der Staatsapparate und ihrer Interventionen, sodass man in der Tat von einem neuen Dispositiv der Faschisierung sprechen kann. Schließlich geht das Private trotz aller Versuche des monadischen Rückzugs in neuen Öffentlichkeitsstrukturen auf, während umgekehrt der Niedergang des alten öffentlichen Lebens auf seine Instrumentalisierung für einen possessiven Individualismus zurückzuführen ist.

Die Fragen eines neuen Sicherheits- oder globalen Polizeistaates (Robinson) werden häufig in Anlehnung an Agamben als die eines Ausnahmestaates verhandelt. Bernard Harcourt spricht in seinem Buch Gegenrevolution die Mängel des aktuell gerade aufgrund der Covid 19-Pandemie wieder viel diskutierten Konzepts des Ausnahmestaates bei Agamben an. Er schreibt: “Der Bezugsrahmen des Ausnahmezustandes fußt auf einer eingebildeten Dichotomie zwischen Regel und Ausnahme, einem Mythos, der die Rechtsstaatlichkeit idealisiert und verdinglicht.”

Für Harcourt ist der Ausnahmezustand lediglich eine Technik oder Modalität des Regierens, aber er zeigt nicht unbedingt die Systematiken und Strategien für die heutige Art des staatlichen Regierens an. Dabei sei es gerade das Ziel des Staates, die ständigen Verschiebungen von Notständen und Ausnahmen rechtswirksam zu machen und zu legalisieren.

Die Konzeption vom permanenten Ausnahmezustand hält hingegen eine bestimmte Taktik der Notstandsbekämpfung schon für die allgemeine Rationalität des neuen politischen Regierens, während für Harcourt die Methoden der Counterinsurgency und der Ausnahmen (in den USA) vollkommen legalisiert und im Rechtsstaat verankert werden, und zwar durch Gesetze, juristische Memoranden, Staatsanwälte und juristische Debatten. Die ewig langen Foltermemos der US-Regierung Bush zu Fragen des Folterns im Ausland (Äquivalent zu richterlichen Entscheidungen und juristischen Texten) sind Teil eines formalisierten juristischen Apparats, den die USA geschaffen hat, um Methoden der Aufstandsbekämpfung zu legalisieren. Das Recht wird nicht ausgesetzt, sondern die Aufstandsbekämpfung wird zu einer rechtmäßigen Strategie gemacht. Es geht nicht um die Binarität von Norm und Ausnahme, sondern um ein Modell, das Praktiken der Aufstandsbekämpfung legalisiert, legitimiert und die Spannung zwischen Gewalt und Legalität auflöst. Gegen das Schmittsche Diktum “Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ und Agambens Zurückführung des Ausnahmezustandes auf die souveräne Macht, die gerade in der Lage ist, die Rechtsordnung im Ausnahmezustand zu suspendieren, hat Harcourt Einsprüche erhoben. (Bei Agamben ist das Konzept der Ausnahme zum Regelfall geworden, wenn er von deren Permanenz spricht. Das nähert ihn Harcourt wieder an.)

Harcourt spricht von einem kohärenten, legalistischen System der Aufstandsbekämpfung, das auf Dauer gestellt ist und jederzeit angewandt werden kann, womit der Gegensatz von Gesetz und Ausnahme aufgehoben ist. Dabei gibt es immer Kämpfe um die Grenzziehungen des Rechts, das heißt, die Wahrung der Legalität wird über Strategien vermittelt, die zwischen Legalität und Illegalität changieren und den Spalt benutzen, um die Illegalitäten der Eliten in Legalitäten zu transformieren. Lücken in den Gesetzen, die alle Mechanismen der Kontrolle in Gang setzen, werden über den Umweg von Dokumenten, Verordnungen und Memoranden in Gesetze überführt. Harcourt spitzt zu, dass gerade mit der Anwendung präventiver Systemanalyse zur Kontrolle der Bevölkerung alles vertretbar und nichts verboten sei, wenn es denn dem Kriterium der Effizienz der kontrollierenden Systemanalyse diene. Der Rechtsstaat sei unendlich formbar.

Lazzarato argumentiert in seinem neuen Buch Capital Hates Everyone in eine ähnliche Richtung, wenn er schreibt, dass man in einer Zeit der Unschärfe, der Vermischung von Rechtsstaat und Ausnahmezustand lebe. Deshalb dürfe die Hegemonie des Neofaschismus nicht auf die Stärke seiner Organisationen reduziert werden, sondern sollte gerade auf seine Fähigkeit bezogen werden, auf den Staat und das politische und mediale System überzugreifen. Wir sprechen mit Harcourt aber nicht nur von einem Übergreifen auf den Staat, vielmehr es sind die Formbarkeiten des Rechtsstaates selbst, die post-faschistische Transformationen des Staatsapparates erlauben.

