Die Ekstase der Spekulation

… In der Tat scheint der Weltkapitalismus in einen paradoxen, einen erschöpfenden Panik-Modus bzw. in einen tödlichen Exzess übergegangen zu sein, in dem gerade das Phänomen des Über auf die weitgehend destruktiven Aktivitäten des Kapitals vor allem hinsichtlich der Kapitalisierung der Natur und der Erzeugung einer Surplus-Bevölkerung verweist. In Ökonomien, in denen die Erzeugung von Mehrwert und die Kapitalakkumulation dominieren, wird das Über oder der Exzess in katastrophischen Ereignissen wie etwa Kriegen verbraucht oder es wird durch Krisen reguliert. Dabei besitzt der heutige Emergency-Kapitalismus immer auch eine biopolitische Komponente. Sie betrifft vor allem die Verwaltung der Surplus-Bevölkerung, die für ein weitgehend automatisiertes, hochfinanziertes und implosives Reproduktionsmodell des Kapitals überflüssig geworden ist.[1] Kapitalistische Ökonomien können keienn verschwenderischen Umgang mit dem Exzesses entwickeln, wie es etwa die Allgemeine Ökonomie eines Bataille noch vorschlägt, die ein luxuriöses Geben oder Verschwenden beinhaltet, das alle Möglichkeiten des ökonomischen Gleichgewichts und des Austauschs übersteigt. Die luxuriöse Verschwendung bleibt heute weitgehend ein Privileg der Superreichen, was sich zum Beispiel in der politischen Zahl ausrückt, die besagt, dass die jährlich kumulierten Ausgaben für die 6000 in Betrieb befindlichen Superyachten die Schulden der Entwicklungsländer tilgen können (Salle 2022: 54)

Batailles allgemeine Ökonomien hatten einen Weg gefunden, den Überschuss durch nutzlose oder überflüssige Verausgabungen loszuwerden. Das Prinzip der kapitalistischen Ökonomie basiert unter anderem darauf, dass es nie genug für alle gibt, während Batailles Prinzip eben darauf basiert, dass es immer zu viel für alle gibt; es handelt sich wahrlich um eine riskante, prekäre, vielleicht sogar absurde Organisation, um ein Projekt von zerstörerischer Energie, um eine Anti-Ökonomie, ein Wunderkind, eine Herausforderung an die Knappheit, die allerdings das hyper-spekulative Kapital heute längst überwunden hat. Die allgemeine Ökonomie ist  das, was Bataille auch Heterologie nennt, die eine  wichtige Dimension seiner Theorie ist, welche er in seinem gesamten Werk erforscht. Es geht, so Derrida, um die unkontrollierbare Verbreitung (Dissemination) und den irreduziblen Rest oder Überrest, der jeder Form von Eindämmung widersteht oder die Kontrolle des Verlusts aussetzt, sowie um Unbestimmtheit und Heterogenität, und dies alles macht die allgemeine Ökonomie und ihre Konfigurationen grundsätzlich unkontrollierbar. Die allgemeine Ökonomie bringt einen Verlust aller Totalisierung mit sich, auch wenn Bataille wie Nietzsche von der Ökonomie als Ganzem spricht. Dieses “Ganze” ist aber selbst allgemein ökonomisch. Eine Globalisierung ohne Totalisierung, so könnte man sagen, erfordert den irreduziblen allgemeinen wirtschaftlichen Verlust. Lokale Konfigurationen müssen ihrerseits ökonomisch als allgemein betrachtet werden, was unter anderem bedeutet, dass auch sie nie absolut lokal sein können. Die allgemeine Ökonomie muss sich stets auf unproduktive Verluste und Ausgaben beziehen – auf Ausgaben ohne Reserve. Der Reichtum allgemeiner wirtschaftlicher Konfigurationen wäre ohne Produktion unmöglich. Die allgemeine Ökonomie belegt Bataille mit einem Bündel von Entropie- und Energie- Metaphern. Zunächst einmal spricht er von einer “exzessiven Energie”, die es in einem ontologischen Sinne gar nicht geben kann, denn es geht nicht darum, was “ist”, sondern darum, was wir über ihre “Wirksamkeit” sagen können. Die Verausgabung kennzeichnet einen unlogischen und unwiderstehlichen Impuls, materielle oder moralische Güter und ihre rationale Verwendung abzulehnen. Die Zerstörung der materiellen Güter und die Unterwerfung unter das inhumane Chaos sind Formen der Entropie, die aber zugleich einen Teil der Energie der in einem komplexen sozialen Netzwerk zirkulierenden Energie freisetzen könnten. Diese Dynamik macht die entropische Produktion zu einer quantischen Bewirkung, die schließlich der Überproduktion huldigt, der Produktion von Überschüssen, die nie vollständig verwertet werden können. Die allgemeine Ökonomie muss sich also immer auch auf eine Dynamik des Verlustes beziehen. Wenn wir hier noch von Zeit sprechen könnten, würde man die Zeit als eine “Quelle” definieren – als die der sich gegenseitig hemmenden Wirksamkeit sowohl von Energie als auch von Entropie, und damit als die einer sowohl produktiven als auch als zerstörenden Kraft. In diesen beiden Aspekten, – produktiv und zerstörerisch – hat die Wirksamkeit ein enormes anti-epistemologisches Potenzial. Eine allgemeine Ökonomie setzt also auf Verbrauch und Aufwand, Gewinn und Verlust, Erhaltung und Verschwendung, sie ist nicht einfach konfliktuell oder widersprüchlich, sondern sie ist multipel und komplementär …