Waterboarding, Isolationshaft, Überwachung durch die NSA, die Forcierung der Polizeieinsätze etc. sind für Harcourt Methoden und Strategien für ein neues ganz legales Regierungsmodell, das von der Theorie und Praxis der Counterinsurgery-Kriegsführung herrührt und eben nicht den Übergang vom Rechts- zum Ausnahmezustand darstellt. Harcourt fasst dies in drei Punkten zusammen: Die Erfassung aller persönlichen Daten, der Metadaten und ihre Auswertung mittels neuester digitaler Technologien, und zwar die der gesamten Bevölkerung. Alles zu wissen, ist das Ziel. Identitätsnachweise wie IP Adressen, Smartphone und Laptop sind auszugeben und zu überwachen. Selfie, Tweets und Posts werden ständig neu angereizt, kontrolliert und valorisiert. Befragungen unter Folter werden durch den Formalismus von Recht legalisiert. Wenn eine gefährliche Minderheit identifiziert ist, dann muss sie isoliert und bekämpft werden. Schließlich muss die Gefolgschaft der gesamten Bevölkerung samt ihrer Psychen und Wünsche erlangt werden. Man hat es mit den Strategien einer Gegenrevolution ohne Revolution zu tun.

Die Exekutive setzt in den USA sogar eine Art eigenes Gerichtssystem ein. Lagerinsassen werden auf nacktes Leben reduziert. Harcourt spricht sogar von terroristischen Methoden, die die Aufstandsbekämpfung in den USA zu einem Paradigma des Regierens im Inland und im Ausland machen. Das komplexe Überwachungsnetzwerk, bestehend aus den Big Tech Fiiren, Plattformen, Webbrowsern, Einzelhändlern und Smartphone Apps sammelt die privaten Daten der Bevölkerung und macht sie den Geheimdiensten zugänglich. Gleichzeitig besteht in der Bevölkerung eine Lust zur Selbstinszenierung und Entblößung. Harcourt schreibt: “Die Aufstandsbekämpfung mit ihrem dreigliedrigen Schema (aktive Minderheit, passive Massen, gegenrevolutionäre Minderheit) und ihrer dreigliedrigen Strategie (totale Kenntnis gewinnen, die aktive Minderheit eliminieren, die Massen ruhigstellen) ist eine zutiefst kontraproduktive sich selbst erfüllende Prophezeiung.“

Könnte man diese Methoden, Strategien und Anzeichen, die Harcourt als solche der Aufstandsbekämpfung analysiert, nicht als die eines neuen Faschismus begreifen?

Lazzarato setzt sich in seinem neuen Buch unter anderem mit den Differenzen des alten und des neuen Faschismus auseinander. Schon Adorno hat ja angedeutet, dass der neue Faschismus keineswegs mit Uniformen, Stiefeln und Nazi-Symboliken daher kommen muss. Auch für Lazzarato ist klar, dass nach 40 Jahren neoliberaler Politik das, was als neuer Faschismus sich ankündigt, keine einfache Wiederholung der Zwischenkriegserfahrungen sein wird. Für ihn resultiert der Neofaschismus aus einer zweifachen Mutation, nämlich einerseits aus dem historischen Faschismus, andererseits aus der Organisation konterrevolutionärer politischer Gewalt. Der historische Faschismus war, nachdem die revolutionären Kräfte vernichtet waren, durchaus ein Agent des Prozesses der “Modernisierung”, der, den Sozialismus „integrierte“ und mit Gewalt jede Manifestation des Konflikts ausschaltete. In Italien restrukturierte er die traditionelle Industrie und schuf die Filmindustrie, reformierte das Schulsystem und das Zivilgesetzbuch und etablierte wie die Nazis eine Art Wohlfahrtsstaat. Adam Tooze weist darauf hin, dass die Geschichte der innigen Beziehung zwischen Kapital und Faschismus während des Kalten Krieges umgeschrieben und verfälscht wurde, wobei beispielsweise die Tatsache ausgelassen wurde, dass bereits 1935 wichtige Banken wie JP Morgan eng mit Leuten kollaborierten, die später als faschistische Verbrecher behandelt wurden.

Für Lazzarato ist der neue Faschismus eine Mutation des historischen Faschismus auh in dem Sinne, dass er national-liberal statt national-sozialistisch auftritt. Die politischen Bewegungen, die aus ’68 hervorgegangen sind, seien heute so schwach, dass die Faschisten es nicht nicht einmal nötig hätten, ihre Forderungen aufzugreifen und sie zu verdrehen, wie es eben die Faschisten und die Nazis in den 1930er Jahren taten. Marlène Benquet und Théo Bourgeron fragen in ihrem Buch zur autoritären Finance, ob die Kapitalklasse, gerade weil sie von keiner anderen Klasse oder konkurrierenden Elite bedroht wird, heute an der Demokratie überhaupt noch interessiert ist. Der neue Faschismus bedarf also der sozialistischen Verbrämungen nicht mehr, er ist im Gegenteil ultra-liberal: Er ist für den Markt, das Kapital und die individuelle Initiative, auch wenn er einen starken Staat zur Ausgrenzung der Minderheiten und der “Ausländer” einfordert, einen Staat, der gleichzeitig den Markt, das Geschäft und vor allem das Kapital sichern soll.