Im späten Kapitalismus erfolgt der schleichende Übergang von einem geringeren Wachstum des Realkapitals zur Ekstase des finanziellen Spekulationskapitals. Mehr noch, wo das Wachstum des Realkapitals stagniert, ekstatisiert das Spekulationskapital im Quantenkosmos. Die reine Ekstase ist nun die Qualität, die dem Kapital eigen ist, das spiralförmig in sich selbst zirkuliert, um in seiner reinen Form heiß zu laufen, aber seine Zirkulation, die immer in Bewegung ist, wird gerade mit der Beschleunigung auch „cool“, mit dem, was mehr zirkuliert als die Zirkulation. In jedes noch so kalkulierbare finanzielle Risiko dringt die Indetermination und Ungewissheit ein, fordert die abstrakte mathematische Struktur, die in der Logik des Kapitals waltet, heraus, damit die je schon nicht gelingende Hyperdetermination im Rausch einer Überfülle an Geld als sprudelnde Volatilität/Liquidität in der Zirkulation der Zirkulation noch eine Stufe höher gedreht wird.

Immer dort, wo nichts mehr ist, außer der Relation des reinen Geldes, bildet sich übervolles und zugleich saturiertes Spekulationskapital; in einem System, in dem die Zirkulation des Kapitals immer mehr der Spekulation ausgesetzt ist, wandelt sich der Zweck (Surplus) zum Quanten-Delirium, bis hin zur Hyperspekulation der geringsten Geldsumme, zur Metastase der Zirkulation. Quantenmechanisches Determinationsorientierungskapital. Die durchaus logische Übersteigerung, dieses Eskalieren des flottierenden Geldes, polyzentriert das Kapital, lässt es in Wellen in alle Richtungen schießen, und erschafft quantisches Wellenkapital,  das mit Lichtgeschwindigkeit zirkuliert, diesem letzten Referenzpunkt, den es noch zu überwinden gilt, bis es schließlich kein Maß mehr gibt, mit dem die Ströme noch gemessen werden können – dieses Ekstatisieren  ohne Maß überführt Marxens formelle Maßlosigkeit des Kapitals ins Hyperreale der Spekulation, die sichtbar nur noch auf Bildschirmen ist, telematisches Kapital. Die sich in der Beschleunigung beschleunigende Hyperspekulation macht das Kapital aber auch träge und saturiert. Keine Metastase ohne Stase.


[1] In den kapitalistischen Ökonomien zeigt sich heute das Phänomen des Über als eine katastrophische Dyspotie an:

– Eine weltweite Verschuldung von 300 Billionen Dollar, die exponentiell wächst.

– Rasch steigende Defizite in den Kernländern und den Schwellenländern.

–  Aufblähungen an den Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten.

–  Hyper-Aufblähung auf dem Derivatemarkt.

– Steigende Inflation mit dem Potenzial für eine Hyperinflation.

Das Buch “Die Ekstase der Spekulation” erscheint im Herbst 2023

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