Die neuen reaktionären Libertären gehen bei der Einschränkung der Rolle des Staates weiter als die Neoliberalen: Dem Staat sollen nicht nur das Bildungswesen, Gesundheitssystem und Infrastrukturen entzogen werden, sondern auch hoheitliche Befugnisse, indem die Privatisierung sogar der Armee, Polizei und Justiz weiter vorangetrieben werden soll. Nichtsdestotrotz besitzt der ökonomische Libertarismus bzw. die Avantgarde der zweiten Finanzialisierung (Vermögensverwalter und Hedgefonds) auf politischer Ebene extrem autoritäre Tendenzen. Wenn eine ultraharte Austeritätspolitik gefahren werden muss, die keine finanzielle und soziale Umverteilung nach unten mehr kennt, dann gilt es die womöglich entstehenden sozialen Bewegungen schon im Vorfeld zu verhindern, indem die Einschränkung von Freiheiten und Rechte inszeniert wird, und möglicherweise bleibt zur Regulierung des sozialen Lebens je nach Situation nur der suizidale Einsatz von Gewalt. Freiheiten werden kassiert, um die fundamentale Freiheit des Rechts auf Eigentum und Kapital zu bewahren. Katharina Pistor hat in ihrem Buch Der Code des Kapitals gezeigt, dass Repräsentanten des Kapitals die Staatsgewalt durch Einflussnahme auf das Recht (als Kodex des Kapitals) kapern können, ohne den Staatsapparat übernehmen zu müssen.

Zudem gilt es festzuhalten, dass selbst der faschistische Staat mittelfristig ohne Legitimität bzw. ohne Anerkennung durch die Bürger nicht existenzfähig ist; seine Macht beruht gerade auf dieser Anerkennung.

Man spricht nun auch vom Neo-Illiberalismus (Hendrikse 2018), der unter anderem darauf beruht, dass der Neoliberalismus nach der Finanzkrise von 2008 seine ideologische Anziehungskraft verloren hat. In einer zunehmend gesetzlosen Gig-Economy, in der das Kapital soziale Verträge durch Offshore-Anonymität ersetzt, gelingt es der transnationalen Kapitalistenklasse selbst noch Regierungen aufzukaufen. Das neoliberale Endspiel geht mit Brüchen und Neuzusammensetzungen innerhalb der Eliten einher, sowohl auf nationaler Ebene als auch im globalen Maßstab. Obwohl neoliberale Technokraten gerne gegen Oligarchen wettern, die Staaten in Plünderungszonen verwandeln, stellt die neoliberale Politik keineswegs die Macht der Oligarchen in Frage, deren Vermögen mit Hilfe der Politik der Zentralbanken in ungeahnte Höhen treiben. Hinzu kommt eine politische Illiberalisierung, welche die Exekutive von verschiedenen verfassungsrechtlichen Beschränkungen entlastet. Während die vorangegangenen Wellen der Neoliberalisierung noch mehr oder weniger innerhalb der Grenzen der Legalität blieben, die durch liberal-demokratische Normen, Regeln und Verfahren definiert war, ist die Neo-Illiberalisierung durch eine Exekutivmaschine gekennzeichnet, die zunehmend auch illegale Taktiken benutzt, um politische Funktionssysteme zu etablieren, die mittels einer ungezügelten Digitalisierung den autoritären Neoliberalismus in totalitäre Bahnen zu lenken drohen. Der Abbau der liberalen Demokratien bringt die Allianz zwischen autoritären Staaten und großen, datenreichen IT-Monopolen hervor. Die Einführung datengesteuerter Technologien erfordert in zunehmendem Maße die Rücknahme liberaler Regeln und Gesetze, um einer politischen Ökonomie Platz zu machen, die auf Massenüberwachung und KI basiert. Der Aufstieg des Neo-Illiberalismus erinnert an jene totalitäre und damit illiberale Strömung, gegen die sich der Liberalismus des zwanzigsten Jahrhunderts definiert hat: den Faschismus. Der heutige Präfaschismus ist das Ergebnis eines kapitalistischen Systems, das seinen liberalen Ordnungsprinzipien entflieht und in dem das Finanzkapital zunehmend von der Technologie absorbiert wird. Auch Fabio Vighi spricht von einem illiberalen Meta-Notfall-Weltsystem, das derzeit im Entstehen ist.

das Buch zur Staatsfaschisierung kann man hier bestellen: https://forceincmilleplateaux.bandcamp.com/merch/achim-szepanski-imperialismus-staatsfaschisierung-und-die-kriegsmaschinen-des-kapitals-drei-essays

Nach oben scrollen